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2008-03

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Stadtgeschichte<br />

völkerung war nicht mehr so enthusiastisch. Zwar hatte Hitler<br />

auch im Siegerland die Massen hinter sich, aber um sie für<br />

den Krieg zu begeistern, war die Erinnerung noch zu frisch.<br />

Nach der Einberufung von Ernst Koch an die Front, hatte<br />

Mutter Wilhelmine ein Stockwerk auf dem Stall aufbauen<br />

lassen, 1942 mussten die beiden Frauen sämtliche Gasträume<br />

an die Stahlwerke Südwestfalen vermieten, die ihre<br />

Diensträume von Düsseldorf nach Siegen evakuiert hatten.<br />

Im April 1945 hinterließ der Bombenangriff auf Siegen<br />

dann an Kochs Ecke ein Ruinenfeld. Nur der Stall und das<br />

darüber errichtete Häuschen waren unzerstört geblieben.<br />

Die Hundertjährige denkt zurück: „Wir haben immer Glück<br />

im Unglück gehabt, mit der Futterkrippe ìm Stall ging es<br />

wieder weiter.“<br />

Als Ernst Koch aus dem Krieg zurückkam, wurde fortgesetzt,<br />

was die beiden Frauen mit ersten Räumungsaufgaben<br />

begonnen hatten. Ein Jahr nach dem Angriff war ein<br />

ebenerdiges Gasthaus an Kochs Ecke entstanden.<br />

In der Hammerhütte war man sich in den Jahren des<br />

Wiederaufbaus noch nähergerückt als zuvor. Ernst Koch beobachtete,<br />

wie sich seine Schwester erinnert, mit Interesse,<br />

wenn seine Nachbarin, Lilo Kober, verwitwete Hollstein,<br />

aus ihrem zerstörten Haus gegenüber, St.-Johann-Straße 2,<br />

die noch brauchbaren Bausteine rettete. Der Junggeselle<br />

ließ dann, wie er später gestand, schon einmal die Brote<br />

im Ofen verbrennen, wenn er die Nachbarin zu lange mit<br />

Blicken verfolgt hatte. Es begann eine Freundschaft, die das<br />

Fundament der 1948 geschlossenen Ehe wurde.<br />

Das junge Ehepaar, an der Seite von Elisabeth und Mutter<br />

Wilhelmine, musste den Traum einer Hausaufstockung<br />

aufschieben. Die Geldreserven waren nach Eröffnung<br />

des neu erstandenen Gasthauses erschöpft. Nach Jahren<br />

sparsamsten Wirtschaftens kam aber dann 1955 doch der<br />

Tag, an dem endlich mithilfe der Sparkasse mit dem Aufbau<br />

begonnen werden konnte. Es wurde gemeinsam gerechnet,<br />

kalkuliert, geplant und angefangen. Die um zwei<br />

kleine Mädchen, Ulrike und Juliane, vergrößerte Familie<br />

brauchte Raum, und der Betrieb, dem die Einnahmen für<br />

Fremdenzimmer fehlten, brauchte Geld. Konzipiert wurde<br />

ein dreistöckiges Gebäude mit Gaststätte, Geschäft, Café<br />

und zehn Fremdenzimmern. Zu Ostern ist der Rohbau unter<br />

Dach und Fach. Der Innenausbau beginnt. Zu dieser<br />

Zeit wird Ernst Koch Vater des Sohnes Henner. Zu den Geschwistern<br />

gehört auch Albrecht Hollstein, Sohn von Lilo<br />

Koch aus erster Ehe.<br />

Im August 1956 zieht die nun sechsköpfige Familie im<br />

zweiten Stockwerk ein. Elisabeth bezieht den Altbau über<br />

der ehemaligen Futterkrippe. Der 30. November ist Eröffnungstag.<br />

Bei Aufgabe der Anzeige zu diesem Termin fällt<br />

den Kochs ein, dass sie das hundertjährige Jubiläum 1854<br />

ganz vergessen haben. Sehr viel später als ihr Elternhaus<br />

vollendet Elisabeth Koch am 5. Juli <strong>2008</strong> ihr Jahrhundert,<br />

ein Jubiläum, das nicht vergessen wurde.<br />

Die Bäckerei mit Backstube wird im Zuge der Entwicklung<br />

schweren Herzens 1956 an Bäckermeister Steinmann<br />

verpachtet, Abschied einer Familientradition durch Jahrhunderte.<br />

1963 stirbt Wihelmine Koch, die bis zum Tag<br />

ihres Todes mit der weißen Schürze in der Küche und hinter<br />

der Theke gestanden hatte.<br />

1966 wird Ernst Koch mitten aus dem Arbeitsleben gerissen.<br />

Trotz geschwächter Gesundheit durch die Kriegsjahre<br />

war die Aufgabe, die der Betrieb von ihm forderte,<br />

bis zum letzten Tag sein Lebensinhalt. Wer ihn gekannt hat,<br />

kannte und liebte seinen knorrigen Siegerländer Humor,<br />

mit dem er seine Gäste in allen Lebenslagen aufzuheitern<br />

wusste. Die Grundsätze von Gastwirt und Familienvater<br />

Koch waren nicht weniger patriarchalisch, als die seiner<br />

Väter. Das sah er selbst mit Humor und bekannte: „He is<br />

Diktatur. Demokratie is dusse.“ Ohne den Menschen, der<br />

Mutter<br />

Lina Koch<br />

mit den<br />

Kindern<br />

Ernst und<br />

Elisabeth<br />

den Stil der bodenständigen Wirtschaft zwei Jahrzehnte mit<br />

seiner Persönlichkeit geprägt hatte, ging es für den Familienbetrieb<br />

darum, dem beliebten Lokal seine Anziehungskraft<br />

zu erhalten.<br />

„Lokalkolorit“ war das Stichwort, das Lilo Koch bewog,<br />

eine Tradition einzuführen, die es in Siegen noch nicht<br />

gab. Siegerländer Trachtenmädchen in blauen Kattunkleidern<br />

– nach Vorbild aus dem westfälischen Trachtenbuch –<br />

bedienten die Gäste, die keinen Tag fernblieben, mit einer<br />

Auswahl Siegerländer Spezialitäten. So blieb das Haus ein<br />

Begriff für Volkstümlichkeit, neben der Aufgeschlossenheit<br />

gegenüber den Strömungen der Moderne. Trotzdem fassten<br />

die Inhaberinnen drei Jahre später den Entschluss, das<br />

Restaurant aufzugeben. Eine schwere Entscheidung, da ein<br />

weiteres Stück Berufstradition zu Ende ging. Im Dezember<br />

1968 wurde das Restaurant verpachtet.<br />

Mit einer großen Portion Wagemut begann Lilo Koch<br />

im Frühjahr 1969 mit ihrem Vorhaben, ein Hotel mit 60<br />

Betten entstehen zu lassen. Die Aufgabe der Hotels Huthsteiner<br />

und Monopol in dieser Zeit bestärkte sie in ihrem<br />

Vorhaben.<br />

Das Defizit an Hotelbetten hatte auch die Stadt Siegen<br />

beschäftigt. Nach einem erfolgreichen Gespräch mit dem<br />

14 durchblick 3/<strong>2008</strong>

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