2010-04
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Ein-Wort-Sätze<br />
V<br />
or einiger Zeit, wieder einmal angeregt durch einen<br />
„Guten Morgen“ – Artikel von Florian Adam in der<br />
Westfälischen Rundschau über „Ein-Wort-Sätze“,<br />
erinnerte ich mich an eine Busfahrt mit meinem gerade zwei<br />
Jahre alt gewordenen Enkel Yannik, der zu der Zeit die bunte<br />
Farbenwelt in seinen Sprachschatz aufgenommen hatte.<br />
Kinder plappern unentwegt, sobald sie sprechen können.<br />
Sie haben so viel zu sagen und zu fragen, dass es für sie viel<br />
zu lange dauert, in vollständigen Sätzen zu kommunizieren.<br />
Sie denken schneller, als sie sich mitteilen können und nehmen<br />
ihr Umfeld anders wahr als Erwachsene.<br />
An der Bushaltestelle:<br />
„Oma guck, weißer Bus kommt! Bus hält! Türe auf!<br />
Einsteigen! Oma komm, setzen! Türe zu! Bus fährt!“ Alles<br />
genauestens kommentiert und während er neben Oma<br />
am Fenster sitzt, entgeht nichts seinen wachsamen Augen.<br />
„Oma!“ „Ja!“ „Stuhl blau.“ „Ja-a!“ „Frau Haare rot, Mann<br />
Schuhe schwarz!“ „Ja-a-a!“, und ein ständiges Kopfnicken<br />
von Oma dazu.<br />
Kurz darauf: „Bus hält! Ampel rot!“ Während der Fahrer<br />
auf der Busspur warten muss, bis für ihn die Ampel wieder auf<br />
Grün umschaltet, fahren Autos langsam am Bus vorbei. Plötzlich<br />
klatscht der Kleine mit seinen pummeligen Händen auf die<br />
Fensterscheibe und jubelt lauthals: „Da! Da! Pobel Golf! Pobel<br />
Golf! Pobel Golf!“ Er war so begeistert von dem Opel, dass die<br />
Farbe für ihn wohl unwichtig zu sein schien. Er war weiß!<br />
Vor der nächsten Haltestelle: „Oma, guck, da! Grüner<br />
Mann! Bus hält! Türe auf! Grüner Mann steigt ein! Türe<br />
zu! Grüner Mann kommt! Grüner Mann sitzt!“ War das eine<br />
Aufregung für den Kleinen.<br />
Eine kunterbunte Busfahrt, die den Ablauf eines Geschehens<br />
präzise wiedergab, kurz, knapp, mit wenigen Worten<br />
verständlich, wenn auch nicht ganz dem Titel entsprechend.<br />
Übrigens, kein Alien, kein grünes Marsmännchen, nur ein<br />
netter älterer Herr in einem tollen grünen Outfit war zugestiegen<br />
– ein Förster in seiner Weidmannstracht.<br />
Und wie Florian Adam sagt: „Eine großartige Erfindung:<br />
Ein-Wort-Sätze. Einfach – Gut – Punktgenau. Bei Erwachsenen<br />
sind diese Perlen des Satzbaus allerdings anders<br />
als bei Kindern nur mäßig beliebt. Kinder wissen genau,<br />
worum es geht und was der Satz soll. Irgendwie ein Zeichen<br />
dafür, dass Erwachsene manchmal zu kompliziert denken.<br />
Schade eigentlich.“ Ich stimme dem zu. Gerda Greis<br />
Elisabeth<br />
Noch recht früh schlendert das Mädchen die Straße<br />
an diesem Morgen hinab.<br />
Kalt ist es, dämmrig und der missmutig gelaunten<br />
Mantelträger, die so wenig für Montage übrig haben,<br />
sind zahlreich. Das Mädchen hat noch etwas Zeit, muss<br />
nicht hetzen wie die Mantelträger. Für sie scheint die Zeit<br />
stehengeblieben zu sein. Die umliegenden Häuser und deren<br />
Gärten streichelt ein grauer, kühler, nebeliger Morgenwind.<br />
Manch einen der Mantelträger würde er erschauern<br />
lassen, da er zu Hause oft diese Zärtlichkeit vermisst.<br />
Elisabeth empfindet den dünnen Morgennebel, der das<br />
Licht der langsam aufgehenden Sonne bricht, in abertausende<br />
kleine Glitzerkristalle spaltet und dem Betrachter wie<br />
ein vom Himmel herabhängendes Seidentuch erscheint, als<br />
angenehm.<br />
Die heller werdenden Strahlen der Sonne, die durch die<br />
leeren Äste der knorrigen Bäume rundum nach Halt und<br />
Schatten greifen, lassen sie fasziniert stehen bleiben und<br />
nach Umrissen gucken, die der junge, im Osten noch rötlich<br />
schimmernde Feuerball nun schon werfen könnte.<br />
Vorsichtig tastet Elisabeth sich weiter, Angst habend,<br />
die Stille um sie herum durch eine unbedachte Bewegung<br />
brechen zu können. Ihr stierer Blick wandert langsam nach<br />
Norden zwischen den grauen Wänden der umliegenden<br />
Häuser hindurch. Dort kann sie die sanften, grünen Hügel<br />
auf der anderen Seite des Tales sehn, wo das Lager einst<br />
lag. Fünf Jahre. Fünf lange Jahre für sie ein Zuhause:<br />
Bistro rabotu i skoro domoi!<br />
Dann wünscht sie sich nichts mehr, als dort auf einem<br />
dieser Hügel zu sein, durch das von Tau feuchte Gras zu<br />
streifen und zuzusehen, wie die Sonne die dünnen, fast<br />
durchsichtigen Fäden eines Spinnennetzes in silbern schimmernde<br />
Seide webt und den Tau, der auf ihnen liegt, in<br />
strahlenden Perlen glitzern lässt.<br />
Die Vögel möchte sie sehen und hören ihren leisen Gesang,<br />
wenn der Tag anbricht und Wassertropfen Licht in<br />
Spektralfarben wandeln. Auch Bäume und Äste und Blätter<br />
ringsum gehören dazu.<br />
Noch einmal schaut Elisabeth sehnsüchtig nach Norden,<br />
schließt ihre Augen, nimmt Abschied. Dann verhärtet sich<br />
ihr Blick. Ihre Gesichtszüge werden prägnant und die sie so<br />
auf ihrem weiteren Leben begleiten. Jetzt lässt sie keinen<br />
mehr an ihre Gefühle heran, ist für alle unerreichbar.<br />
Für die Sonne bleibt sie empfänglich … gefühlvoll.<br />
Für die Welt ein gebrochener Haufen Mensch.<br />
PS: Um 10 Uhr 27 bestieg die 24-jährige Elisabeth den Zug,<br />
um dahin zu fahren, wo es für sie – genau wie für Hunderttausende<br />
andere – kein Zuhause mehr gab.<br />
Uwe Engelmann<br />
42 durchblick 4/<strong>2010</strong>