500 Jahre Reformation Der Luther für Arme Reformation ist nicht nur was für Kirchgänger. Vor 500 Jahren stellte sie die alte Ordnung in Deutschland in Frage. Luthers Weggefährte Johannes Bugenhagen sorgte in Hamburg dafür, dass sich auch hier die Machtverhältnisse änderten. TEXT: PASTOR SIEGHARD WILM PORTRÄT BUGENHAGEN: AKG-IMAGES; PORTRÄT WILM: MAURICIO BUSTAMANTE
WWW.HINZUNDKUNZT.DE Stadtgespräch Armes Mittelalter! Kinder gerieten in Not, wenn ihre Eltern früh starben. Wer krank wurde, rutschte ins Elend. In Hamburg lebten im Mittelalter viele verarmte Menschen. Sich darum zu kümmern, war Aufgabe der Klöster. Pestkranke wurden vor den Stadttoren in St. Georg untergebracht und von Mönchen versorgt, in einem sogenannten „Seelenhaus“. Das „Heilig-Geist-Hospital“ war eine klösterliche Einrichtung und versorgte die Kranken in der Hansestadt. Das Geld dafür spendeten wohlhabende Bürger, um sich bei Gott Verdienste um das Seelenheil zu erwerben. Die Angst vor Hölle und ewiger Verdammnis war ihr Antrieb. So stifteten sie Kerzen und zahlten für Seelenmessen in der Hoffnung, sich und ihre Verstorbenen retten zu können. Das waren schlechte Aussichten für alle, die kein Geld zum Spenden hatten. Der Himmel erschien als ein Platz für die Reichen. Doch dann sorgte Johannes Bugenhagen 1526 mit seinem „Sendschreiben an die Hamburger“, einem langen Brief an die Bürger der Stadt, für Unruhe: Bugenhagen, ein Weggefährte Martin Luthers aus Pommern, vertrat die reformatorische Lehre. Die besagte, dass die Seele allein aus Gottes Gnaden gerettet wird, nicht durch noch so großzügige Spenden. Gott ist nicht käuflich. Aber wer sollte jetzt noch für Arme Geld geben, wenn man sich damit nicht das Seelenheil erwerben konnte? Bugenhagen warb dafür, dass die Menschen nicht mehr spenden, weil sie um ihr Seelenheil bangen, sondern aus Dankbarkeit für ihr gesegnetes Leben aus Gottes Gnade. Er hatte dafür ein starkes Bild: Der gläubige Christ ist wie ein guter Baum. Er wird seine guten Früchte bringen. Darauf vertraute der Gottesmann. Nach Hamburg berufen, hat der Reformator des Nordens 1529 eine Kirchenordnung erlassen. Sie brachte die Einrichtung des Gotteskastens: In allen Kirchen Hamburgs sollten sichtbar für Glaube und Nächstenliebe gehörten endlich zusammen. alle Gläubigen Kästen stehen, in die hinein freiwillige Spenden gegeben wurden. Besonders den reichen Bürgern wurde ins Gewissen geredet, reichlich zu spenden. Der Glaube an Gott und der Dienst der Nächstenliebe gehörten für die Reformatoren zusammen. „Was ihr getan habt einem meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir getan“ – dieses Jesus-Wort wurde häufig von den Reformatoren zitiert. Bugenhagen glaubte, dass am Ende aller Tage vor dem Jüngsten Gericht alle Barmherzigkeit den Armen gegenüber einmal ins Gewicht fallen würde. Heftig widersprochen wurde aber der Vorstellung, das Seelenheil kaufen zu können. Gottes Himmel ist nicht käuflich. Noch heute gehört der Gotteskasten zum festen Mobiliar alter Hamburger Kirchen. Die Bugenhagensche Kirchenordnung hat das Schulwesen neu geordnet. Im Mittelalter konnten nur ganz wenige Menschen lesen und schreiben und das fast nur auf Latein. Die Reformation glaubte, dass jeder die Heilige Schrift in seiner Muttersprache lesen können sollte. Martin Luther hatte die Bibel dazu ins Deutsche übersetzt, die Buchdruckerkunst war im Aufschwung und vervielfältigte die Heilige Schrift. Das Schulgeld konnten viele aber nicht zahlen. Bettelnde Schüler gehörten zum Straßenbild. Mit der Reformation gab es die Aussicht auf Stipendien für Begabte aus dem Gotteskasten. Bildung für alle war noch ein Traum, aber mit der Reformation hatten erstmals auch Mädchen Aussichten auf einen Schulbesuch. 41 Reformation in Hamburg Johannes Bugenhagen (1485–1558) war Seelsorger und Freund von Martin Luther. 1528 kam der Geistliche aus Pommern nach Hamburg, um hier die Reformation umzusetzen. In nur sechs Monaten verfasste Bugenhagen eine neue Kirchenordnung, reformierte das Armenwesen, regelte das Schulwesen neu und gründete die Gelehrtenschule des Johanneums. Seit der Reformation wurde der Gotteskasten durch Armendiakone verwaltet. Die katholischen Klöster wurden geschlossen, das Armenwesen in Hamburg musste neu geordnet werden. Nun war die Bürgergemeinde zuständig, diese Aufgabe gemeinsam zu verantworten. Das Vertrauen in diese Arbeit durfte durch keine Veruntreuung zerstört werden. So entwickelten sich Kontrollsysteme und eine Buchführung. Die ist bis heute in den Archiven der Stadt einsehbar und gibt Aufschluss darüber, wofür die Mittel verwendet wurden. Es gab Brotverteilungen, aber auch Bargeld wurde den Armen ausgezahlt, einigen regelmäßig. War jemand durch Unfall oder Brand in Armut geraten, gab es größere Summen zur Unterstützung. Auch sind Fälle notiert, in denen Flüchtlingen Unterstützung gegeben wurde. Hebammen – im Mittelalter oft unter Hexereiverdacht – erhielten neue Wertschätzung und wurden aus dem Gotteskasten unterstützt. Sie mussten dafür armen Frauen bei der Geburt helfen. Die Kindersterblichkeit sank. Vieles von dem, was wir heute im Sozial staat kennen, war damals neu, reformatorisch – und revolutionär. • Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de Sieghard Wilm ist seit 2002 Pastor der St.-Pauli-Kirche.