Dossier CRUISER Edition <strong>Winter</strong> 13/14 «Für eine Schweiz ohne Aids» Die neue Kampagne der Aids-Hilfe Schweiz zum Welt-Aids-Tag Von Martin Ender Patrick Rohr beim Fotoshooting zur neuen Kampagne der Aids-Hilfe Schweiz mit dem Schirm als Symbol für Schutz. Mit ihm stellten sich auch weitere bekannte Gesichter zur Verfügung: Anna Rossinelli, Nubya, Michael von der Heide, Dodo Hug, Milena Moser, Manuela Pesko und Uli Forte. Fotografin: Ellin Anderegg © Aids-Hilfe Schweiz 6
CRUISER Edition <strong>Winter</strong> 13/14 Dossier In einem Land, in dem faktisch jeder Zugang zum Gesundheitswesen hat, darf es nicht sein, dass Menschen an Aids sterben müssen. Darum fordert die Aids-Hilfe Schweiz Zugang zur HIV-Behandlung für alle, niederschwellige HIV- Testangebote für Gruppen mit erhöhtem HIV-Risiko und den Abbau von Vorurteilen und Benachteiligungen gegenüber Menschen mit HIV. Der 1. Dezember ist Welt-Aids-Tag. Die Menschen sind weltweit aufgerufen, ihre Solidarität gegenüber Menschen mit HIV zu zeigen und aktiv zu werden im Kampf gegen Aids. Den 1. Dezember <strong>2013</strong> hat die UNAIDS unter das Motto gestellt «Zero Aids related deaths – Null Aids-Todesfälle». Die Aids-Hilfe Schweiz greift diese internationale Strategie in ihrer neuen Kampagne «Für eine Schweiz ohne Aids» auf. Eine Welt ohne HIV bleibt eine Utopie, solange keine wirksamen Impfungen oder Heilungsmethoden zur Verfügung stehen. Eine Welt ohne Aids hingegen ist möglich und in Reichweite. Und wir stehen vor der historischen Chance, HIV nicht nur zu bekämpfen, sondern zurückzudrängen und zu kontrollieren. Das CR- Magazin sieht sich in der Pflicht, immer wieder über das Thema HIV / Aids zu berichten. Aus diesem Grunde stellten wir aktuelle Fragen an die Aids- Hilfe Schweiz. Deren Medienverantwortlicher Harry Witzthum hat sie uns schriftlich beantwortet. CR-MAGAZIN: Herr Witzthum, <strong>2013</strong> werden in der Schweiz bis Ende Jahr über 600 Menschen eine positive HIV-Diagnose erhalten haben. Wie ist diese Zahl im Vergleich zu den vergangenen Jahren zu sehen? HARRY WITZTHUM: Bis zum Jahr 2011 konnte man einen Rückgang der Neu- Diagnosen in allen Zielgruppen beobachten. 2012 kam es wieder zu einem Anstieg der HIV-Diagnosen um 15 %. Die Eidgenössische Kommission für sexuelle Gesundheit analysierte den Trend und stellte fest, dass die verfügbaren Daten zwar einen Anstieg der Neu-Diagnosen, aber keinen Anstieg der Neu-Infektionen aufwiesen, d.h; dass ein grosser Teil der HIV- Diagnosen auf eine mögliche verstärkte Testaktivität zurückzuführen ist. Mehr HIV-Tests, mehr HIV-Diagnosen. Für die Fallzahlen <strong>2013</strong> hält das Bundesamt für Gesundheit (BAG) fest, dass nicht von einem echten Trendwechsel gesprochen werden kann. Ist «der Schwule» besonders betroffen, gefährdet? MSM gehören zu den Gruppen, die am stärksten von HIV betroffen sind, deshalb ja. Fast die Hälfte aller Neu-Diagnosen in einem Jahr wird bei MSM festgestellt. Die Medizin hat die Aidserkrankung im Griff. Warum sterben in der Schweiz pro Jahr immer noch bis zu 50 Menschen an den Folgen einer HIV-Infektion? Die Mehrheit der akuten HIV-Infektionen wird trotz Arztkonsultationen bei uns in der Schweiz nicht diagnostiziert. Und rund die Hälfte der HIVpositiven Patienten wird mit fortgeschrittener Erkrankung erfasst, wenn das Immunsystem also bereits angegriffen ist. Wird eine HIV-Infektion nicht frühzeitig diagnostiziert oder zu spät oder falsch behandelt, kann das für die Personen lebensgefährlich sein, und sie kann an den Folgen von Aids sterben. Die Ursachen sind vielfältig. Für uns ist wichtig, dass wir die Prävention weiterhin stärken und Diskriminierungen von HIV vehement abbauen. Dafür steht unsere Kampagne «Für eine Schweiz ohne Aids». Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es eine erfolgreiche Prävention und rechtzeitige Diagnose und Therapie von HIV. Eventuell noch dieses Jahr soll in der Schweiz ein weiteres, neues Medikament zugelassen werden, das bei einer Einmal-täglich-Einnahme das HIV in Schach hält. Sind neue, bequemere, aber meist noch teurere Medikamente gerechtfertigt? Gerechtfertigt sind neue HIV-Medikamente dann, wenn sie: 1. effizienter und verträglicher als die bestehenden sind; 2. die Gesundheit von HIV-positiven Menschen gewährleisten können und 3. ihre Lebensqualität verbessern helfen. Als Schwulen-Magazin greifen wir immer wieder das Thema HIV / Aids auf. Können wir zuviel des Guten tun? Will heissen, zuviel berichten, bis es die Leser nicht mehr «hören» können? Solange HIV eine Bedrohung für die einzelnen Personen und die öffentliche Gesundheit bleibt, ist des Guten nie zu viel getan. Wir haben in der Prävention mit einer «Verharmlosung» von HIV zu kämpfen. Bei über 600 neuen HIV-Diagnosen jährlich darf von einer Verharmlosung nicht die Rede sein. Uns obliegt es, ein realistisches Bild von HIV zu zeichnen, mit allen Erfolgen der letzten Jahre, aber auch mit allen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft. Der 1. Dezember ist der Welt-Aids-Tag. Schauen wir also über die Grenzen hinaus in die Welt. In osteuropäischen Ländern und in Russland wird über das Thema geschwiegen. Aufklärung wird unterdrückt. Wie wird sich das Ihrer Meinung nach auswirken? Es braucht nicht meine Meinung dazu. Die HIV-Zahlen sprechen Bände. Während weltweit die HIV-Epidemie stabil bleibt, nimmt die Epidemie im Osten explosionsartig zu. Ohne gezielte Aufklärung über HIV-Risiken und Schutzmassnahmen, ohne wirksame Präventionsprogramme wird HIV ausser Kontrolle geraten. Die Verantwortlichen sind in der Pflicht, Massnahmen zu ergreifen, mit denen nach den besten zur Verfügung stehenden Evidenzien Linderung geschaffen werden kann. Beispiel Afrika: Was können die offizielle Schweiz, die Pharmaindustrie oder gar der einzelne Schweizer gegen das Aids-Elend in diesem Kontinent tun? Die meissten Akteure sind in den relevanten internationalen und nationalen Gremien eingebunden und engagieren sich für eine Besserung der Lage. Wichtig bleibt weiterhin, das Engagement beizubehalten und nicht nachzulassen. Die Erfolge stellen sich ein, aber man darf nicht locker lassen. Im Kampf gegen HIV will die internationale Gemeinschaft bis 2015 die sexuelle Übertragung von HIV um 50 Prozent reduzieren. Hat die Aids-Hilfe Schweiz dieses Ziel ebenso vor Augen für die Schweiz? Das hat sie, und dafür engagiert sie sich mit ihrer Kampagne und ihrer Arbeit. Bereits im Rahmen des Nationalen Programms «HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen 2011 – 2017» wurde festgehalten, dass bis 2017 die HIV-Infektionen um 50 % reduziert werden sollen. Wie die aktuellen Daten zeigen, ist dieses Ziel gefährdet. Das BAG hat aber begründete Hinweise darauf, dass die Anzahl der durchgeführten HIV-Tests insbesondere bei Männern, die mit Männern Sex haben, gestiegen ist (2008–<strong>2013</strong> von Faktor 3 auf 4). Dies ist ein sehr erfreulicher Trend, weil ein Grossteil der HIV-Neuinfektionen unter MSM von Männern ausgeht, die nicht wissen, dass sie HIV-positiv sind. Wissen mehr Männer, dass sie positiv sind, ist davon auszugehen, dass längerfristig auch die Anzahl der Diagnosen sinkt. Aber es ist klar: Im Moment führen stärkere Testanstrengungen zu mehr Diagnosen. Herr Witzthum, wir danken für die ausführlichen Antworten. 7