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August 2017 - coolibri Essen

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KUNST<br />

Die Kunst in der<br />

Alltäglichkeit<br />

Noch Kunst oder schon Voyeurismus? Blick aus dem Truck<br />

Foto: Volker Hartmann<br />

„Wir wollten diese Landschaft, die<br />

nicht ganz Stadt, nicht ganz Land ist,<br />

die unzusammenhängend, aber doch<br />

eine große Metropole ist, versuchen<br />

als Stadt zu begreifen“, erklärt Stefan<br />

Kaegi vom Rimini Protokoll. Zusammen<br />

mit loekenfranke haben sie die Truck<br />

Tracks Ruhr für die Urbanen Künste Ruhr kuratiert.<br />

Bei dem Kunstprojekt wurden mit einem<br />

umgebauten LKW 49 Orte in sieben Pott-Städten<br />

angesteuert (OB, RE, DU, DO, MH, BO, E). Die Teilnehmer<br />

saßen dabei wie Zuschauer im Theater<br />

im Truck und hörten von 49 nationalen und internationalen<br />

Künstlern Audiobeiträge über die<br />

besichtigten Orte. Ab September gibt es davon<br />

eine Ausstellung mit Videoinstallationen in <strong>Essen</strong>.<br />

„Anstelle des LKW ist es eine Zusammenschau<br />

der Orte, man kann sich auf sieben Leinwänden<br />

durchs ganze Ruhrgebiet bewegen“, so Kaegi.<br />

Doch was war die Idee, die zu dem Truck-Projekt<br />

führte? „Man hätte sofort einen Film darüber<br />

drehen oder im Theater mit verschiedenen Bühnenbildern<br />

arbeiten können. Doch so konnten<br />

nicht nur ein paar Künstler, sondern 49 die Heterogenität<br />

dieses Gebiets aufzeigen.“ Lächelnd<br />

fügt er an: „Und gleichzeitig sitzt man im LKW,<br />

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Nicht erst seit dem Kulturhauptstadtjahr wird versucht, dass<br />

Ruhrgebiet als Einheit zu sehen, und nicht als eine Ansammlung<br />

von Einzelstädten. Um das zu schaffen, müssen neue Erfahrungen<br />

gemacht, neue Perspektiven kreiert werden und<br />

Grenzen verschwinden. So wie bei den Truck Tracks Ruhr.<br />

mit einem Verbrennungsmotor unterm Hintern,<br />

die Maschine, die nach wie vor hauptverantwortlich<br />

für die Mobilität im Revier ist.“ Da passt<br />

es, dass die Ausstellung in der Kokerei auf Zollverein<br />

stattfindet.<br />

Five Minutes of Fame<br />

Die Beiträge zu den Orten sind jeweils rund fünf<br />

Minuten lang – eine bewusste Zahl. „Andy Warhol<br />

hatte einst die Idee, dass irgendwann jeder<br />

mal fünf Minuten berühmt sein werde. Man<br />

könnte sagen, er hat die sozialen Medien vorhergesehen.<br />

Wir haben dieses Konzept auf die<br />

Orte übertragen.“ Five Minutes of Fame für die<br />

49 Orte. Damit habe man auch Bezug genommen<br />

auf das Ready-made-Prinzip von Marcel<br />

Duchamp, bei dem, vereinfacht gesagt, Alltagsgegenstände<br />

zu Kunstwerken werden. In diesem<br />

Fall: Alltagsorte. Die Geschichten wechseln<br />

in ihrer Inszenierung zwischen purer Fiktion,<br />

wie dem Pilotprojekt „China City“ von Martin Kindervater<br />

und dem dokumentarischen<br />

„Transfer Time“ von Anne Habermehl.<br />

Ersteres handelt von einem angeblichen<br />

Stadtentwicklungsprojekt zwischen<br />

Oberhausen und China, letzteres<br />

beschäftigt sich mit einem Busbahnhof<br />

für Menschen, die nur noch eine letzte<br />

Reise vor sich haben: Gertrud und Erna, 100 und<br />

94 Jahre alt. In „Without us“ spricht Marcus Lindeen<br />

mit Les U. Knight, der vor dem Hintergrund<br />

und in Bezugnahme auf eine Autowaschanlage<br />

erklärt, warum er der Begründer der „Bewegung<br />

des freiwilligen Aussterbens der Menschheit“<br />

ist. Beim Beitrag „Blick auf das bewegte Bild“<br />

schauen sich Kinder eine Brache an und beschreiben<br />

Aussehen und mögliche Ziele.<br />

Eine neue Erfahrung war es für die Zuschauer in<br />

jedem Fall. „Ich fand es spannend durch die abgedunkelte<br />

Scheibe zu schauen“, erklärt Teilnehmerin<br />

Fabienne. Nachdenklich ergänzt sie:<br />

„Es war schon ein bisschen wie im Zoo, als wir<br />

die Leute in der Innenstadt beobachteten.“ Wo<br />

die Grenzen zwischen Kunst und Voyeurismus<br />

verschwinden, kann ab Mitte <strong>August</strong> jeder für<br />

sich selbst herausfinden. Paul Tschierske<br />

Truck Tracks Ruhr – The Compilation, 19.8.-<br />

30.9., Mischanlage Kokerei Zollverein, <strong>Essen</strong>

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