2008-03
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Unterhaltung<br />
Es ist angerichtet.<br />
Das Fest der ersten heiligen Kommunion meines kleinen<br />
Vetters war mal wieder so eine große Familienzusammenkunft,<br />
bei der zwar jeder mit jedem gesprochen hatte, aber<br />
am Abend keiner mehr wusste, was der Einzelne gesagt<br />
hatte. Die meisten hatten sich lange nicht gesehen, und so<br />
hörte der Redefluss zu keiner Minute auf. Immerhin waren<br />
es ja auch über zwanzig Personen die an einer langen<br />
Tafel zusammensaßen und bestens bewirtet wurden. Nach<br />
einem feudalen Mittagessen kamen zur Kaffeezeit Buttercreme<br />
und Sahnetorten, Kleingebäck, Kaffee und Tee sowie<br />
Sahne in großen Schüsseln auf den mit weißen Blumen<br />
dekorierten Tisch.<br />
Die Herren trugen dunkle Anzüge und die Damen waren<br />
nobel gekleidet und frisiert. Alles sah sehr festlich aus. Da<br />
das Kommunionkind auch unser Patenkind war, wollten wir<br />
ihm zum Andenken ein Album machen mit vielen Bildern<br />
von seiner Feier. So knipste mein Mann eifrig in die Runde.<br />
Der schön gedeckte Tisch, die vielen Geschenke und natürlich<br />
auch die Gäste wurden im Bild festgehalten. Tante<br />
Kätchen, ungefähr siebzig, recht mollig, immer gut frisiert,<br />
lächelte stets in die Kamera. Sie war direkt fotosüchtig.<br />
Als nun die Kaffeetafel nach und nach abgeräumt wurde,<br />
um Platz für die Genüsse des Abendessens zu schaffen,<br />
war der Tisch über und über voll. Die Kuchen und Torten<br />
und auch die Sahne standen noch, aber daneben wurden nun<br />
Fleisch, Soßen, Salate und andere Leckereien aufgebaut.<br />
Just in den Minuten fand unsere Tante Käte sich wohl<br />
besonders fotogen. Sie bedrängte meinen Mann, sie doch<br />
einmal so wie die Monroe im Bild für die Nachkommen<br />
festzuhalten. War das ein Jux? Für Tante Käte scheinbar<br />
nicht, denn sie drückte ihre Frisur zurecht, rötete ihre Lippen<br />
und warf sich mächtig in die sowieso schon reichlich<br />
vorhandene Brust. Mein Mann bat nun das Tantchen sich<br />
anders zu positionieren, damit man auch ihre strammen<br />
Beine sähe. Kätchen sprang auf und setzte sich mit übereinander<br />
geschlagenen Beinen auf die unterste Ecke der<br />
langen Tafel. Sie lächelte maliziös und die ganze Gästegesellschaft<br />
hatte ihre Freude daran.<br />
Nach kürzester Zeit aber war der Spaß augenblicklich<br />
vorbei. Durch das Gewicht von Tante Käte ging der Tisch<br />
mit ihr nach unten und das obere Tischende hob sich in<br />
die Höhe. Auf dem glatt polierten Tisch rutschte das weiße<br />
Tischtuch mit all den auf ihm stehenden Köstlichkeiten<br />
hinunter auf die bereits am Boden angekommene Tante<br />
Käte. Ein Bild für die Götter !!! Mit dem Po saß sie in der<br />
Sahneschüssel, auf dem Kopf war eine Portion Kartoffelsalat,<br />
die Buttercremtorte lag in ihrem Schoß, die rechte<br />
Hand hielt einen Weintraubenast und die linke einen Zweig<br />
Strauchtomaten. Eine lange Nudel zierte ihr Ohr wie ein<br />
Schmuckstück. Alles war mit Soße, Kaffee und mit Weinresten<br />
übergossen. Außerdem jede Menge defektes Porzellan.<br />
Tantchen blieb ganz ruhig sitzen und das erste, was sie<br />
nach dem Schrecken sagte war: „Nun knips mal Erhard, so<br />
schön war ich noch nie garniert.“<br />
Auch nach diesem Ungemach wurde noch viel gelacht.<br />
Meine Schwägerin – die ja Gastgeberin war – sagte nur:<br />
„Es ist angerichtet“<br />
Inge Göbel<br />
Von der Zauberkraft der Wertschätzung<br />
„ Wenn ich mich nicht selbst lobe, lobt mich keiner“,<br />
sagt meine Frau, als sie wieder mal ein gutes Mittagessen<br />
gekocht hatte. Ja, sie hat Recht: Ich habe den Eindruck,<br />
dass wir andere – und vielleicht auch uns selbst – zu wenig<br />
wertschätzen. Warum fällt uns das Loben so schwer? Wann<br />
sind Sie das letzte Mal gelobt worden, zu Hause oder in<br />
ihrem Ehrenamt oder überhaupt? Bekommen wir für unsere<br />
Mühe, unser Engagement Anerkennung? Wissen wir<br />
eigentlich, welche Fähigkeiten, Ideen und Möglichkeiten<br />
im anderen stecken?<br />
Wir sind einzigartig mit vielen Gaben, die in uns angelegt<br />
sind. Schon im Alten Testament bringt der Psalm 139 diese<br />
Wertschätzung zum Ausdruck: „Wunderbar und einzigartig<br />
ist ein jeder Mensch, den der Schöpfer ins Leben gerufen hat –<br />
gewoben im Schoß der Mutter, erdacht, geformt, gekannt, geliebt.“<br />
Oft setzen wir bei den Defiziten der Menschen an, statt<br />
die Stärken zu sehen und ihnen etwas zuzutrauen. Die einzigartige<br />
Konstellation von Persönlichkeit, Begabung, Beruf und<br />
Berufung, Temperament, Lebensgeschichte und Erfahrungen<br />
in jedem einzelnen Menschen gibt es nicht doppelt. Durch<br />
Der Kommentar: Heute von Horst Mahle<br />
interessiert-wertschätzende Gespräche, aktiv zuhören, den<br />
anderen und mich wahrnehmen – da können sich auf einmal<br />
ganz neue Türen öffnen. Wertschätzung ist eine Haltung,<br />
die auf einem Menschenbild beruht: Du bist mir wichtig, wir<br />
begegnen uns auf gleicher Augenhöhe. Unsere Beziehung basiert<br />
auf Wertschätzung, Echtheit und Empathie.<br />
Man spricht von<br />
einem Viererschritt zu<br />
einer wertschätzenden<br />
Haltung: „Achtsam sein<br />
– Ansehen schenken –<br />
wahrnehmen und zuhören<br />
– anerkennen und<br />
zutrauen“ mir selbst gegenüber<br />
und anderen gegenüber.<br />
Anerkennung,<br />
Wertschätzung sind<br />
gleichsam Zauberkräfte,<br />
die es zu entdecken gilt<br />
und die Horizonte öffnen<br />
können und motivieren.<br />
durchblick 3/<strong>2008</strong> 27<br />
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