02.03.2018 Aufrufe

Ich bin nicht Melanie Meiler

Ich bin nicht Melanie Meiler

Ich bin nicht Melanie Meiler

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

len sich dies viel zu leicht vor, aber es ist <strong>nicht</strong> einfach.<br />

Denken Sie denn, in der Art und Weise, wie Sie sich<br />

ihre Beine verschränken, sei kein Roman versteckt?<br />

Denken Sie doch <strong>nicht</strong>, Sie könnten ihr Privatleben vor<br />

mir verbergen, bloss dadurch, dass Sie sich hier neutral<br />

und korrekt verhalten. Es ist ein Fluch, Ihre Gesten und<br />

Ihre Gesichter laufend unfreiwillig entlarven zu<br />

müssen. Glauben Sie denn, Ihre Präsenz hier, sage<br />

<strong>nicht</strong>s aus? Sie denken doch <strong>nicht</strong>, ich wüsste <strong>nicht</strong>s<br />

über Verkrampfungen in der Hals- und Schulterpartie?<br />

Wie froh wäre ich, Sie hörten auf, sich laufend zu entblössen.<br />

Aus der Art und Weise wie Sie sich eben die<br />

Krawatte zurechtgestrichen haben, <strong>bin</strong> ich doch gezwungen,<br />

andere Situationen abzuleiten, in welchen<br />

Sie sich die Krawatte auch zurecht gestrichen haben.<br />

Vielleicht war es ein anderer Ort, vielleicht war es eine<br />

andere Krawatte, vielleicht sogar ein anderes Gegenüber,<br />

vielleicht redeten Sie gerade mit der Geliebten<br />

über ihre Ehefrau oder mit der Ehefrau über ihre Geliebte<br />

und vielleicht redeten Sie auch mit ihrem Chef<br />

und vielleicht ist ihr Chef eine Chefin und vielleicht ist<br />

Ihre Chefin Ihre Geliebte! Sie sind durchsichtig wie<br />

Glas. Meinen Sie denn, solchen Geschichten, wie Sie<br />

sie mir hier vorführen, könne ich mich einfach entziehen?<br />

Damit muss ich leben, ich <strong>bin</strong> dazu verflucht,<br />

damit leben zu müssen, mit Ihren Geschichten die mich<br />

allesamt <strong>nicht</strong>s angehen…Was kann ich dafür, dass ich<br />

voraushören kann, was Sie morgen Ihren Buchhändlerkollegen<br />

sagen und was diese <strong>nicht</strong> sagen werden?<br />

Glauben Sie etwa, ich könne mir <strong>nicht</strong> vorstellen, was<br />

Ihnen jetzt durch den Kopf geht? <strong>Ich</strong> will <strong>nicht</strong> Sie<br />

auch noch durchschauen müssen! Denken Sie denn<br />

wirklich, ich sei Schriftstellerin geworden, weil ich mir<br />

freiwillig vorstelle, was einer Buchhandelslehrfrau<br />

durch den Kopf geht? <strong>Ich</strong> <strong>bin</strong> Schriftstellerin geworden,<br />

weil ich <strong>nicht</strong> anders kann, als mir vorzustellen,<br />

was einer Buchhandelslehrfrau durch den Kopf geht!<br />

Besonders wenn sie solche Büchertische aufbauen,<br />

wenn sie 60 Stühle aufstellen musste, alle mühsam aus<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 22 -

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!