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akzent – DAS GRÖSSTE LIFESTYLE- & VERANSTALTUNGSMAGAZIN VOM BODENSEE BIS OBERSCHWABEN
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SEEZUNGE | STORY<br />
In Sachen Kaffee macht ihr so schnell keiner<br />
etwas vor: Barista Birgit Hotz hatte bereits eine<br />
eigene Kaffeelinie und leitete Seminare in ganz<br />
Deutschland, bevor sie 2007 ihre Rösterei „Genuss-Reich“<br />
in der Ziegelei in Radolfzell-Böhringen<br />
aufmachte. Hier, in diesem besonderen<br />
Ortsteil, sei eine gute Symbiose von Arbeiten<br />
und Wohnen möglich und außerdem sei es<br />
„eine coole Ecke“. Ihre Ausbildung als Barista,<br />
also als Barfachkraft mit Schwerpunkt Kaffeezubereitung,<br />
machte sie in der Schweiz: Und ja,<br />
„Barista“ sei eine internationale Bezeichnung<br />
und nicht nur in Italien gebräuchlich, wo es<br />
eine gute Kaffeebar in jedem Viertel gibt.<br />
Seit 2007 also röstet sie selbst, was sie vorher<br />
in einer Berliner Lohnrösterei in Auftrag gab.<br />
Neben der neuen Röstmaschine, die 30 Kilo<br />
fasst, lagern die Kaffeesäcke mit dem Rohkaffee.<br />
Jeder davon ist 65 Kilo schwer und<br />
unhandlich: „Sie bewegen sich immer<br />
in die entgegengesetzte Richtung,<br />
in die man möchte“, sagt Birgit<br />
Hotz lachend. Neben der<br />
Auswahl der Rohstoffe sei vor<br />
allem die Zeit wichtig: 25 bis<br />
30 Minuten dauert eine Charge,<br />
bis sie duftend aus dem<br />
Trommelröster kommt<br />
und man muss dabeibleiben<br />
und die Röstung<br />
überwachen.<br />
Denn das Rösten sei<br />
jeden Tag anders und<br />
zudem wetterabhängig.<br />
Der vorherige Röster fasste<br />
nur 12 Kilo und ließ noch<br />
Platz für einen großen Tresen,<br />
der jetzige dominiert den Raum<br />
und beendet für den Moment ihre Seminartätigkeit,<br />
wobei sie aber schon auf der<br />
Suche nach weiteren Räumen ist.<br />
Frisch geröstet und frisch gemahlen<br />
Wichtig ist das Rösten nach Bedarf, denn frisch<br />
geröstet hat der Kaffee am meisten Aroma.<br />
Frisch geröstet und frisch gemahlen: „Alles,<br />
was Sie riechen, fehlt als Aroma in der Tasse“,<br />
sagt Hotz. So sei es schlauer, öfter kleinere<br />
Mengen zu kaufen und die schnell zu verbrauchen.<br />
Oder den Kaffee zu Hause zu mahlen,<br />
gerade genug für die nächste Tasse oder Kanne.<br />
Der richtige Mahlgrad hängt wiederum von der<br />
Art der Zubereitung ab. „Jede Kultur hat ihre<br />
eigene Zubereitungsart gefunden“, sagt die<br />
Kaffee-Expertin. In Äthiopien, dem Ursprungsland<br />
des Kaffees, gäbe es<br />
sogar eine Kaffeezeremonie. In Griechenland<br />
wird in kleinen Kännchen aufgekocht, in Italien<br />
bevorzugt man den Espresso. Letzterer hat den<br />
Vorteil, dass der hohe Druck viel Aroma in die<br />
Tasse bringt, aber wenig belastende Stoffe. Er<br />
gilt als bekömmlicher als Filterkaffee. Auch in<br />
der Rösterei in der Ziegelei sind gute Kaffeemaschinen<br />
am Werk, die natürlich fachkundig<br />
bedient werden müssen. Auch das lernt man<br />
in einer Barista-Ausbildung, inklusive dem<br />
Aufschäumen der Milch und dem geschickten<br />
Zeichnen von Herzen oder Kringeln beim Zubereiten<br />
von Cappuccino. Neben dem Kaffeeverkauf<br />
vor Ort beliefert Hotz die Gastronomie<br />
und einige Einzelhändler, und sie verschickt<br />
Kaffee und Zubehör über ihren Online-Shop.<br />
Verpackt wird er in aufwendige Tüten mit<br />
Wiederverschluss und Ventil: Über das Ventil<br />
kann Gas raus, aber keines rein, bis zu einem<br />
Jahr bleiben die Bohnen darin frisch. Auch in<br />
der Rösterei Konstanz<br />
werden wir diese<br />
Tüten sehen.<br />
Industriekaffee versus Trommelröstung<br />
Das Wort „Industriekaffee“ spricht Hotz genauso<br />
verächtlich aus wie Rolf Bernhardt, Inhaber<br />
und Geschäftsführer der Kaffeerösterei<br />
Konstanz. Gerade ist er mit seinem Team und<br />
Geschäftspartnerin Patrizia Nabitz auf Expansionskurs:<br />
800 Quadratmeter haben sie im<br />
„Campus Konstanz“ an der Byk-Gulden-Straße<br />
neu angemietet, bis Ende <strong>Mai</strong> soll hier die<br />
Rösterei samt professionellen Seminarräumen<br />
stehen. Die Pläne sind fertig, die Einrichtung ist<br />
bestellt. Doch ein Handicap bleibt: Noch müssen<br />
sich Besucher vorne an der Pforte von Siemens<br />
anmelden und im Firmengelände einen<br />
kleinen Fußweg<br />
Sortenkunde<br />
Im Grunde gibt es nur zwei Sorten: den<br />
„Arabica“ (Coffea arabica), der so heißt,<br />
weil er ursprünglich über die arabischen<br />
Länder eingeführt wurde, und den „Robusta“<br />
(Coffea canephora), der erst Ende<br />
des 19. Jahrhunderts entdeckt wurde.<br />
Hochwertiger ist der Arabica, in manchen<br />
Mischungen, den „Blends“, findet<br />
sich auch Robusta. Kenner bevorzugen<br />
häufig sortenreine Kaffees aus nur einem<br />
Anbaugebiet. Die Vielfalt im Geschmack<br />
entsteht neben der Herkunft des Rohkaffees<br />
durch die Art der Röstung und der<br />
Zubereitung.<br />
zurücklegen. Wann der hintere Teil abgetrennt<br />
wird und einen eigenen Zugang erhält, sei leider<br />
noch nicht terminiert, so Bernhardt. Hier<br />
kann dann die Ausbildung für zukünftige Baristas<br />
und Kaffee-Experten Fahrt aufnehmen,<br />
ein Werksverkauf und eventuell ein Bistro<br />
kommen hinzu. Die bisherigen Räume<br />
am Stephansplatz waren eindeutig zu<br />
klein, dazu kam ein Mammutschaden<br />
durch Löschwasser nach einem<br />
Brand im vergangenen<br />
Herbst. Inzwischen konnte<br />
der Laden wieder geöffnet<br />
werden, samt Verkostung<br />
und Tischchen draußen. Im hinteren<br />
Teil wird auch am Stephansplatz erweitert.<br />
Doch zurück zum Industriekaffee: In den<br />
1950er- und 1960er-Jahren war die Kaffeewelt<br />
selbst bei Tschibo noch in Ordnung, erzählt<br />
Bernhardt. Jeweils zwei Mann betreuten die einzelnen<br />
Trommelröster. Doch heute werde von<br />
sechs Großröstern, die 90 Prozent des Marktes<br />
abdecken, in domhohen Anlagen im Heißluftstromverfahren<br />
geröstet. Bei 400 Grad gehe<br />
das anderthalb bis zwei Minuten, dann wird<br />
der Kaffee mit Sprühnebel schockgekühlt. Wer<br />
nun noch weiß, dass für jeden Kilo Röstkaffee<br />
in Deutschland 2,19 Euro Steuern an den Fiskus<br />
abgeführt werden müssen, kann sich vorstellen,<br />
dass so nur minderwertiger Rohkaffee<br />
in großen Mengen verarbeitet werden kann. Die<br />
Gewinnmarge bleibt in der Industrie dennoch<br />
hoch. Kaffee im Sonderangebot dient zudem<br />
als beliebter Lockvogel der Supermärkte. Vier<br />
Tassen trinkt jeder Deutsche<br />
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