August 2017 - coolibri Essen
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KINO<br />
Ich Katze,<br />
also bin ich<br />
Fotos (3): Weltkino Filmverleih<br />
Kedi – Von Katzen und Menschen | Start: 10.8.<br />
Die Dokumentation „Kedi“ zeigt die Wege und Geschichten von sieben<br />
Straßenkatzen in der türkischen Metropole Istanbul. Dabei gelingt<br />
es „Kedi“ viel mehr als Flauschcontent zu sein, zeigt die Doku<br />
doch welch essentiellen Part die Streuner im Leben der Städter spielen<br />
– und wird dabei auf unanstrengende Weise philosophisch.<br />
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Sarı, Bengü, Psikopat, Deniz, Aslan Parçası, Duman<br />
und Gamsız heißen die sieben Katzen, die<br />
die türkische Filmemacherin Ceyda Torun mit<br />
der Kamera verfolgt hat. Sie nimmt den Zuschauer<br />
mit auf Streifzüge durch enge Gassen,<br />
auf geheime Wege in versteckte Winkel, durch<br />
stets unverschlossene Fenster und Türen, die<br />
sich für ein bisschen Mauzen immer gerne öffnen.<br />
Das an sich wäre vermutlich im Zeitalter<br />
des endlosen, viralen Katzencontents schon genug,<br />
um für Begeisterung zu sorgen. Es wäre<br />
aber auch irgendwie oberflächlich. „Kedi“ ist<br />
zum Glück alles andere als eine Betrachtung<br />
von flauschigen Oberflächen. So lässt die Doku<br />
auch die Menschen zu Wort kommen, durch deren<br />
Leben die Katzen tapern. Diese erzählen<br />
von innigen Beziehungen, von der spirituellen<br />
Kraft der Katze, die negative Energien einfach<br />
so verpuffen lässt, von Lektionen, die die eigensinnigen<br />
Fellbälle durch einen einzigen Blick ihrer<br />
durchdringenden Augen vermitteln. „Sie erinnern<br />
uns daran, dass wir am Leben sind“, heißt<br />
es da etwa. „Kedi“ zeigt die Straßenkatzen als<br />
integralen Teil des städtischen Lebens, als<br />
wichtige Bewohner Istanbuls, die für jeden der<br />
Bewohner verschiedenste Aufgaben erfüllen<br />
und in einer friedfertigen und nicht selten spirituellen<br />
Symbiose miteinander leben. Manchmal<br />
fungieren sie als Rattenfänger an der Restaurantpromenade,<br />
dann wieder als Therapeuten<br />
für gebrochene Herzen. Manch einer beschreibt<br />
sie als Bewahrer der Eleganz, andere als Außerirdische,<br />
mit denen man versucht Kontakt aufnimmt<br />
und eine Beziehung aufzubauen.<br />
Neben kuscheligem Katzenschabernack und<br />
philosophischen Momenten zeichnet „Kedi“<br />
aber auch ein Porträt der chaotischen Schönheit<br />
und des turbulenten Charakters der Stadt<br />
Istanbul. Losgelöst von all dem politischen Ballast,<br />
der dieser Tage an der gesamten Türkei<br />
hängt, wirft die Dokumentation einen unangestrengten<br />
Blick auf die Metropole am Bosporus.<br />
Sie zeigt ein menschliches Bild dieser Stadt,<br />
zeigt Alltag und Wesen ihrer Bewohner und<br />
schafft gerade für das westliche Publikum eine<br />
Brücke in diese Welt, die immer weiter von uns<br />
abzurücken scheint. Systemkritik findet sich<br />
dabei unterschwellig, etwa wenn im Hintergrund<br />
einer gähnenden Katze ein Graffiti mit<br />
dem Schriftzug „Erdo-Gone!“ erscheint – was<br />
übrigens in der Türkei zur Abschaffung eines<br />
Kulturmagazins führte, welches besagtes Bild<br />
zur Besprechung von „Kedi“ veröffentlichte.<br />
Oder wenn der stete Strukturwandel als Grund<br />
für das Verschwinden der Lebensräume der<br />
Straßenkatzen herausgestellt werden.<br />
Herzerwärmend, mit Tiefgang und voller spannender<br />
Geschichten über Tier, Mensch und Stadt<br />
ist „Kedi“ nicht nur für Katzenfanatiker Pflichtprogramm.<br />
Lukas Vering<br />
TUR, USA 2016; R: Ceyda Torun