sPositive_06_web
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TEXT: KLAUS ZAUGG<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK.COM/IANREDDING/PHOTOWIND/CONSTANTIN-CIPRIAN<br />
Zuerst ein kleiner Überblick über<br />
die Ziegen im Allgemeinen. Ziegen<br />
meckern ständig. Es liegt in<br />
ihrer Natur wie bei den Hunden<br />
das Bellen. Ziegen finden Meckern in<br />
Ordnung, was wir davon halten, interessiert<br />
sie wahrscheinlich nicht. Überhaupt<br />
sind ihnen die Menschen offenbar gleichgültig.<br />
Anders als die mit ihnen ziemlich<br />
nahe verwandten Schafe scharen sie sich<br />
nicht gern um die Hirten. «Schafe zählen»<br />
ist ein beliebtes Ritual zum Einschlafen.<br />
«Ziegen zählen» funktioniert hingegen<br />
nicht als Mittel gegen Schlaflosigkeit. Wo<br />
Ziegen wirklich gezählt werden sollten,<br />
ist das meist ein schier unmögliches Unterfangen.<br />
Denn sie klettern nicht nur<br />
über Stock und Stein, sondern auch auf<br />
Bäume, in deren Kronen sie sich ziemlich<br />
gut verstecken können.<br />
UNZUGÄNGLICHE KLETTERMEISTER<br />
Schätzungen zufolge (exakte Zählungen<br />
sind ja nicht möglich) gibt es auf der Erde<br />
über siebenhundert Millionen Ziegen. Die<br />
Ziege ist nach Rind, Schaf, Schwein und<br />
Hund das fünfthäufigste Nutztier. Ein beträchtlicher<br />
Anteil davon lebt verwildert<br />
irgendwo auf Inseln, in schwer zugänglichen<br />
Gebirgen oder im dornigen Buschwerk.<br />
Auf Corvo, der kleinsten und westlichsten<br />
Insel der Azoren, werden Ziegen<br />
ausgesetzt und später gejagt. Diese Ziegenjagd<br />
ist eines der wenigen Vergnügen<br />
der Inselbewohner.<br />
Die Zahl der mehr oder weniger voneinander<br />
unterscheidbaren Ziegenrassen<br />
geht in die Hunderte. Gezüchtet werden<br />
Ziegen sind<br />
bekannt für ihre<br />
Milch, Böcke für<br />
ihren stinkenden<br />
Sexuallockstoff.<br />
sie in drei Richtungen, nämlich als<br />
Fleischziegen, Milchziegen oder wegen<br />
ihrer Haare, die bei einigen Rassen mit<br />
zum Feinsten gehören, was sich an Wolle<br />
finden lässt. Zu den besonderen Spezies<br />
gehören die Vierhornziegen und die<br />
handzahmen Zwergziegen, die in zoologischen<br />
Gärten oft zur Unterhaltung der<br />
Kinder im Einsatz sind. Alle Ziegen gehören<br />
in die Verwandtschaft der Steinböcke<br />
und deshalb entspricht ihre Lust am Klettern<br />
ihrer wahren Natur. Mangels Kletterfelsen<br />
besteigen sie oft das Dach ihres<br />
Nur Durst und Hunger<br />
machen Ziegen gefügig,<br />
nicht aber eine Bindung<br />
zum Menschen. Das unterscheidet<br />
sie von den<br />
Schafen und Hunden.<br />
Stalles, um ihre Blicke in die Ferne<br />
schweifen zu lassen. Es ist dann nicht so<br />
einfach, sie wieder hinunter zu locken.<br />
Sie lassen sich nicht einfach mit einer<br />
Handvoll würziger Kräuter ködern. Ohnehin<br />
haben sie eine natürliche Abneigung<br />
gegen Gesellschaft. Um sich ihren<br />
Feinden zu entziehen, vertrauen sie lieber<br />
ihren Fähigkeiten zum Klettern, als<br />
dem Schutz einer Herde oder eines Stalles.<br />
Schafe zu bewachen ist deshalb ein<br />
Kinderspiel im Vergleich zum Ziegenhü-<br />
ten. Nur Durst und Hunger machen Ziegen<br />
gefügig, nicht aber eine Bindung zum<br />
Menschen. Das unterscheidet sie stark<br />
von den Schafen oder den Hunden.<br />
DER GEISSBOCK STINKT<br />
Und nun kommen wir zum Elend, ein<br />
Geissbock zu sein. Selbst wer sich nicht<br />
mit Ziegen auskennt und sich nicht für<br />
Nutztiere interessiert, weiss es: Der Geissbock<br />
stinkt. Und zwar fürchterlich. Wer<br />
sich nur ganz kurze Zeit in seiner Nähe<br />
aufhält, muss die Kleider wechseln, und<br />
wer längere Zeit, etwa auf einer Alp, mit<br />
einem Geissblock unter dem gleichen<br />
Dach lebt, bringt den penetranten Geruch<br />
nicht einmal mit Duschen sofort aus dem<br />
eigenen Körper.<br />
Dabei ist das Stinken ein Zeichen von<br />
Lebenslust und Potenz. In dem Augenblick,<br />
in dem der Geissbock so richtig gut<br />
drauf ist, wendet sich der Mensch also von<br />
ihm ab. Der Gestank ist in Tat und Wahrheit<br />
ein Sexuallockstoff, für unsere Nasen<br />
halt überdosiert. Erst recht, wenn der<br />
Geissbock in den Stall gesperrt wird. Das<br />
Dasein im Stall entspricht nicht seiner Natur.<br />
Der Geissbock sollte in der felsigen<br />
Natur erhöhte, prominente Positionen<br />
einnehmen können, von wo aus die Luftströmungen<br />
seine lustvolle Botschaft verbreiten.<br />
Die irgendwo im Dickicht fressenden<br />
Geissen-Damen wissen dann anhand<br />
des köstlichen, erregenden Duftes, wohin<br />
sie sich wenden können, wenn sie eine<br />
Begattung wünschen. Den konkurrierenden<br />
Böcken teilt die Schärfe des Duftes<br />
zugleich mit, in welcher körperlichen<br />
s’Positive 6 / 2018 35