August 2017 - coolibri Essen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
„Man kann keinen Schalter umlegen“<br />
„Schreibabys gibt es für mich<br />
nicht“, sagt Erzieherin und Körperpsychotherapeutin<br />
Daniela<br />
Schelling. In ihrem kuschelig<br />
eingerichteten Therapie-Zimmer<br />
können Mütter zur Ruhe<br />
kommen und die Bindung zu ihrem<br />
viel zu häufig schreienden<br />
Baby wieder festigen.<br />
Obwohl Daniela Schelling nicht an<br />
sogenannte Schreibabys glaubt,<br />
heißt ihr Angebot Schreibabyambulanz.<br />
Das hängt einfach damit<br />
zusammen, dass Menschen diesen<br />
Begriff googlen, wenn sie auf<br />
der Suche nach Hilfe sind. Und das<br />
seien hauptsächlich Mütter, die<br />
nicht mehr weiter wissen und mit<br />
guten Ratschlägen von außen und<br />
Durchhalteparolen wie „Das sind<br />
nur Koliken“ nicht weiterkommen.<br />
„Oft schreien Babys, weil sie auf<br />
etwas aufmerksam machen wollen.<br />
Sie können ja nur mit Gefühlen<br />
kommunizieren.“ Generell sei es<br />
aber ein Anzeichen dafür, dass die<br />
Mutter-Kind-Verbindung aus dem<br />
Gleichgewicht geraten ist. Wichtig<br />
sei dann, die Ursache für die Belastungssituation<br />
zu finden. „Hilfe<br />
sollten Eltern so früh wie möglich<br />
suchen“, sagt Schelling. Je länger<br />
sie warteten, desto mehr Sitzungen<br />
bräuchten sie erfahrungsgemäß.<br />
„Wenn die Mutter sich mehr<br />
und mehr Sorgen macht, reicht<br />
das schon.“ Es gebe bei ihr keine<br />
Richtlinie, wie oft ein Baby schreien<br />
sollte.<br />
„Alle Mütter, die kommen, haben<br />
Schuldgefühle.“ Zum einen, weil<br />
sie gesellschaftlich unter starker<br />
Belastung stünden. Zum anderen<br />
reagiert der Mensch bei so hohem<br />
Stress, wie ihn das Babygeschrei<br />
auslösen kann, unterbewusst mit<br />
dem Impuls zur Flucht oder zum<br />
Kampf. „Unser autonomes Nervensystem<br />
bringt uns in diese<br />
Extremsituation“, erklärt Schelling.<br />
„Viele Mütter halten zum Beispiel<br />
unbewusst den Atem an, wenn<br />
sie glauben, dass ihr Baby gleich<br />
schreit.“ Diese plötzliche Anspannung<br />
übertrage sich auf das Kind.<br />
Deshalb ist ein wichtiger Baustein<br />
der Therapie, auf die eigene Atmung<br />
zu achten. „Ich verfolge einen<br />
körperpsychotherapeutischen<br />
Ansatz“, sagt Daniela Schelling,<br />
die zusätzlich zu der Ausbildung<br />
als Erzieherin, Psychotherapie<br />
nach HPG auch eine neunjährige<br />
Zusatzausbildung zur Körperpsychotherapeutin<br />
hat.<br />
In der ersten Sitzungsstunde hört<br />
Daniela Schelling vor allem zu, formuliert<br />
gemeinsam mit den Eltern<br />
Ziele und klärt Erwartungshaltungen.<br />
„Man kann keinen Schalter<br />
umlegen.“ Es käme vor, dass das<br />
Schreien trotz Therapie nicht weniger<br />
wird, dann gehe es darum,<br />
wie die Eltern diesen Sturm mit<br />
dem Kind am besten überstehen.<br />
In dem kleinen Sitzungsraum können<br />
sich die Besucher auf Matratzen<br />
und Kissen zurücklehnen,<br />
um zu entspannen, über mögliche<br />
Ursachen zu sprechen, sich gleichzeitig<br />
ihrem Baby wieder näher zu<br />
fühlen und gemeinsam zur Ruhe<br />
kommen. Oft reichen drei bis sechs<br />
Stunden. „Mir ist es wichtig, einfach<br />
einen Raum zu schaffen, wo<br />
eine tiefe Bindung zum Kind möglich<br />
ist“, sagt Daniela Schelling.<br />
schreibabyambulanz-wuppertal.de<br />
Irmine Estermann<br />
Foto: Irmine Estermann<br />
3