2010-04
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Unterhaltung<br />
Einen weiteren Misserfolg wollte sich der sichtlich verärgerte<br />
Erwin nicht erlauben. Eindringlich gab er jedem<br />
Helfer noch einmal genau seine Aufgabe bekannt und diesmal<br />
klappte es. Nach dem tiefen Eindringen des Bolzens ins<br />
Gehirn fiel das Schwein<br />
wie vom Blitz getroffen<br />
um. Ich war damals der<br />
felsenfesten Meinung, das<br />
Tier sei nun tot. Aber der<br />
Bolzen hatte lediglich die<br />
Aufgabe, es zu betäuben.<br />
Der Schlachter holte nun<br />
fix eines der Messer aus<br />
seinem Köcher und öffnete<br />
mit schnellem Schnitt<br />
die Halsschlagader. Meine<br />
Tante fing das als dicker<br />
Strahl herauspulsierende<br />
Blut in einer angewärmten<br />
Schüssel auf und entleerte<br />
Foto: Archiv Helga Düringer<br />
diese in einen Eimer.<br />
Nun kam meine erste<br />
Aufgabe, denn ich musste<br />
mit einem Holzlöffel das<br />
Blut im Eimer umrühren,<br />
damit es nicht gerann und damit unbrauchbar wurde. Der<br />
Schlachter hatte sich auf den heftig zuckenden Körper gesetzt<br />
und unterstützte mit rhythmischem Pumpen am Vorderbein<br />
erfolgreich das Auslaufen des Blutes. Endlich bewegten<br />
sich nur noch die Hinterbeine. Ich hatte so viel zu<br />
beobachten, dass meine Rührbewegungen dem Zucken des<br />
Tieres entsprachen und immer langsamer wurden. „Junge,<br />
rühr!“, fuhr man mich von allen Seiten an und der Löffel<br />
im Eimer bewegte sich wieder schneller.<br />
Mit vereinten Kräften hoben die Männer das am Blutverlust<br />
verendete Tier in den Trog auf die Eisenketten, deren<br />
Enden beidseitig heraushingen. Meine Mutter hatte inzwischen<br />
im Kupferkessel viele Eimer voll Wasser erhitzt.<br />
Schlachter Erwin goss dieses über den Schweinekörper, der<br />
danach mit den Ketten mehrmals im Trog hin und her gewälzt<br />
wurde – und schon war der größte Teil des leblosen Körpers<br />
dauerhaft enthaart. Mit glockenförmigen Schellen wurden<br />
die verbliebenen<br />
Borsten<br />
abgeschabt.<br />
Am geschlossenen<br />
Ende<br />
besaßen<br />
die Schellen<br />
einen kleinen<br />
Haken,<br />
mit dem der<br />
S c h l a c h ter<br />
die Hornklauen<br />
von<br />
den Füßen<br />
entfernte. Sobald<br />
die Haut<br />
haarlos war,<br />
band man die<br />
freigelegten<br />
Sehnen der<br />
Hinterbeine<br />
weit auseinander an einen kräftigen Holzbügel, Hebholz genannt.<br />
Mit dessen Hilfe wurde das Schwein von kräftigen<br />
Männerhänden an einer an der Hauswand stehenden Leiter<br />
aufgehängt. Erwin teilte nun den kopfüber hängenden Körper<br />
vom Ringelschwänzchen bis zum Rüssel in zwei Hälften,<br />
wobei die Innereien in eine parat stehende Wanne fielen. Nur<br />
noch durch die Haut am Rücken miteinander verbunden hingen<br />
zwei Schweinehälften aufgeklappt an der Leiter und man<br />
konnte nun endlich die Dicke der Speckschicht begutachten.<br />
Das war nicht unwichtig, denn die Qualität der gesamten<br />
Schlachtung wurde von den Beteiligten und den Nachbarn<br />
vor allem hiernach eingeschätzt.<br />
Wegen der geschilderten Verzögerung durch die Hatz<br />
Mit einem Hebholz wurde das Schwein von kräftigen Männerhänden an<br />
einer an der Hauswand stehenden Vorrichtung aufgehängt.<br />
war der für eine bestimmte Uhrzeit bestellte Fleisch-<br />
<br />
durchblick 4/<strong>2010</strong> 53