38 <strong>CARE</strong> | Edition 4 EINE WELT für sich
INTERVIEW Jedes Fleckchen unserer Haut ist besiedelt von Abermillionen Mikroorganismen, und das ist auch gut so. Dieses private Ökosystem schützt uns vor Infektionen und freien Radikalen, erklärt Dr. Sabine Gütt im Interview. Und das ist noch lange nicht alles Fotos: Kateryna Kon/Shutterstock.com, Yuganov Konstantin/Shutterstock.com Bakterien – das Wort klingt ja erst einmal bedrohlich. Sind denn Mikroorganismen auf der Haut schädlich? SG: Ganz so einfach ist es nicht. Die menschliche Haut übernimmt eine Reihe essenzieller Schutzfunktionen, um das Gleichgewicht des gesamten Körpers zu sichern, und bildet eine Barriere gegen negative Einflüsse aus der Umwelt. Besiedelt wird das Hautorgan von einer großen Anzahl an Mikroorganismen, die ein komplexes Ökosystem repräsentieren: Hier gibt es gute, neutrale oder schädliche Mikroorganismen. Diese Gemeinschaft von Mikroorganismen nennt man „Mikroflora“ oder „Mikro biota“. Das korrespondierende genetische Material wird als „Mikrobiom“ bezeichnet. Alles verläuft friedlich, solange sich kein Mitglied dieser gelungenen Symbiose in den Vordergrund drängt. Was wäre die Folge, wenn das Ökosystem durcheinandergeraten würde? SG: Schaukeln sich pathogene Keime auf, so begünstigen sie Hautkrankheiten wie Akne oder Neurodermitis. Weiß man, wie viele Mikroorganismen auf der Haut siedeln? SG: Das lässt sich nur schätzen. Man kalkuliert mit dem Richtwert, dass im Durchschnitt pro Quadratzentimeter Haut etwa eine Million Mikroorganismen vorkommen. Macht bei rund zwei Quadratmetern Hautoberfläche sagenhafte 20 Milliarden kleine Gäste. SG: Nicht ganz. Betrachtet man die gesamte Oberfläche der Anhangsgebilde wie der Haare und kalkuliert man die vielen winzigen Vertiefungen in der Haut, also im follikularen und interfollikularen Epithel, mit ein, so ist bei einem einzigen Menschen eine Interaktionsfläche von 25 Quadratmetern möglich. Da wären rein rechnerisch 250 Milliarden denkbar. Was genau lebt denn da eigentlich auf unserer Haut? SG: Früher hat man die Mikroflora menschlicher Haut in zwei Gruppen klassifiziert: die transiente Flora, die aus Mikroorganismen besteht, welche durch den Kontakt des Menschen mit seiner Umgebung auf die Haut kommen. Ihre Zusammensetzung variiert permanent, weil solche Bakterien sich nur für Stunden oder Tage ansiedeln und in der Regel wieder verschwinden, ohne einen Schaden anzurichten. Davon abgetrennt ist die resistente Flora: Mikroorganismen, die auf und in der Hornschicht und in Follikeln wachsen. Sie bilden eine relativ stabile Population und schützen vor Infektionen durch externe pathogene Mikroorganismen. FACTS ABGEZÄHLT: Seit Kurzem ermöglichen Gentests, die Bakterien, Pilze und Viren auf der Haut exakt zu spezifizieren. Susan Huse, eine US-Biologin aus Providence, hat mithilfe dieser Technik bei einem Probanden genau nachgezählt: Hinter seinem linken Ohr fand sie 2363 Arten, in der rechten Ellenbeuge 3632. UNBEEINDRUCKT: „Das Mikrobiom eines gesunden Menschen hat Nehmerqualitäten“, erklärt Frau Professor Claudia Traidl-Hoffmann von der TU München, eine Pionierin der Mikrobiom-Forschung. Desinfiziert man sich die Hände, regeneriert es sich binnen weniger Stunden. NACHGEHOLFEN: Normalerweise wird Babyhaut bei der Geburt mit Laktobazillen aus dem Genitalbereich der Mutter besiedelt. Bei Kaiserschnittbabys fehlen diese Bazillen, und wie es aussieht, scheinen sie in der Folge ein höheres Neurodermitis-Risiko zu entwickeln. Immer mehr Ärzte empfehlen daher, Kaiserschnittbabys gleich nach der Geburt mit der Scheidenflüssigkeit der Mutter einzureiben. Bisher fehlen jedoch abschließende Untersuchungen, ob diese Maßnahme Einfluss auf die spätere Entwicklung von Hautkrankheiten hat. <strong>CARE</strong> | Edition 4 39