NEUMANN März 2018
Das Magazin für Kultur & Lifestyle
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20<br />
Konzert<br />
KULTUR<br />
Audiovisuelle Performances mit drei Uraufführungen im Reutlinger franz.K<br />
Gegen die Grenzen im Kopf<br />
Abseits der Populärkultur geht die Reihe „Sonic Visions“ in die nächste Runde:<br />
Eingeladen haben Fried Dähn und Thomas Maos die Württembergische Philharmonie<br />
und den Chor capella vocalis, die im franz.K drei Uraufführungen präsentieren.<br />
Ist das der Rhythmus des 21. Jahrhunderts? Innovative<br />
und abseitige Klänge sowie die Interaktion mit<br />
Video und Film haben bei „Sonic Visions“ Tradition:<br />
Die interaktive Musikreihe feierte im Januar 2009<br />
ihre Premiere und hat sich seitdem zu einem wichtigen<br />
Forum für experimentelle und audiovisuelle<br />
Performance entwickelt. Selbst vor dem behäbigen<br />
Apparat großer Orchester machen die beiden Organisatoren<br />
Fried Dähn und Thomas Maos nicht Halt.<br />
Bei ihrer Zusammenarbeit mit der Württembergischen<br />
Philharmonie werden am 28. <strong>März</strong> einmal<br />
mehr Aufführungen präsentiert, die allesamt die<br />
Bezeichnung „Crossover“ verdient haben. Rund 20<br />
Musiker des Reutlinger Orchesters werden dieses<br />
Mal mit dem Chor capella vocalis, der VJ-Spezialistin<br />
Stefanie Sixt und den drei Komponisten Felix<br />
Leuschner, Immanuel Ott und Nikodemus Gollnau<br />
kooperieren, mit denen sie zuvor noch nie zusammengearbeitet<br />
haben. Mehrere Proben und eine<br />
Generalprobe müssen genügen, um ein ungewöhnliches<br />
Konzertformat zwischen klassischer und<br />
Neuer Musik, Elektronik und Video auf den Weg zu<br />
bringen.<br />
aufsteht, um das Cockpit zu verlassen, und endet<br />
mit dem Absturz des Flugzeugs. Dazwischen liegen<br />
elf Minuten, in denen der Copilot mehrfach Kurs<br />
und Geschwindigkeit nachregelt, um das Flugzeug<br />
zum Absturz zu bringen. Er hört das verzweifelte<br />
Hämmern seiner Kollegen an der verriegelten, undurchdringlichen<br />
Cockpit-Tür, die Kontaktversuche<br />
der Flugsicherung, später der Luftverteidigung<br />
und zuletzt die automatisierte akustische Warnung<br />
„Terrain! Terrain! Pull up! Pull up!“ Jedes dokumentierte<br />
Ereignis an Bord löst musikalische Ereignisse<br />
zwischen Improvisation und Interaktion aus, immer<br />
mit Blick auf eine Synthese von Klang und Bild.<br />
Bei der zweiten Aufführung mit dem Titel „3<br />
recycelt“ fühlt man sich in ein Versuchslabor für<br />
Neue Musik versetzt. Die klare Tonsprache des<br />
Komponisten, Musiktheoretikers und Hornisten<br />
Nikodemus Gollnau arbeitet sich hier an Strukturen<br />
entlang, die sich ins Sprachlose fallen lassen<br />
und die Grundrisse vertrauter Hörgewohnheiten<br />
zerstören. Das titelgebende Wort „Recycling“ ist<br />
musikalisch zentral für das Stück und zeigt sich<br />
in unterschiedlicher Klarheit und vielen Ebenen,<br />
denen das Recycling in Form von Wiederholungen<br />
innewohnt. Das musikalische Material wird mit<br />
Hilfe eines Horns, Live-Elektronik, Orchester und<br />
elektronischem Mehrkanalzuspiel klanglich hinterfragt,<br />
bestärkt, recycelt und mit sich selbst potenziert.<br />
Der Abend beginnt mit einem Monolog, in<br />
dem „ein allwissender Judas“ nicht nur die gesamte<br />
christliche Religion infrage stellt, sondern auch<br />
bezweifelt, dass Jesus der Messias ist und sein Tod<br />
Erlösung für die Menschen bedeutet. Begleitet wird<br />
Felix Leuchners Uraufführung mit dem Titel „No<br />
Judas, No Himmel“ von dem von Leuchner geleiteten<br />
Orchester, einem Knabenchor, Live-Elektronik<br />
und Video. Da eröffnen monochrome Klangbilder,<br />
elektronische Klänge und Videosequenzen jede<br />
Menge Raum und suggerieren eine Organität jenseits<br />
der klassischen Musikvideo-Vorbilder.<br />
Es ist zu vermuten, dass die Besucher nach diesen<br />
drei Uraufführungen ein bisschen mehr Melodie<br />
im Körper und Bilder im Kopf haben als sonst. Frei<br />
nach dem Motto: Aller Klang ist Musik und jedes<br />
Material lässt sich zum Klingen bringen. Das ist<br />
nur eine Frage der Perspektive und vor allem des<br />
Kontextes. jüsp<br />
SONIC VISIONS PHILHARMONIC <strong>2018</strong><br />
28.03. | 20 Uhr | franz.K | Reutlingen |<br />
„Terrain“ nennt sich eine der Kompositionen, in<br />
der sich Immanuel Ott musikalisch und visuell mit<br />
dem durch den Copiloten des Germanwings-Flugs<br />
9525 verursachten Flugzeugabsturz in den französischen<br />
Alpen auseinandersetzt. Ausgangspunkt<br />
sind dabei die zeitliche Dauer und die psychologischen<br />
Vorgänge an Bord des Fluges. Die Komposition<br />
beginnt mit dem Moment, in dem der Pilot<br />
Foto: o. Veranstalter | u. Jürgen Spieß<br />
<strong>März</strong> <strong>2018</strong>