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WISSEN<br />

ke, was er enthalte. Die Umschläge stellt<br />

er in ein Regal, so dass man wie bei einem<br />

Buch auf den Inhalt schliessen kann. Benutzt<br />

er einen Umschlag, so stellt er ihn<br />

hinterher auf die linke Seite des Regals.<br />

Dies führt dazu, dass sich kürzlich benutzte<br />

Umschläge auf der linken Seite des<br />

Regals sammeln, während sich diejenigen,<br />

die nie benutzt wurden auf der rechten<br />

Seite ballen. Von Zeit zu Zeit wirft<br />

Noguchi die Dokumente rechts einfach in<br />

den Papierkorb.<br />

Auf dieselbe Weise organisieren die<br />

Computer ihre Speicherplätze: Sie benutzen<br />

«Memory Caches», die klein, aber<br />

schnell zugänglich sind. Das Management<br />

dieser Caches stellt den Rechner vor<br />

dieselbe Herausforderung wie den Menschen:<br />

Er muss entscheiden, welche Information<br />

weiter benötigt werden, und<br />

welche im Papierkorb landen. Denn<br />

«nicht benutzt» ist ein guter Indikator dafür,<br />

dass man das Dokument vielleicht gar<br />

nicht mehr braucht.<br />

«EINORDNER» UND «AUFHÄUFER»<br />

Stellen sich Ihnen bei einem derartigen<br />

Vorgehen die Haare zu Berge, könnte es<br />

sein, dass Sie eher ein «Einordner» als ein<br />

«Aufhäufer» sind. Diese Unterscheidung<br />

machte in den 1980er-Jahren Thomas<br />

Malone, ein Professor am Massachusetts<br />

Institute of Technology. Einordner-Typen<br />

wollen immer eine formelle Organisationsstruktur<br />

für ihre Papierdokumente<br />

einführen, während die Aufhäufer lieber<br />

mit kleinen oder grossen Bergen Papier<br />

auf oder neben ihrem Schreibtisch arbeiten.<br />

Und von Zeit zu Zeit auf brachiale<br />

Weise aufräumen.<br />

Die Wissenschaftler Steve Whittaker<br />

und Julia Hirschberg studierten 2001<br />

Menschen in einem echten Büroumfeld.<br />

Selbst Dokumente ohne<br />

langfristigen Wert legen<br />

die «Einordner» in ihre<br />

Aktensysteme ab wie in<br />

kompliziert gegliederte<br />

Papierkörbe.<br />

Sie fanden dabei heraus, dass die Einordner<br />

unter überladenen Archiven ächzten.<br />

Wenn immer neue Dokumente eintrafen,<br />

mussten sie eine Entscheidung treffen, wo<br />

diese einzuordnen sind: Die Papiere durften<br />

nicht auf dem Schreibtisch liegen<br />

Die Chaos-Theorie<br />

FOLGENSCHWERE ÄNDERUNGEN<br />

Der Flügelschlag eines Schmetterlings<br />

in Brasilien kann einen Tornado<br />

in Texas auslösen. Doch nicht<br />

wegen des Schneeballeffekts, der<br />

bedeutet, dass sich kleine Aktionen<br />

aufschaukeln können und somit ein<br />

Schneeball eine Lawine auslösen<br />

kann. Der Grund ist das sogenannte<br />

Chaos. Eine Regenwolke ist deterministisch.<br />

Das bedeutet, für ihre Existenz<br />

und ihr Verhalten gibt es Ursachen.<br />

Sie befindet sich an ihrem<br />

Platz, weil sie vom Wind dorthin getrieben<br />

wurde. Und das konnte sie,<br />

weil sie zuvor durch die Verdampfung<br />

von Meereswasser entstanden<br />

ist. Und für alle Schritte davor gibt<br />

es ebenfalls Ursachen.<br />

Im Umkehrschluss müsste das bedeuten,<br />

dass wir das Wetter perfekt<br />

vorhersagen können müssten,<br />

wenn wir irgendwann den aktuellen<br />

Stand genau beobachten können<br />

und somit die Ursachen für das<br />

kommende Wetter kennen. Aber so<br />

ist es nicht. Am besten verstehen<br />

wir dies, wenn wir uns einen Billardtisch<br />

ohne Löcher vorstellen.<br />

Spielt man die Kugel, stösst sie von<br />

Seite zu Seite, bis sie still steht.<br />

Schlägt man die Kugel in einem<br />

leicht anderen Winkel an, ist das<br />

Ergebnis lediglich ein bisschen<br />

anders. Doch geben wir dem Tisch<br />

statt Ecken Rundungen, machen wir<br />

das ganze zu einem chaotischen<br />

System. Wenn wir nun die Kugel in<br />

einem leicht anderen Winkel anstossen,<br />

legt sie einen vollkommen anderen<br />

Weg zurück. Noch ein leicht<br />

anderer Winkel – wieder ein völlig<br />

anderer Weg. Der kleinste Unterschied<br />

in den Anfangskonditionen<br />

sorgt für ein grundlegend anderes<br />

Ergebnis. Und bei Wettersimulationen<br />

merkt man auch, dass dessen<br />

Anfangskonditionen äusserst sensibel<br />

sind. Wenn sich nur ein Parameter<br />

minimal ändert, hat dies ein völlig<br />

anderes Wetter zur Folge. Für ein<br />

paar Tage lässt sich zwar eine wahrscheinliche<br />

Vorhersage treffen. Darüber<br />

hinaus ist die Ungenauigkeit<br />

immens. Und das schon, wenn wir<br />

die Simulation von einigen wenigen<br />

Parametern abhängig machen. In<br />

der Realität gibt es jedoch unglaublich<br />

viele. Überlegt sich ein Pilot,<br />

seine Triebwerke eine halbe Sekunde<br />

später zu starten, kann dies langfristig<br />

den Unterschied zwischen<br />

Gewitter und Sonnenschein machen.<br />

CHAOS KOMMT HÄUFIG VOR<br />

Wie das Wetter<br />

wird, hängt teils<br />

von kleinsten<br />

Faktoren ab.<br />

Aber in der Chaostheorie geht es<br />

bei weitem nicht nur ums Wetter.<br />

Auch sehr simple Dinge sind chaotisch.<br />

Hängt man an einen Pendel –<br />

eines der berechenbarsten Dinge<br />

überhaupt – ein weiteres Pendel,<br />

gibt es keine Chance mehr, die Bewegung<br />

zu berechnen. Ist der Startpunkt<br />

minimal verschoben, oder<br />

gibt es einen minimalen Luftzug,<br />

legt das Pendel eine Strecke zurück,<br />

die nichts mehr mit der vorherigen<br />

zu tun hat. Die Chaostheorie findet<br />

auch Anwendung im Verkehr, beim<br />

Aktienmarkt, bei psychischen<br />

Störungen oder den Krisen unserer<br />

Geschichte. Gewiss kann also ein<br />

Schmetterling für einen Tornado<br />

sorgen. Böse Tiere sind sie deswegen<br />

nicht. Denn wie Edward Lorenz<br />

sagte: Wenn der Flügelschlag eines<br />

Schmetterlings einen Tornado auslösen<br />

kann, so kann er auch den<br />

Effekt haben, ihn zu verhindern.<br />

FOTO: SHUTTERSTOCK.COM/TRIFF<br />

14 s’Positive 6 / 2018

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