Hinz&Kunzt 296 Oktober 2017

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Ohne Netz und doppelten Boden Beim Zirkus geht es fi nanziell immer ums Überleben. Und die Artisten setzen täglich ihre Gesundheit aufs Spiel. Ein Besuch bei Hamburgs ältestem Zirkus. TEXT: BIRGIT MÜLLER FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE Fliegen ohne Absicherung – das ist Magie, finden die meisten Artisten. Auch Manjana. Die Akrobatin ist erst 15 Jahre alt.
Lebenslinien Lachen, bis der Vorhang fällt: die Clowns Benito (links) und Daniel. Charleen Sperlich ist die Enkelin von Harry Frank, der vor 48 Jahren seinen eigenen Zirkus gegründet hat. Und dann gibt es sie wirklich, die Grenzerfahrung. „Wir haben völlig vergessen, dass ihr kommt“, sagt Charleen Sperlich, Enkelin des Zirkusgründers Harry Frank. Ihr Vater Harry Helmut hatte einen schweren Unfall. Nicht mal in der Manege. Er wollte das Stalldach im Winterquartier reparieren und ist durchgebrochen. Jetzt liegt er im Krankenhaus – im Koma. Davor hatte sich schon Charleens Mann die Schulter verletzt und kann vorerst nicht mehr die Luftnummer machen. Alles menschlich schlimm, aber so etwas kann sich auch finanziell katastrophal auswirken. Doch wofür hat man Familie? Aus Mecklenburg-Vorpommern ist Charleens Schwägerin Desirée angereist – mit ihrem Mann Siegfried und ihren Kindern Manjana (15) und Benito (16). „Eigentlich wollten wir nur drei Tage bleiben, weil wir wissen wollten, wie es ihnen hier jetzt geht“, sagt Desirée. „Aber jetzt, wo das mit Charleens Vater passiert ist, bleiben wir natürlich.“ Nicht nur das: Siegfried (Künstlername Don Ricardo) und Manjana haben die Luftnummer übernommen. Ganz klar: Die Show muss weitergehen. So war das immer. Das wusste Charleen schon als kleines Mädchen. Väterlicherseits sind ihre Vorfahren alle Zirkusleute. Seit Generationen. Mütterlicherseits ist das anders. „Meine Mutter kam aus der DDR, von der Kirmes.“ Wer in eine Zirkusfamilie einheiratet, muss mitmachen. Sie hat dort das Glücksrad gedreht, sich in den Zirkusmann verliebt und ist ihm nach Hamburg gefolgt. Sie wusste, was sie erwartet: Wer in eine Zirkusfamilie einheiratet, muss mitmachen. In der Wintersaison studierte sie, die vorher noch nie in der Manege gearbeitet hatte, 31 eine Nummer ein – auf dem Hochseil. Das war nur der Anfang. „Sie ließ sich immer etwas Neues einfallen“, sagt Charleen. Schon als kleines Mädchen wollte sie so werden wie ihre Mutter. Zirkuskinder machen in der Manege schon mit, wenn sie kaum laufen können. Hula-Hoop oder Bodengymnastik, „Kinderparterre“ genannt. Aber dann, mit zehn, werden die Kleinen quasi entlassen. „Ab dann darf man erst wieder mitmachen, wenn man was zu bieten hat wie die Großen.“ Meistens so mit 15. Wie Manjana jetzt. Charleen übte nach ihrer eigenen „Entlassung“ wie verrückt. Wollte so schnell wie möglich wieder in die Manege, als Seiltänzerin und Luftakrobatin. Geübt hat sie auf einem Seil einen Meter über dem Boden. Endlich, mit 15 Jahren, hatte sie es geschafft, dachte sie. Ihre Mutter hatte zu dieser Zeit unglaublich tolle Kostüme, schwer mit Strass bestickt: die Krone, die Ärmel – dazu noch schwere Strassohrringe. „Ich ließ nicht locker, bis ich auch so etwas bekam.“
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