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Carl für Verl

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104 | 105 Lebensart Stadtkrimi<br />

DER WEIHNACHTSFALL Ein Stadtkrimi von Raiko Relling<br />

Zeichnung: Rebecca Bünermann<br />

Die Schlagzeile im »Westfalen-Kurier« entlockte mir ein wehmütiges Lächeln:<br />

»Millionengewinn <strong>für</strong> Karl Beckencord«. Der Gütersloher hatte den Lotto-Jackpot<br />

geknackt und das drei Wochen vor Weihnachten. Auch wenn sein Vorname<br />

sich mit K und nicht mir C schrieb und er Beckencord und nicht Beckenfort hieß,<br />

wurde ich öfter mit ihm verwechselt.<br />

So auch jetzt und immer wieder legte ich meinen Personalausweis auf den Tresen<br />

meines Kiosks, um sofort Klarheit zu schaffen. Das war das einzig Aufregende in<br />

den ersten Wochen des Weihnachtsgeschäftes. Doch es sollte noch ganz anders<br />

kommen.<br />

Am dritten Adventssonntag bereitete ich alles <strong>für</strong> das Frühgeschäft am Montag vor.<br />

Kaffeemaschine vorbereiten, die Butter aus dem Kühlschrank nehmen, damit sie<br />

morgens schnell streichzart war und die Zeitungsständer <strong>für</strong> die aktuellen Ausgaben<br />

freiräumen. Als ich gerade die Luke schließen wollte, spürte ich von hinten<br />

einen Druck im Rücken. »Kein Mucks, sonst knall ich dich gleich ab«, zischte mir<br />

eine Stimme zu und stieß mich in den Kiosk.<br />

Ich drehte mich um und blickte in zwei Augenschlitze. Eine vermummte Gestalt<br />

hielt mir einen Revolver direkt vor die Brust.<br />

»Das ist bestimmt eine Verwechslung«, sagte ich mit zitternder Stimme. »Bei mir<br />

ist nichts zu holen.«<br />

»Klappe halten! Schließ den Kiosk ab! Aber leise und mach hinne.«<br />

Fieberhaft überlegte ich, was ich tun sollte. Zuerst legte ich die Butter wieder in<br />

den Kühlschrank und stapelte die alten Zeitungen und Magazine auf die Theke.<br />

Meine Hoffnung war, dass Frau Gomez daran erkennen würde, dass etwas nicht in<br />

Ordnung war.<br />

Ich konnte meinen Kiosk noch abschließen, dann zerrte mich der Vermummte<br />

schon Richtung Martin-Luther-Kirche und in den Patt zur Kökerstraße. Mein Puls<br />

raste. Es war nicht die erste Entführung, die ich erleben musste. Aber das beruhigte<br />

mich auch nicht.<br />

Vor einem grauen Lieferwagen hielten wir an. Aus dem Schatten trat eine zweite<br />

Gestalt. Sie zwangen mich auf die Ladefläche und pappten mir einen Klebestreifen<br />

über den Mund. Mit Handschellen, die der<br />

erste Entführer aus seiner Tasche zog, kettete<br />

er mich im Inneren fest.<br />

Wir fuhren gefühlte drei Stunden. Trotz der<br />

unbequemen Lage nickte ich zwischendurch<br />

ein, denn ich hatte einen langen Tag hinter mir.<br />

Die einzige Erklärung, die ich <strong>für</strong> die Entführung<br />

hatte, war eine Verwechslung mit dem<br />

Lottogewinner. Ich hatte vor einigen Tagen gelesen,<br />

dass in Deutschland die Leseschwäche<br />

auf dem Vormarsch war. Vermutlich hatten die<br />

beiden von Beckencords Lottogewinn gelesen<br />

und glaubten mit mir das ganz große Los<br />

gezogen zu haben.<br />

Wie falsch ich mit meinen Mutmaßungen lag,<br />

merkte ich am Ende der Fahrt. Die beiden Vermummten<br />

zerrten mich ins Freie und führten<br />

mich zu einer Lagerhalle. Es war stockdunkel.<br />

Keine Laterne oder irgendein Licht ließen auf<br />

Gebäude in der Nähe schließen. Im Inneren der<br />

Halle schoben sie mich zunächst durch einen<br />

finsteren Korridor. Vor einer Stahltür drängte<br />

sich einer der beiden an mir vorbei.<br />

Gleißendes Licht blendete mich aus dem Inneren<br />

des Raumes, als er die Tür aufriss. Meine<br />

Augen gewöhnten sich nur langsam an die<br />

Scheinwerfer, da hörte ich schon eine Stimme,<br />

die mir bekannt vorkam.<br />

»Und da ist unser letzter Kandidat, meine Damen<br />

und Herren. Er kommt aus dem tiefsten<br />

Ostwestfalen und endlich auch mal ein Mann<br />

mit Lebenserfahrung. Da können sich unsere<br />

jungen Hüpfer aber bestimmt warm anziehen.«<br />

Donnernder Applaus erfüllte den Raum.<br />

Inzwischen hatten die beiden Entführer mir die<br />

Handschellen abgenommen und führten mich<br />

DER KIOSK-CARL:<br />

»Gestatten, mein Name ist <strong>Carl</strong>, <strong>Carl</strong><br />

Beckenfort – oder wie meine Kumpels von<br />

der Citywache immer sagen: Cibi. Jeden<br />

Morgen um sechs öffne ich die Luke meines<br />

Kiosks am Berliner Platz. Ich sehe, was in<br />

Gütersloh los ist. Und das ist erstaunlich<br />

viel. Zuviel, meinen Annalena und Horst. Um<br />

Punkt zehn holen die beiden Polizisten sich<br />

ihren Kaffee. Meinen Ratschlag in Sachen<br />

Verbrechensaufklärung gibt’s gratis dazu.<br />

Ich bin nämlich nicht nur bekannt <strong>für</strong> den<br />

stärksten Mokka der Stadt, sondern auch <strong>für</strong><br />

meine Spürnase. Wenn sich dann auch noch<br />

meine Aushilfe Frau Gomez einmischt, ist<br />

der Fall quasi schon gelöst.«<br />

auf ein Podest. Dort saßen schon elf junge Männer, mein Stuhl<br />

war der Zwölfte. Ich hatte immer noch keine Ahnung, was das<br />

sollte. Das änderte sich aber sofort.<br />

Ich war in einer Adventure-Show von LTR 7 gelandet. Der private<br />

Sender machte immer wieder mit spektakulären TV-Wettkämpfen<br />

von sich Reden und die Stimme gehörte zu Damian Wichhart, der<br />

auch die Sendung »Das Wüstencamp« moderierte. Anders als<br />

man es auf dem Bildschirm vermutete, gab es in der Halle aber<br />

nur uns Kandidaten und das Aufnahmeteam. Applaus, Lacher und<br />

sonstige menschliche Geräusche wurden eingespielt. Ungerührt<br />

tat Wichhart aber so, als spreche er mit einem Publikum im Saal.<br />

»Ihr habt Euch alle um die Teilnahme in unserer neuen Show<br />

»Goldrausch- gefährlicher Lockruf « beworben. Hut ab, vor so<br />

viel Mut. In den nächsten zwei Wochen werden wir Euch jeden Tag<br />

vor eine andere lebensgefährliche Aufgabe stellen. Ab Tag vier<br />

bestimmen unsere Zuschauer jeden Tag einen von Euch, der ausscheidet.<br />

Also gebt Euch Mühe. Und der Gewinner erhält am Ende<br />

Goldbarren im Wert von 100 000 €. Was sagt Ihr dazu?«<br />

Nun holte sich Wichhart von jedem Kandidaten ein »Statement«,<br />

wie er es so schön ausdrückte. Als er bei mir ankam, sagte er:<br />

»Ah, und hier unser Gütersloher. Bist du gespannt?«<br />

»Nein«, entgegnete ich. »Genervt.«<br />

Wichhart riss die Augen auf.<br />

»Warum sollte ich als älterer Herr an einer bekloppten Show<br />

teilnehmen? Euer Team hat sich vertan.«<br />

Wichhart rang nach Fassung.<br />

»Guter Gag, und ausgerechnet von einem Ostwestfalen«, versuchte<br />

er wieder Boden unter die Füße zu bekommen.<br />

»Das ist kein Witz. Überprüfen Sie einfach meinen Namen – <strong>Carl</strong><br />

Beckenfort.«<br />

Hilflos schaute Wichhart Richtung Kulissen. Es dauerte ein paar<br />

Momente, bis ein junges Mädchen auf ihn zugestürmt kam und<br />

ihm einen Zettel reichte.<br />

»Du bist gar nicht Kai Drenkelford?«, stammelte er.<br />

»Nein«, antwortete ich wahrheitsgetreu.<br />

»Du - Sie sind Karl Beckencord – der Lottomillionär?«<br />

Es heißt »Wer lesen kann, ist klar im Vorteil«, und diese Vorlage<br />

der leseschwachen Mitarbeiter von Schrei TV konnte ich mir nicht<br />

entgehen lassen. Ich sah ihm regungslos in die Augen.<br />

Sofort brach das Chaos aus. Kommandos ordneten den Aufnahmestopp<br />

an. Einige Scheinwerfer erloschen. Alle möglichen Leute<br />

Kampf<br />

um<br />

Kohle<br />

sprangen hektisch durcheinander.<br />

Ich wurde aus dem Saal<br />

in ein kleines Büro geleitet.<br />

Wichhart und ein Anzugträger<br />

standen bedröppelt vor<br />

mir und entschuldigten sich<br />

wortreich.<br />

»Das wird Folgen haben«,<br />

maulte ich sie an.<br />

»Es tut uns furchtbar leid.<br />

Das Ganze ist ein Missverständnis.<br />

Wir bringen Sie<br />

www.carl.media/qr/weihnachtsfall<br />

natürlich umgehend nach Hause.<br />

Möchten Sie einen Kaffee?«<br />

Und tatsächlich nach zwei weiteren Stunden im Fond eines<br />

Mercedes kam ich endlich wieder zu Hause an. Von unterwegs<br />

telefonierte ich kurz mit Jonas Cappel, dem <strong>Carl</strong>-Redakteur.<br />

Die Geschichte war einfach zu gut, um sie <strong>für</strong> mich zu behalten.<br />

Und schon am nächsten Tag wusste ganz Gütersloh Bescheid –<br />

Internet sei Dank.<br />

Während Frau Gomez noch über die knallharte Butter fluchte,<br />

strömten schon die ersten Neugierigen zu unserem Kiosk. Das<br />

Morgengeschäft lief grandios auch wenn ich noch etwas müde<br />

war. Im Laufe des Tages kamen auch die ersten Gratulanten.<br />

Natürlich stand Polizeiobermeister Horst Großejohann als einer<br />

der Ersten vor meiner Luke.<br />

»Das wird wirklich Folgen haben <strong>für</strong> LTR. Freiheitsberaubung,<br />

Nötigung und, und, und. Da kommt was zusammen«, dröhnte er.<br />

»Ich habe schon überlegt, ob ich <strong>für</strong> das Schmerzensgeld aufkomme«,<br />

warf ein schlanker älterer Herr ein. »Gestatten, mein<br />

Name ist Karl Beckencord. Ich vermute, sie hatten die Unannehmlichkeiten<br />

wegen mir.«<br />

Er lächelte mich an und fuhr fort: »Ich hatte an 100 000 € gedacht.«<br />

Meine Überraschung währte nur kurz. Dann hatte ich eine<br />

bessere Idee.<br />

»So war es nicht. Die hatten einen ganz anderen Kandidaten<br />

im Blick, der auch so ähnlich heißt wie wir. Aber was halten Sie<br />

davon, wenn Sie den LTR-Leuten ein Lesetraining spendieren.«<br />

Vom Autor selbst eingelesen – im Studio von<br />

Hier wird vorgelesen:<br />

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