2008-03
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Stadtgeschichte<br />
völkerung war nicht mehr so enthusiastisch. Zwar hatte Hitler<br />
auch im Siegerland die Massen hinter sich, aber um sie für<br />
den Krieg zu begeistern, war die Erinnerung noch zu frisch.<br />
Nach der Einberufung von Ernst Koch an die Front, hatte<br />
Mutter Wilhelmine ein Stockwerk auf dem Stall aufbauen<br />
lassen, 1942 mussten die beiden Frauen sämtliche Gasträume<br />
an die Stahlwerke Südwestfalen vermieten, die ihre<br />
Diensträume von Düsseldorf nach Siegen evakuiert hatten.<br />
Im April 1945 hinterließ der Bombenangriff auf Siegen<br />
dann an Kochs Ecke ein Ruinenfeld. Nur der Stall und das<br />
darüber errichtete Häuschen waren unzerstört geblieben.<br />
Die Hundertjährige denkt zurück: „Wir haben immer Glück<br />
im Unglück gehabt, mit der Futterkrippe ìm Stall ging es<br />
wieder weiter.“<br />
Als Ernst Koch aus dem Krieg zurückkam, wurde fortgesetzt,<br />
was die beiden Frauen mit ersten Räumungsaufgaben<br />
begonnen hatten. Ein Jahr nach dem Angriff war ein<br />
ebenerdiges Gasthaus an Kochs Ecke entstanden.<br />
In der Hammerhütte war man sich in den Jahren des<br />
Wiederaufbaus noch nähergerückt als zuvor. Ernst Koch beobachtete,<br />
wie sich seine Schwester erinnert, mit Interesse,<br />
wenn seine Nachbarin, Lilo Kober, verwitwete Hollstein,<br />
aus ihrem zerstörten Haus gegenüber, St.-Johann-Straße 2,<br />
die noch brauchbaren Bausteine rettete. Der Junggeselle<br />
ließ dann, wie er später gestand, schon einmal die Brote<br />
im Ofen verbrennen, wenn er die Nachbarin zu lange mit<br />
Blicken verfolgt hatte. Es begann eine Freundschaft, die das<br />
Fundament der 1948 geschlossenen Ehe wurde.<br />
Das junge Ehepaar, an der Seite von Elisabeth und Mutter<br />
Wilhelmine, musste den Traum einer Hausaufstockung<br />
aufschieben. Die Geldreserven waren nach Eröffnung<br />
des neu erstandenen Gasthauses erschöpft. Nach Jahren<br />
sparsamsten Wirtschaftens kam aber dann 1955 doch der<br />
Tag, an dem endlich mithilfe der Sparkasse mit dem Aufbau<br />
begonnen werden konnte. Es wurde gemeinsam gerechnet,<br />
kalkuliert, geplant und angefangen. Die um zwei<br />
kleine Mädchen, Ulrike und Juliane, vergrößerte Familie<br />
brauchte Raum, und der Betrieb, dem die Einnahmen für<br />
Fremdenzimmer fehlten, brauchte Geld. Konzipiert wurde<br />
ein dreistöckiges Gebäude mit Gaststätte, Geschäft, Café<br />
und zehn Fremdenzimmern. Zu Ostern ist der Rohbau unter<br />
Dach und Fach. Der Innenausbau beginnt. Zu dieser<br />
Zeit wird Ernst Koch Vater des Sohnes Henner. Zu den Geschwistern<br />
gehört auch Albrecht Hollstein, Sohn von Lilo<br />
Koch aus erster Ehe.<br />
Im August 1956 zieht die nun sechsköpfige Familie im<br />
zweiten Stockwerk ein. Elisabeth bezieht den Altbau über<br />
der ehemaligen Futterkrippe. Der 30. November ist Eröffnungstag.<br />
Bei Aufgabe der Anzeige zu diesem Termin fällt<br />
den Kochs ein, dass sie das hundertjährige Jubiläum 1854<br />
ganz vergessen haben. Sehr viel später als ihr Elternhaus<br />
vollendet Elisabeth Koch am 5. Juli <strong>2008</strong> ihr Jahrhundert,<br />
ein Jubiläum, das nicht vergessen wurde.<br />
Die Bäckerei mit Backstube wird im Zuge der Entwicklung<br />
schweren Herzens 1956 an Bäckermeister Steinmann<br />
verpachtet, Abschied einer Familientradition durch Jahrhunderte.<br />
1963 stirbt Wihelmine Koch, die bis zum Tag<br />
ihres Todes mit der weißen Schürze in der Küche und hinter<br />
der Theke gestanden hatte.<br />
1966 wird Ernst Koch mitten aus dem Arbeitsleben gerissen.<br />
Trotz geschwächter Gesundheit durch die Kriegsjahre<br />
war die Aufgabe, die der Betrieb von ihm forderte,<br />
bis zum letzten Tag sein Lebensinhalt. Wer ihn gekannt hat,<br />
kannte und liebte seinen knorrigen Siegerländer Humor,<br />
mit dem er seine Gäste in allen Lebenslagen aufzuheitern<br />
wusste. Die Grundsätze von Gastwirt und Familienvater<br />
Koch waren nicht weniger patriarchalisch, als die seiner<br />
Väter. Das sah er selbst mit Humor und bekannte: „He is<br />
Diktatur. Demokratie is dusse.“ Ohne den Menschen, der<br />
Mutter<br />
Lina Koch<br />
mit den<br />
Kindern<br />
Ernst und<br />
Elisabeth<br />
den Stil der bodenständigen Wirtschaft zwei Jahrzehnte mit<br />
seiner Persönlichkeit geprägt hatte, ging es für den Familienbetrieb<br />
darum, dem beliebten Lokal seine Anziehungskraft<br />
zu erhalten.<br />
„Lokalkolorit“ war das Stichwort, das Lilo Koch bewog,<br />
eine Tradition einzuführen, die es in Siegen noch nicht<br />
gab. Siegerländer Trachtenmädchen in blauen Kattunkleidern<br />
– nach Vorbild aus dem westfälischen Trachtenbuch –<br />
bedienten die Gäste, die keinen Tag fernblieben, mit einer<br />
Auswahl Siegerländer Spezialitäten. So blieb das Haus ein<br />
Begriff für Volkstümlichkeit, neben der Aufgeschlossenheit<br />
gegenüber den Strömungen der Moderne. Trotzdem fassten<br />
die Inhaberinnen drei Jahre später den Entschluss, das<br />
Restaurant aufzugeben. Eine schwere Entscheidung, da ein<br />
weiteres Stück Berufstradition zu Ende ging. Im Dezember<br />
1968 wurde das Restaurant verpachtet.<br />
Mit einer großen Portion Wagemut begann Lilo Koch<br />
im Frühjahr 1969 mit ihrem Vorhaben, ein Hotel mit 60<br />
Betten entstehen zu lassen. Die Aufgabe der Hotels Huthsteiner<br />
und Monopol in dieser Zeit bestärkte sie in ihrem<br />
Vorhaben.<br />
Das Defizit an Hotelbetten hatte auch die Stadt Siegen<br />
beschäftigt. Nach einem erfolgreichen Gespräch mit dem<br />
14 durchblick 3/<strong>2008</strong>