2010-04
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Buchbesprechung<br />
Die Taube<br />
Ich las Patrick Süskind 1985, als sein Roman „Das Parfum“<br />
veröffentlicht wurde, ein Buch das Furore machte<br />
und seinem Autor zum internationalen Durchbruch verhalf.<br />
In dieser Erzählung bedient er sich sowohl bei der<br />
schwarzen Romantik als auch bei dem Motiv-Kreis aus<br />
„Die Schöne und das Biest“, Nietzsches Einfluss ist ebenfalls<br />
unverkennbar.<br />
Mit dem Protagonisten in „Der Kontrabaß“, herausgegeben<br />
1984, hat er sich nach eigenen Angaben selbst ein<br />
Denkmal gesetzt. Auch er verbringt Zeiten seines Lebens<br />
in immer kleiner werdenden Zimmern, die zu verlassen ihm<br />
von Tag zu Tag schwerer fällt. Er wird sicherlich nicht enttäuscht<br />
in der Hoffnung, eines Tages einen Raum zu finden,<br />
der so klein ist und ihn so eng umschließt, dass er sich beim<br />
Verlassen selbst mitnimmt.<br />
Sein Roman „Die Taube“ hat mich überrascht. Ob er<br />
darin autobiografische Spuren hinterlässt, möge der Leser<br />
selbst entscheiden. Es bedarf vielleicht des Hinweises,<br />
dass Patrick Süskind, geboren 1949, zugespitzt formuliert,<br />
ein scheues Ich zu pflegen scheint. Als sensibler exzentrischer<br />
Mensch lebt er heute zurückgezogen in München<br />
und Paris. Er ist jeglichem Interview abhold und stellt<br />
sich keinem Kameraauge, er hat sogar den Literaturpreis<br />
abgelehnt.<br />
Die erstaunliche, zuerst gar etwas befremdlich anmutende<br />
Erzählung erschien 1987. Sie besticht durch wunderbare<br />
Poesie, ist atmosphärisch dicht gesponnen und psychologisch<br />
raffiniert unterfüttert. Sie ist sprachlich fein orchestriert<br />
und brillant formuliert, stellt ein verschwundenes verarmtes<br />
Leben in großer innerer Dramatik dar.<br />
Jonathan Noel ist die zentrale Figur in diesem Roman.<br />
Zwei weitere bemerkenswerte Charaktere treten auf, auch<br />
wenn ich sie nur kurz streife, welche da sind: Madame Rocard,<br />
die Concierge und ein namenloser Clochard. Jonathan<br />
Noel ist absoluter Minimalist, nimmt sich vom Leben<br />
mit all seinen Facetten nur das Allernötigste. Vielleicht ist<br />
so ein Leben leichter, die Bürde geringer, wenn man nur<br />
Zaungast ist. Kaum Kontakt zur Umwelt erspart einem<br />
das Gefangensein in seinen eigenen Befindlichkeiten. Er<br />
ist dennoch kein Lebensverweigerer, bis zu dem surrealen<br />
fast absurden Ereignis, welches den fatalistischen Ablauf<br />
seines Daseins in Frage stellt. Es ist die Konfrontation<br />
mit einer Taube, die für ihn fast zur Apokalypse wird.<br />
(das erinnert an Hitchcocks „Die Vögel“) Eine Taube,<br />
mag man einwerfen, Symbol des Friedens, für ein vereinsamtes<br />
überspanntes Gehirn, eine Ausgeburt der Hölle.<br />
Man kennt die Angst vieler Menschen vor Spinnen und<br />
Mäusen. Ich selbst bin der Auflösung nahe, wenn sich<br />
eine Schnecke durch das Metallgitter vor meinem Badezimmerfenster<br />
gequetscht hat und mir nun in der Dusche<br />
begegnet. Doch die Taube steht nur als Metapher für jedwedes,<br />
von außen kommendes Ereignis<br />
Ereignisreich waren bis jetzt nur seine Kindheit und Jugend.<br />
Wir begegnen ihm an einem Sommertag in Charenton<br />
1942, als er vom Angeln nach Hause kommt. Es hat ein Gewitter<br />
gegeben und es regnet. Auf dem Heimweg zieht er<br />
die Schuhe aus und läuft barfuß auf dem nassen Asphalt. Er<br />
patscht mit unwahrscheinlichem Vergnügen durch die Pfützen.<br />
Als er das Haus betritt, ist die Mutter nicht mehr da, auch<br />
der Vater verschwindet kurze Zeit später, deportiert. <br />
durchblick 4/<strong>2010</strong> 23