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Hinz&Kunzt 296 Oktober 2017

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Lebenslinien<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>296</strong>/OKTOBER <strong>2017</strong><br />

Der Meister<br />

aller Krassen<br />

Oliver Polak macht Witze über Hitler, Behinderte und sich selbst.<br />

Der jüdische Stand-up-Comedian verschont niemanden. Eine Annäherung.<br />

TEXT: SIMONE DECKNER<br />

FOTOS: GERALD VON FORIS (RECHTS),<br />

WDR/SEO ENTERTAINMENT GMBH<br />

Wie erklärt man jemandem,<br />

der noch nie von<br />

Oliver Polak gehört hat,<br />

wer Oliver Polak ist?<br />

Man könnte es so versuchen: einer der<br />

furchtlosesten Künstler Deutschlands.<br />

Ein 41-Jähriger, der sein Leben für die<br />

Kunst ausschlachtet. Rücksichtslos ist.<br />

Vor allem gegen sich selbst. Polak<br />

macht sich komplett nackig – nicht nur<br />

auf Tourplakaten, auch seelisch.<br />

Polak ist Stand-up-Comedian, wobei<br />

es diese Spezies seiner Meinung<br />

nach in Deutschland gar nicht gibt, er<br />

orientiert sich da eher an amerikanischen<br />

Vorbildern: Comedians wie Godfrey,<br />

Dave Attell, Nick Griffin – kennt<br />

hier kaum jemand, egal. Leute, die sich<br />

trauen, über Grenzen zu gehen. Polak<br />

will es mit seinem Humor auch wissen.<br />

Deshalb geht er dorthin, wo es weh tut.<br />

Er will die Menschen aus ihrer Komfortzone<br />

reißen. Bis einer lacht.<br />

Sein erstes Programm hieß „Jud<br />

süß-sauer“. Er, der Jude, riss Witze über<br />

Beschneidungen und schleppte Schäferhunde<br />

aus Pappe mit auf die Bühne,<br />

um deren Hals Davidsterne baumelten.<br />

Vor ihm hatte es noch keiner gewagt,<br />

Witze über das deutsch-jüdische Verhältnis<br />

zu machen. Das Publikum reagierte<br />

verunsichert. „Darüber macht<br />

man nun wirklich keine Witze!“, riefen<br />

sie. Nicht wenige zuckten, wenn Polak<br />

sie mit „Meine Damen, meine Herren,<br />

liebe Herrenrasse“ begrüßte. Später<br />

schrieb er das Buch „Ich bin Jude, ich<br />

darf das“. Er erzählt darin von seinem<br />

Aufwachsen als Sohn der einzigen, jüdischen<br />

Familie im emsländischen Papenburg.<br />

Von seinem Vater, der sieben Jahre<br />

in KZs überlebt hat, von den vielen anderen,<br />

die es nicht überlebten, von der<br />

Grundtraurigkeit in seinem Zuhause,<br />

von der feindlichen Umgebung draußen,<br />

die ihm ständig spiegelte: Du<br />

gehörst nicht dazu.<br />

Als er sich einmal eine Glatze rasierte<br />

und mit Doc Martens nach Hause ins<br />

Wohnzimmer gestiefelt kam, sagte sein<br />

Vater: „Oh Gott, der Junge sieht aus<br />

wie ein Skinhead!“ Seine Mutter hingegen<br />

sagte: „Oh Gott! Der Junge sieht<br />

aus wie ein KZ-Häftling!“<br />

„Das Goofy-mäßige, den Slapstick<br />

habe ich eher so von meinem Vater und<br />

das Harte, Scharfe habe ich von meiner<br />

Mutter“, sagt Oliver Polak. Er sitzt auf<br />

der Terrasse des Hotel Lindner in seiner<br />

Oliver-Polak-Uniform: Jogginghose,<br />

Sweater mit Markenprint, schwarze, dicke<br />

Brille. Heute würde er das Buch<br />

nicht mehr schreiben, sagt er. „Ich würde<br />

die Geschichten für einen Stand-up<br />

nutzen. Man kann über alles sprechen,<br />

das weiß ich jetzt.“ Bald geht er mit<br />

einem neuen Programm auf Tour.<br />

Sein erstes Programm spielte er<br />

mehr als 150-mal: Immer volles Risiko,<br />

immer alles zeigen, alle herausfordern.<br />

Irgendwann nannten ihn Kritiker „Berufsjude“.<br />

Er hasste es. Er hasste, dass<br />

Zuschauer ihn als Alibi benutzten, lautstark<br />

über den Holocaust lachen zu<br />

dürfen, er hasste es, dass andere ihn für<br />

„Das Harte, Scharfe habe ich<br />

von meiner Mutter.“<br />

OLIVER POLAK<br />

seine Witze hassten. Polak ging für acht<br />

Wochen in die Psychoklinik, Diagnose:<br />

Depression. Er schluckte Psychopharmaka<br />

und nahm dadurch 30 Kilo zu,<br />

fühlte nichts mehr und schrieb doch<br />

alles auf: Best Of Versagensängste<br />

(„Der jüdische Patient“). Ein Witzbold<br />

kommentierte auf Amazon: „Ein super<br />

Buch für den Strandurlaub!“<br />

Man könnte jemandem, der Oliver<br />

Polak nicht kennt, auch so erklären, wer<br />

das ist: einer der am meisten missverstandenen<br />

Männer Deutschlands. Er<br />

provoziere nur, sagen seine Kritiker.<br />

Einmal spielte er Hitler in einem Video<br />

der Rapper K.I.Z.: „Widerliche Effekthascherei“,<br />

ätzte „Die Welt“. Er nutze<br />

in seiner Sendung „Applaus und Raus!“<br />

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