29.11.2017 Aufrufe

2008-03

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Unterhaltung<br />

Es ist angerichtet.<br />

Das Fest der ersten heiligen Kommunion meines kleinen<br />

Vetters war mal wieder so eine große Familienzusammenkunft,<br />

bei der zwar jeder mit jedem gesprochen hatte, aber<br />

am Abend keiner mehr wusste, was der Einzelne gesagt<br />

hatte. Die meisten hatten sich lange nicht gesehen, und so<br />

hörte der Redefluss zu keiner Minute auf. Immerhin waren<br />

es ja auch über zwanzig Personen die an einer langen<br />

Tafel zusammensaßen und bestens bewirtet wurden. Nach<br />

einem feudalen Mittagessen kamen zur Kaffeezeit Buttercreme<br />

und Sahnetorten, Kleingebäck, Kaffee und Tee sowie<br />

Sahne in großen Schüsseln auf den mit weißen Blumen<br />

dekorierten Tisch.<br />

Die Herren trugen dunkle Anzüge und die Damen waren<br />

nobel gekleidet und frisiert. Alles sah sehr festlich aus. Da<br />

das Kommunionkind auch unser Patenkind war, wollten wir<br />

ihm zum Andenken ein Album machen mit vielen Bildern<br />

von seiner Feier. So knipste mein Mann eifrig in die Runde.<br />

Der schön gedeckte Tisch, die vielen Geschenke und natürlich<br />

auch die Gäste wurden im Bild festgehalten. Tante<br />

Kätchen, ungefähr siebzig, recht mollig, immer gut frisiert,<br />

lächelte stets in die Kamera. Sie war direkt fotosüchtig.<br />

Als nun die Kaffeetafel nach und nach abgeräumt wurde,<br />

um Platz für die Genüsse des Abendessens zu schaffen,<br />

war der Tisch über und über voll. Die Kuchen und Torten<br />

und auch die Sahne standen noch, aber daneben wurden nun<br />

Fleisch, Soßen, Salate und andere Leckereien aufgebaut.<br />

Just in den Minuten fand unsere Tante Käte sich wohl<br />

besonders fotogen. Sie bedrängte meinen Mann, sie doch<br />

einmal so wie die Monroe im Bild für die Nachkommen<br />

festzuhalten. War das ein Jux? Für Tante Käte scheinbar<br />

nicht, denn sie drückte ihre Frisur zurecht, rötete ihre Lippen<br />

und warf sich mächtig in die sowieso schon reichlich<br />

vorhandene Brust. Mein Mann bat nun das Tantchen sich<br />

anders zu positionieren, damit man auch ihre strammen<br />

Beine sähe. Kätchen sprang auf und setzte sich mit übereinander<br />

geschlagenen Beinen auf die unterste Ecke der<br />

langen Tafel. Sie lächelte maliziös und die ganze Gästegesellschaft<br />

hatte ihre Freude daran.<br />

Nach kürzester Zeit aber war der Spaß augenblicklich<br />

vorbei. Durch das Gewicht von Tante Käte ging der Tisch<br />

mit ihr nach unten und das obere Tischende hob sich in<br />

die Höhe. Auf dem glatt polierten Tisch rutschte das weiße<br />

Tischtuch mit all den auf ihm stehenden Köstlichkeiten<br />

hinunter auf die bereits am Boden angekommene Tante<br />

Käte. Ein Bild für die Götter !!! Mit dem Po saß sie in der<br />

Sahneschüssel, auf dem Kopf war eine Portion Kartoffelsalat,<br />

die Buttercremtorte lag in ihrem Schoß, die rechte<br />

Hand hielt einen Weintraubenast und die linke einen Zweig<br />

Strauchtomaten. Eine lange Nudel zierte ihr Ohr wie ein<br />

Schmuckstück. Alles war mit Soße, Kaffee und mit Weinresten<br />

übergossen. Außerdem jede Menge defektes Porzellan.<br />

Tantchen blieb ganz ruhig sitzen und das erste, was sie<br />

nach dem Schrecken sagte war: „Nun knips mal Erhard, so<br />

schön war ich noch nie garniert.“<br />

Auch nach diesem Ungemach wurde noch viel gelacht.<br />

Meine Schwägerin – die ja Gastgeberin war – sagte nur:<br />

„Es ist angerichtet“<br />

Inge Göbel<br />

Von der Zauberkraft der Wertschätzung<br />

„ Wenn ich mich nicht selbst lobe, lobt mich keiner“,<br />

sagt meine Frau, als sie wieder mal ein gutes Mittagessen<br />

gekocht hatte. Ja, sie hat Recht: Ich habe den Eindruck,<br />

dass wir andere – und vielleicht auch uns selbst – zu wenig<br />

wertschätzen. Warum fällt uns das Loben so schwer? Wann<br />

sind Sie das letzte Mal gelobt worden, zu Hause oder in<br />

ihrem Ehrenamt oder überhaupt? Bekommen wir für unsere<br />

Mühe, unser Engagement Anerkennung? Wissen wir<br />

eigentlich, welche Fähigkeiten, Ideen und Möglichkeiten<br />

im anderen stecken?<br />

Wir sind einzigartig mit vielen Gaben, die in uns angelegt<br />

sind. Schon im Alten Testament bringt der Psalm 139 diese<br />

Wertschätzung zum Ausdruck: „Wunderbar und einzigartig<br />

ist ein jeder Mensch, den der Schöpfer ins Leben gerufen hat –<br />

gewoben im Schoß der Mutter, erdacht, geformt, gekannt, geliebt.“<br />

Oft setzen wir bei den Defiziten der Menschen an, statt<br />

die Stärken zu sehen und ihnen etwas zuzutrauen. Die einzigartige<br />

Konstellation von Persönlichkeit, Begabung, Beruf und<br />

Berufung, Temperament, Lebensgeschichte und Erfahrungen<br />

in jedem einzelnen Menschen gibt es nicht doppelt. Durch<br />

Der Kommentar: Heute von Horst Mahle<br />

interessiert-wertschätzende Gespräche, aktiv zuhören, den<br />

anderen und mich wahrnehmen – da können sich auf einmal<br />

ganz neue Türen öffnen. Wertschätzung ist eine Haltung,<br />

die auf einem Menschenbild beruht: Du bist mir wichtig, wir<br />

begegnen uns auf gleicher Augenhöhe. Unsere Beziehung basiert<br />

auf Wertschätzung, Echtheit und Empathie.<br />

Man spricht von<br />

einem Viererschritt zu<br />

einer wertschätzenden<br />

Haltung: „Achtsam sein<br />

– Ansehen schenken –<br />

wahrnehmen und zuhören<br />

– anerkennen und<br />

zutrauen“ mir selbst gegenüber<br />

und anderen gegenüber.<br />

Anerkennung,<br />

Wertschätzung sind<br />

gleichsam Zauberkräfte,<br />

die es zu entdecken gilt<br />

und die Horizonte öffnen<br />

können und motivieren.<br />

durchblick 3/<strong>2008</strong> 27<br />

durchblick Foto

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!