CARE_IV_Auszug
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INTERVIEW<br />
Jedes Fleckchen unserer Haut ist besiedelt von<br />
Abermillionen Mikroorganismen, und das ist auch gut so.<br />
Dieses private Ökosystem schützt uns vor Infektionen<br />
und freien Radikalen, erklärt Dr. Sabine Gütt im Interview.<br />
Und das ist noch lange nicht alles<br />
Fotos: Kateryna Kon/Shutterstock.com, Yuganov Konstantin/Shutterstock.com<br />
Bakterien – das Wort klingt ja<br />
erst einmal bedrohlich. Sind<br />
denn Mikroorganismen auf der<br />
Haut schädlich?<br />
SG: Ganz so einfach ist es nicht. Die<br />
menschliche Haut übernimmt eine<br />
Reihe essenzieller Schutzfunktionen,<br />
um das Gleichgewicht des gesamten<br />
Körpers zu sichern, und bildet eine<br />
Barriere gegen negative Einflüsse<br />
aus der Umwelt. Besiedelt wird das<br />
Hautorgan von einer großen Anzahl<br />
an Mikroorganismen, die ein komplexes<br />
Ökosystem repräsentieren:<br />
Hier gibt es gute, neutrale oder<br />
schädliche Mikroorganismen. Diese<br />
Gemeinschaft von Mikroorganismen<br />
nennt man „Mikroflora“ oder „Mikro<br />
biota“. Das korrespondierende<br />
genetische Material wird als „Mikrobiom“<br />
bezeichnet. Alles verläuft<br />
friedlich, solange sich kein Mitglied<br />
dieser gelungenen Symbiose in den<br />
Vordergrund drängt.<br />
Was wäre die Folge, wenn das<br />
Ökosystem durcheinandergeraten<br />
würde?<br />
SG: Schaukeln sich pathogene Keime<br />
auf, so begünstigen sie Hautkrankheiten<br />
wie Akne oder Neurodermitis.<br />
Weiß man, wie viele Mikroorganismen<br />
auf der Haut siedeln?<br />
SG: Das lässt sich nur schätzen. Man<br />
kalkuliert mit dem Richtwert, dass im<br />
Durchschnitt pro Quadratzentimeter<br />
Haut etwa eine Million Mikroorganismen<br />
vorkommen.<br />
Macht bei rund zwei Quadratmetern<br />
Hautoberfläche sagenhafte<br />
20 Milliarden kleine Gäste.<br />
SG: Nicht ganz. Betrachtet man die<br />
gesamte Oberfläche der Anhangsgebilde<br />
wie der Haare und kalkuliert<br />
man die vielen winzigen Vertiefungen<br />
in der Haut, also im follikularen und<br />
interfollikularen Epithel, mit ein, so ist<br />
bei einem einzigen Menschen eine<br />
Interaktionsfläche von 25 Quadratmetern<br />
möglich. Da wären rein<br />
rechnerisch 250 Milliarden denkbar.<br />
Was genau lebt denn da eigentlich<br />
auf unserer Haut?<br />
SG: Früher hat man die Mikroflora<br />
menschlicher Haut in zwei Gruppen<br />
klassifiziert: die transiente Flora, die<br />
aus Mikroorganismen besteht, welche<br />
durch den Kontakt des Menschen<br />
mit seiner Umgebung auf die<br />
Haut kommen. Ihre Zusammensetzung<br />
variiert permanent, weil solche<br />
Bakterien sich nur für Stunden oder<br />
Tage ansiedeln und in der Regel wieder<br />
verschwinden, ohne einen Schaden<br />
anzurichten. Davon abgetrennt<br />
ist die resistente Flora: Mikroorganismen,<br />
die auf und in der Hornschicht<br />
und in Follikeln wachsen. Sie bilden<br />
eine relativ stabile Population und<br />
schützen vor Infektionen durch externe<br />
pathogene Mikroorganismen. <br />
FACTS<br />
ABGEZÄHLT:<br />
Seit Kurzem ermöglichen Gentests, die Bakterien,<br />
Pilze und Viren auf der Haut exakt zu<br />
spezifizieren. Susan Huse, eine US-Biologin<br />
aus Providence, hat mithilfe dieser Technik<br />
bei einem Probanden genau nachgezählt: Hinter<br />
seinem linken Ohr fand sie 2363 Arten, in<br />
der rechten Ellenbeuge 3632.<br />
UNBEEINDRUCKT:<br />
„Das Mikrobiom eines gesunden Menschen<br />
hat Nehmerqualitäten“, erklärt Frau Professor<br />
Claudia Traidl-Hoffmann von der TU München,<br />
eine Pionierin der Mikrobiom-Forschung.<br />
Desinfiziert man sich die Hände,<br />
regeneriert es sich binnen weniger Stunden.<br />
NACHGEHOLFEN:<br />
Normalerweise wird Babyhaut<br />
bei der Geburt mit<br />
Laktobazillen aus dem Genitalbereich<br />
der Mutter besiedelt.<br />
Bei Kaiserschnittbabys<br />
fehlen diese Bazillen, und wie es aussieht,<br />
scheinen sie in der Folge ein höheres<br />
Neurodermitis-Risiko zu entwickeln. Immer<br />
mehr Ärzte empfehlen daher, Kaiserschnittbabys<br />
gleich nach der Geburt mit der Scheidenflüssigkeit<br />
der Mutter einzureiben. Bisher<br />
fehlen jedoch abschließende Untersuchungen,<br />
ob diese Maßnahme Einfluss auf die spätere<br />
Entwicklung von Hautkrankheiten hat.<br />
<strong>CARE</strong> | Edition 4<br />
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