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DIE GESCHICHTE DES STÖCKLI<br />

Die ältesten<br />

Stöckli stammen<br />

aus den 1500er und<br />

frühen 1600er<br />

Jahren.<br />

her oder später zur Übergabe des Hofes.<br />

Aber eins war sicher, er tat es erst, wenn<br />

er sich vergewissert hatte: Es geht. Es<br />

geht finanziell und es geht auf dem Hof<br />

recht weiter.<br />

Der alte Bauer zog erst dann ins Stöckli,<br />

wenn die Hofübergabe aufgrund von<br />

wohlerwogenen Abmachungen geregelt<br />

war. Alleine die Tatsache, dass ein Stöckli<br />

da ist, bedeutete im Bewusstsein eine<br />

Sicherung. Es gab keine Ungewissheiten,<br />

keine Sorgen und Ängste, wie der Alltag<br />

nach der Hofübergabe aussehen wird:<br />

Das Stöckli ist als Wohnraum vorhanden.<br />

Ein Wohnraum, mit dem man zeitlebens<br />

vertraut war. Wo schon die Vorväter ihren<br />

Lebensabend verbracht hatten. Das<br />

Stöckli war ein Stück Heimat, der Zusammenhang<br />

der Familie blieb gewahrt. Und<br />

es war im weitesten Sinne ein Zufluchtsort.<br />

Als im Jahre 1917 die entthronte<br />

griechische Königsfamilie in der Schweiz<br />

um Asyl nachsuchte, schrieb das «Emmenthaler<br />

Blatt»: «We si i d’Schwyz chöme,<br />

so wird ne der Bundesrat scho öppe<br />

für nes Stöckli luege…»<br />

Mit dem Stöckli gab es<br />

keine Ungewissheiten,<br />

Sorgen oder Ängste,<br />

wie der Alltag im Alter<br />

nach der Hofübergabe<br />

aussehen wird.<br />

ENTSCHÄRFTE KONFLIKTE<br />

Alte Menschen haben das starke Bedürfnis,<br />

wenn immer möglich unabhängig<br />

und selbstständig zu bleiben. Nicht nur<br />

finanziell, sondern auch in ihrer ganzen<br />

Lebensführung. Sie wollen ihren Tagesablauf<br />

und ihren Tagesinhalt frei gestalten<br />

und nach ihrem eigenen Lebensgefühl<br />

ihren Lebensabend geniessen. Aus diesem<br />

Grund sträuben sich viele Betagte, in<br />

ein Altersheim einzutreten, wo sie sich<br />

einer ungewohnten Hausordnung unterziehen<br />

und sich in eine fremde Umwelt<br />

einfinden müssen. Und aus jahrhundertelanger<br />

Erfahrung weiss man, dass es zwischen<br />

jung und alt leicht Spannungen<br />

gibt. Die Alten sind geneigt, in ihrer Lebenserfahrung<br />

die allein gültige Norm zu<br />

sehen, ferner zu glauben, es in ihrer Jugend<br />

besser gemacht und sich besser benommen<br />

zu haben, als die Jugend von<br />

«heutzutage». Alte Menschen, die sich<br />

immer wieder auf die früheren, besseren<br />

Zeiten berufen, wirken verdriesslich auf<br />

die Jungen, die sich mit der Bewältigung<br />

der Gegenwart abmühen. Solche Gegensätze<br />

können, wenn alle unter einem<br />

Dach leben, zu einem Generationenkonflikt<br />

führen, der den gesamten Betrieb<br />

und damit den wirtschaftlichen Erfolg in<br />

Frage stellt. Durch den Umzug ins Stöckli<br />

wurde dieser Konflikt entschärft.<br />

Wir sehen also, wie klug das Stöckli in<br />

sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht<br />

war. Das Stöckli ist eine Einrichtung, die<br />

im bernischen, im oberaargauischen<br />

Brauchtum selbst gewachsen ist und es<br />

steht als Beispiel einer Lösung des Generationenproblems<br />

durch einen originellen<br />

Wohngedanken.<br />

HEUTE GANZ NORMALER WOHNRAUM<br />

Die Stöckli-Kultur hat im 21. Jahrhundert<br />

ihre Bedeutung durch den gesellschaftlichen<br />

und wirtschaftlichen Wandel verloren.<br />

Der Anteil der in der Landwirtschaft<br />

Erwerbstätigen ist von mehr 40 Prozent<br />

ums Jahr 1900 auf rund 20 Prozent Anfang<br />

der 1950er Jahre auf weniger als zwei<br />

Prozent im 21. Jahrhundert zurückgegangen.<br />

Die vom Stöckli geprägte Form des<br />

Zusammenlebens der Generationen hat<br />

heute stark an Bedeutung und Verbreitung<br />

verloren. Das Stöckli ist heute weitgehend<br />

ganz normaler Wohnraum geworden.<br />

Literatur:<br />

Das bernische Stöckli von<br />

Dr. A.L. Vischer.<br />

Geschichte Berns von Richard. Feller.<br />

D’Stöcklikrankheit von Karl Grunder<br />

Das bernische Stöckli, Band 47 Berner<br />

Heimatbücher von Walter Laederach<br />

30 s’Positive 6 / 2018

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