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2010-04

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flitzten direkt ins Wohnzimmer und setzten uns vorbildlich<br />

auf die Stühle. Mutter öffnete die Tür, begrüßte<br />

den Nikolaus mit seinem Knecht Ruprecht und führte<br />

beide ins Wohnzimmer. Keiner von uns brachte einen<br />

Laut heraus, nur leise und ängstlich ein „guten Abend,<br />

lieber Nikolaus“. War das ein großer, starker Mann in<br />

einem langen, weißen Mantel und auf dem Kopf eine<br />

große, rote Mütze. Von seinem Gesicht konnte man nur<br />

die großen Augen durch die Brille sehen, alles andere<br />

war mit einem langen, weißen Bart bedeckt. Unter dem<br />

Arm trug er das dicke, Gold umrandete Buch, in dem<br />

alles geschrieben stand. Knecht Ruprecht sah etwas gefährlicher<br />

aus. In langer, schwarzer Hose und Jacke und<br />

mit einer wilden Haarfrisur stand er immer hinter dem<br />

Nikolaus und passte genau auf. Auf dem Rücken trug<br />

er einen braunen Sack und oben guckte die Rute heraus.<br />

Wir hatten eigentlich nichts zu befürchten – doch etwas<br />

war da doch in letzter Zeit öfters gewesen. „Wenn<br />

Mutter euch zu Bett gebracht hat,“ – so sprach der alte<br />

Mann – „wollt ihr nicht schlafen und kommt gerne aus<br />

den Betten zurück, das muss sich ändern, ich werde es<br />

noch eine Woche beobachten“! „Ja, Nikolaus“, versprachen<br />

wir hoch und heilig. Es gab noch ein paar Süßigkeiten<br />

und endlich ging er wieder. Eine ganze Woche<br />

schellte es abends, sobald wir im Bett lagen. Der Nikolaus<br />

machte seinen Kontrollgang, so wurde uns gesagt.<br />

Wir waren nun sehr erleichtert, dass der Nikolaus so<br />

langsam seinen Dienst auf der Erde beendet hatte, sich<br />

wieder auf seinen Schlitten setzte und mit seinem Gehilfen<br />

Richtung Himmel fuhr.<br />

Die Adventszeit war jetzt da. Ein großer aus frischen<br />

Tannenzweigen gebundener Kranz mit vier<br />

dicken, roten Kerzen und einem breiten, roten Band<br />

umbunden wurde unter die Decke im großen Wohnzimmer<br />

aufgehängt. Sobald es dämmerte, wurde erst<br />

eine Kerze und jeden Sonntag eine weitere angezündet.<br />

Eltern und Kinder versammelten sich im Zimmer<br />

und sangen Weihnachtslieder, Vater begleitete uns am<br />

Klavier. Manchmal roch es auch abends nach Weihnachtsgebäck.<br />

Mutter musste dem Christkind helfen -<br />

so hieß es – und über Nacht waren dann alle Plätzchen<br />

verschwunden. Wir Kinder machten uns natürlich auf<br />

die Suche nach all den Dingen, die nach und nach fehlten<br />

– für die Puppe sollte es ein neues Kleid geben - am<br />

Kinder-Dreirad fehlte eine Klingel. Alles das stand auf<br />

dem Wunschzettel - doch Puppe und Dreirad suchten<br />

wir vergebens. Es war Spannung pur. Manchmal verfärbte<br />

sich der Abendhimmel rot und es hieß: „Jetzt<br />

backt das Christkind Plätzchen!“<br />

Endlich war der 24. Dezember da, der „Heilige<br />

Abend“! Mutter hatte am Morgen noch alle Hände voll<br />

zu tun, und wir Kinder standen eigentlich immer im<br />

Weg, da wir ja auch so gespannt und neugierig waren.<br />

„Das Christkind fliegt jetzt durch alle Häuser und bringt<br />

die Gaben“, so hieß es – allerdings wieder mal durch<br />

die fest verriegelten Fenster. Wir hatten keine Chance,<br />

etwas zu sehen. Das Wohnzimmer war nun auch verschlossen.<br />

Endlich dämmerte es draußen. Mutter und<br />

wir Kinder standen frisch gebadet in Sonntagskleidung<br />

vor der Wohnzimmertür. Vater durfte im Zimmer sein<br />

und musste dem Christkind helfen. Da plötzlich, es klingelte<br />

das Weihnachtsglöckchen – wir durften eintreten.<br />

Nun sahen wir zum ersten Mal den mit Wachskerzen,<br />

Lametta und silbernen Kugeln geschmückten Weihnachtsbaum,<br />

der bis unter die Decke reichte. Unsere<br />

Augen strahlten mit dem Lichterbaum um die Wette.<br />

Wo waren denn nur die Geschenke? Unter dem Baum<br />

war alles mit einer weißen Decke zugedeckt. Vater stand<br />

im festlichen dunklen Anzug mit der aufgeschlagenen<br />

Bibel in der Hand vor dem Tannenbaum. Er las uns<br />

die Weihnachtsgeschichte vor, dann sangen wir „Stille<br />

Nacht, Heilige Nacht“, das Weihnachtslied, das um die<br />

Welt gegangen ist – wir Kinder wurden unruhig. Endlich<br />

kam die Erlösung – Vater zog das weiße Tuch von<br />

den Geschenken und da sahen wir nun die Bescherung.<br />

Es war für jeden etwas dabei.<br />

Nach all den Aufregungen versammelten wir uns um<br />

den Esstisch, der mit zwei roten Bändern geschmückt<br />

war. Es gab jedes Jahr „Kartoffelsalat mit Würstchen“,<br />

das war bei uns so Brauch. Als wir dann älter waren, besuchten<br />

wir nachts noch die Christmesse in der großen<br />

Kirche gegenüber. Dort war immer eine Weihnachtskrippe<br />

mit lebensgroßen Figuren aus Holz aufgebaut.<br />

Der Stall von Bethlehem – die Geburtsstätte Jesu – mit<br />

Maria und Joseph, dem Kind in der Krippe, den Tieren<br />

von der Weide und den drei Weisen aus dem Morgenland.<br />

Über allem leuchtete der Stern von Bethlehem, der<br />

allen Menschen den Weg zur Krippe zeigte.<br />

Und jetzt komme ich noch mal an den Anfang<br />

meiner Erinnerungen. War Weihnachten früher anders<br />

oder schöner? Ja, es war anders und schöner.<br />

Ohne Konsumrausch – ohne das Gedudel von Weihnachtsliedern<br />

in allen Kaufhäusern – ohne den bunten<br />

Schmuck an den Weihnachtsbäumen, ohne Girlanden<br />

in den Straßen von Laterne zu Laterne und ohne die<br />

vielen Süßigkeiten an allen Straßenecken, die man<br />

schon ab Oktober kaufen kann und noch vieles mehr,<br />

das die Menschen vergessen lässt, warum Weihnachten<br />

gefeiert wird. Helga Siebel-Achenbach<br />

Foto: Hartmut Reeh<br />

durchblick 4/<strong>2010</strong> 17

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