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2010-04

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Gesellschaft<br />

Rechtssicherheit bei Behandlungsabruch<br />

RA Kringe zum BGH-Urteil zur Sterbehilfe<br />

§<br />

Schon in seiner letzten Ausgabe<br />

hat der durchblick auf das wegweisende<br />

Urteil des Bundesgerichtshofs<br />

(BGH ) vom 25.6.<strong>2010</strong><br />

zur Sterbehilfe hingewiesen. Der<br />

Wilnsdorfer Rechtsanwalt und<br />

Notar, Michael Kringe, Fachanwalt<br />

für Familienrecht, schreibt<br />

für den durchblick dazu:<br />

Erkrankung. Der Behandlungsabbruch muss notwendig<br />

auf die Verhinderung oder Rückgängigmachung einer medizinischen<br />

Maßnahme gerichtet sein. Erfasst werden von<br />

erlaubten Behandlungsabbrüchen daher das Unterlassen<br />

einer lebenserhaltenden medizinischen Maßnahme, der<br />

Abbruch einer begonnenen Behandlung und die Inkaufnahme<br />

eines vorzeitigen Todes, wenn er als Nebenfolge einer<br />

palliativmedizinischen Behandlung, wie etwa der Schmerzlinderung,<br />

eintritt.<br />

Das Gericht musste über die Strafbarkeit eines Anwalts<br />

urteilen, der einer Mandantin empfohlen hatte,<br />

den Schlauch der Magensonde durchzutrennen,<br />

mit welcher deren Mutter, die sich in einem nicht mehr<br />

rückgängig zu machenden Wachkoma befand, ernährt wurde.<br />

Die Vorinstanzen hatten den Rechtsanwalt wegen versuchten<br />

Totschlags verurteilt.<br />

In der Entscheidung, mit der der BGH diese Urteile<br />

aufgehoben und den Anwalt freigesprochen hat, ergriff er<br />

die Gelegenheit, um die Grenzen zwischen erlaubter und<br />

unerlaubter Sterbehilfe neu zu definieren.<br />

Das Gericht diskutiert die Problematik im Spannungsverhältnis<br />

zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des<br />

Patienten und dem Gebot des Schutzes menschlichen Lebens.<br />

Es berücksichtigt außerdem das seit 2009 geltende<br />

sog. Patientenverfügungsgesetz. Dieses Gesetz ordnet<br />

eine am Patientenwillen orientierte Begrenzung der Behandlung<br />

bei zum Tode führenden Erkrankungen an. Der<br />

tatsächliche oder mutmaßliche Wille des Patienten ist unabhängig<br />

von Art und Stadium der Erkrankung Ausgangspunkt<br />

und Maß aller Behandlungsmaßnahmen.<br />

Der BGH stellt fest, dass die bisherige Unterscheidung<br />

zwischen bloßem Unterlassen, also passiver Sterbehilfe,<br />

die straffrei möglich ist, einerseits und aktivem Tun, also<br />

strafbarer aktiver Sterbehilfe, untauglich sei. Diese Unterscheidung<br />

habe in der Vergangenheit zu juristischen Kunstgriffen<br />

geführt, die zu Recht kritisiert worden seien.<br />

So hätten Gerichte beispielsweise das Abschalten<br />

eines Beatmungsgerätes als Unterlassen im juristischen<br />

Sinne interpretiert und seien so zur gewünschten Straffreiheit<br />

gekommen.<br />

Nun ersetzt das Gericht diese Unterscheidung durch<br />

den Begriff des „Behandlungsabbruchs“, der regelmäßig<br />

aus Elementen aktiven Handelns und passiven Unterlassens<br />

bestehe.<br />

Handlungen, die das Leben unabhängig von<br />

einem schweren Krankheitsprozess beenden,<br />

sind weiterhin strafbar.<br />

Ausführlich setzt das Gericht sich mit der Problematik<br />

des mutmaßlichen Patientenwillens auseinander. Es<br />

verweist für den Fall, dass der Patient seinen Willen nicht<br />

mehr äußern kann und ihn auch in der Vergangenheit nicht<br />

schriftlich geäußert hat auf die Regeln des Patientenverfügungsgesetzes,<br />

die Anhaltspunkte zur Ermittlung eines<br />

solchen Willens geben.<br />

Lob haben die Richter erhalten für die Deutlichkeit, mit<br />

der sie die Grenze zwischen strafbarer Tötung und strafloser<br />

Sterbehilfe, neu definiert haben. Sie erlaubt dem juristischen<br />

Laien, also Ärzten, Pflegekräften, Betreuern und<br />

Angehörigen eindeutig zu bestimmen, wie weit Eingriffe,<br />

die das Leben beenden, gehen dürfen bzw. wo die Strafbarkeit<br />

anfängt.<br />

Ein Behandlungsabbruch liegt nur dann vor, wenn er im<br />

Zusammenhang mit Sterbehilfe steht. Er setzt die Einwilligung<br />

des Betroffenen voraus sowie eine lebensbedrohliche<br />

durchblick 4/<strong>2010</strong> 55

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