Hinz&Kunzt 296 Oktober 2017
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Stadtgespräch<br />
Kommentar<br />
Obdachlosigkeit ist<br />
brandgefährlich<br />
VON BIRGIT MÜLLER<br />
„Das Urteil<br />
hat uns sehr<br />
enttäuscht.“<br />
RECHTSANWÄLTIN ALEXANDRA ELEK<br />
fiel das Urteil gegen den<br />
30-jährigen Obdachlosen Dorian:<br />
sechs Jahre Haft wegen<br />
versuchten Mordes und gefährlicher<br />
Körperverletzung<br />
in zwei Fällen. Er soll auch,<br />
davon sind die Richter überzeugt,<br />
nach einem Streit um<br />
den Schlafplatz den Schlafsack<br />
von Slawomir angezündet<br />
haben. Der Vorsitzende<br />
Richter Stephan Sommer<br />
sprach von einem „Premium-<br />
Schlafplatz“, um den er seine<br />
beiden Bekannten beneidet<br />
habe. Schließlich sei die Platte<br />
in dem Parkhaus verhältnismäßig<br />
geschützt gewesen.<br />
Allerdings gibt es keine<br />
stichhaltigen Beweise dafür,<br />
dass Dorian das Feuer gelegt<br />
hat. Das räumte auch der Vorsitzende<br />
in seiner mündlichen<br />
Urteilsbegründung ein. Aber:<br />
„Unter dem Strich ist klar geworden,<br />
dass es nur der Angeklagte<br />
gewesen sein kann.“<br />
Der Urteilsspruch fußt<br />
auf Indizien: Dorian war in<br />
der Tatnacht von gleich mehreren<br />
Videokameras in Tatortnähe<br />
gefilmt worden – und<br />
zwar „zeitlich minutiös exakt<br />
in dem Moment“, so Sommer,<br />
in dem der Brandstifter dort<br />
entlanggegangen sein musste.<br />
Dorian selbst bestreitet,<br />
das Feuer gelegt zu haben.<br />
Seine Anwältin Alexandra<br />
Elek kritisiert das Gericht<br />
scharf: „Das Urteil hat uns<br />
sehr enttäuscht, die Entscheidung<br />
ist nicht rechtsstaatlich“,<br />
sagt sie. Vor allem, weil ein<br />
Zeuge ihren Mandanten entlastet<br />
hatte. Er hatte den<br />
Brandstifter weglaufen sehen<br />
und vor Gericht ausgesagt,<br />
dass es nicht Dorian war.<br />
Das Motiv, der Neid auf<br />
den Schlafplatz, sei zudem<br />
„komplett erfunden“, sagt Alexandra<br />
Elek. Sie hat vor dem<br />
Bundesgerichtshof Revision<br />
gegen das Urteil eingelegt.<br />
Bis dieser sich des Falles angenommen<br />
hat, bleibt Dorian<br />
in Haft. •<br />
Kontakt:<br />
benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />
Wir haben es in diesem Jahr schon vier Mal<br />
erlebt: ein Feuer auf einer Obdachlosenplatte.<br />
Nur durch Glück ist bislang niemand gestorben.<br />
Aber Menschen wurden verletzt. Das ist<br />
eine neue Dimension der Gewalt auf der Straße.<br />
Es macht noch deutlicher: Obdachlose sind<br />
jeden Tag in Lebensgefahr.<br />
Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht<br />
nehmen das sehr ernst. Ein mutmaßlicher Täter<br />
ist zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren<br />
verurteilt worden. In zwei Fällen sollen die Täter<br />
selbst Obdachlose sein. Vermutetes Motiv:<br />
Neid auf einen besseren, trockeneren Schlafplatz.<br />
Das ist schockierend, denn es bedeutet:<br />
Obdachlose werden zu Opfern, weil sie keinen<br />
sicheren Schlafplatz haben. Und Obdachlose<br />
werden zu Tätern, weil sie keinen sicheren<br />
Schlafplatz haben.<br />
Es erscheint logisch, dass die Zahl der<br />
Straftaten steigt. Derzeit leben geschätzt 2000<br />
Menschen in Hamburg auf der Straße. Viele<br />
von ihnen seit Jahren. Sie verelenden immer<br />
mehr. Die Behörde schafft es ebenfalls seit Jahren<br />
nicht, den Menschen ein Obdach zu bieten.<br />
Und das, obwohl derzeit 150 Wohncontainer<br />
eingelagert und weitere 300 Containerplätze<br />
wegen rückläufiger Flüchtlingszahlen frei sind.<br />
Stattdessen sollen Obdachlose ins Notasyl<br />
Pik As gehen. Was keine Dauerlösung ist – und<br />
auch nur für Obdachlose mit einem sogenannten<br />
Rechtsanspruch gilt. Seit der EU-Osterweiterung<br />
stranden aber auch viele Polen,<br />
Rumänen und Bulgaren auf der Straße. Und<br />
die haben nichts – nicht mal die Hoffnung auf<br />
einen Schlafplatz. •<br />
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