25.08.2018 Aufrufe

Der Burgbote 1973 (Jahrgang 53)

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

117<br />

Ja noch mehr: Die künstlerische Bedeutung<br />

der Onnagata war zu solch einem integrieren<br />

den Teil von Kabuki geworden, daß bei einem<br />

Ausfall dieser Darsteller die traditionelle We<br />

sensart von Kabuki vielleicht für immer ver<br />

loren gegangen wäre.<br />

Eine andere wichtige Eigenart von Kabuki ist<br />

seine Offenheit für andere Formen des Thea<br />

ters. Entstanden an der Wende des 16. Jahr<br />

hunderts, nahm es verschiedene Teile aller<br />

vorangegangenen Formen des japanischen<br />

Theaters in sich auf. Unter den traditionellen<br />

Formen des Theaters, von denen Kabuki in<br />

'^r Bühnentechnik und im Spielplan viel<br />

Jbrnommen hat, ragen das No-Drama und<br />

das Kyogen-Spiel hervor. Das zweite ist ein<br />

komisches Zwischenspiel bei No-Aufführungen.<br />

Heute ist die Zahl der Japaner, die No<br />

zu schätzen wissen, bei weitem geringer als<br />

die Anhänger von Kabuki. Aber gerade die<br />

vom No-Drama übernommenen und beein<br />

flußten Kabuki-Stücke erfreuen sich großer<br />

Beliebtheit und stellen einen wesentlichen<br />

Teil des Spielplans dar.<br />

Ein anderes Gebiet, von dem Kabuki profitiert<br />

hat, ist das Puppentheater, das oft unter dem<br />

Namen Bunraku genannt wird und dessen<br />

Entwicklung grob gesagt parallel zu der des<br />

frühen Kabuki lief. Beim Kabuki stand im<br />

Vordergrund immer der Schauspieler, viel<br />

mehr als andere künstlerische Gesichtspunkte,<br />

wie etwa der literarische Wert eines Stückes.<br />

Deshalb verließen im frühen 17. Jahrhundert<br />

einige der großen Dramatiker, unter ihnen der<br />

als „Shakespeare Japans" bekannte Monzaemon<br />

Chikamatsu, das Kabuki-Theater, das<br />

von den Schauspieler vollkommen beherrscht<br />

wurde, und wandten sich dem Puppentheater<br />

zu, bei dem ihrer schöpferischen Kraft der<br />

artige Zügel nicht angelegt waren. Die Folge<br />

^von war eine Zeit, in der die Schauspieler<br />

Mx\ den Puppen weit in den Schatten gestellt<br />

wurden und auch beim Volk das Puppenthea<br />

ter beliebter war als Kabuki. Um dieser Kon<br />

kurrenz begegnen zu können, übernahm Ka<br />

buki praktisch alle Puppenspiele in sein eige<br />

nes Programm. So finden heute mehr als die<br />

Hälfte der traditionellen Kabuki-Stücke, abge<br />

sehen von einer Gruppe Tanz-Dramen, ihren<br />

Ursprung im Puppentheater. Ein letztes Bei<br />

spiel dafür, daß Kabuki immer wieder neue<br />

Bausteine in sich aufnimmt, ist das ausge<br />

hende 19. Jahrhundert, als der literarische<br />

Realismus Eingang in diese alte Kunst fand.<br />

Bis zum Aufkommen von Kabuki hatte die<br />

Bevölkerung Japans kein Theater solcher Far<br />

benpracht und solcher Spannung, solchen<br />

Glanzes oder ganz allgemein gesagt, solcher<br />

Außergewöhnlichkeit gesehen. Wahrscheinlich<br />

gibt es kein Theater in der Welt, das daran<br />

dem Kabuki überlegen ist.<br />

II. <strong>Der</strong> Spielplan<br />

Es gibt etwa 300 Stücke des gewöhnlichen<br />

Kabuki-Repertoires. Dazu kommen in letzter<br />

Zeit neue Stücke von Schriftstellern, die nicht<br />

in direkter Verbindung mit Kabuki stehen. Bis<br />

her nämlich wurden die Stücke fast aus<br />

nahmslos von Schriftstellern des Kabuki-Theaters<br />

selbst geschrieben.<br />

Es gibt im Gesamten des Spielplanes eine<br />

Gruppe von Stücken, die Shosagoto oder Tanz<br />

dramen heißt. Diese Stücke befassen sich in<br />

erster Linie und fast ausschließlich mit Tanz.<br />

In diesen Tanzdramen tanzen die Darsteller<br />

bei voller Begleitung von Vokal- und Instru<br />

mentalmusik. Viele Stücke erzählen eine<br />

ganze Geschichte, während andere kaum<br />

mehr als Fragmente sind.<br />

Die nach Abzug der Tanzdramen übrigblei<br />

benden Kabuki-Stücke können vom Thema<br />

her und von den handelnden Personen her<br />

gesehen in zwei Kategorien eingeteilt werden.<br />

1) Historische Dramen (Jidai-Mono)<br />

In diesen Stücken werden historische Tat<br />

sachen gezeichnet oder dramatisch gestaltete<br />

Berichte aus dem Leben der Soldaten oder<br />

des Adels geboten.<br />

2) Bürgerliche Dramen (Sewa-Mono)<br />

Diese Stücke zeichnen ausnahmslos das Le<br />

ben der bürgerlichen Klasse. Den Mittelpunkt<br />

der Handlung bildet der gewöhnliche Mensch,<br />

III. Ästhetische Grundzüge<br />

1) Die Formalisierung der Darstellung<br />

Die Schönheit der Formalisierung ist einer der<br />

ästhetischen Grundsätze, auf die sich die<br />

Kunst des Kabuki in ihrer Gesamtheit stützt.<br />

Im Akt der Darstellung, dem wichtigsten As<br />

pekt von Kabuki, kommt diese Formalisierung<br />

zu ihrer höchsten Vollendung. Wenn sich ein<br />

Kabuki-Darsteller auf seine Rolle in einem<br />

klassischen Stück vorbereitet, dann wird er<br />

zuerst, wie es von alters her zur Gewohnheit<br />

geworden ist, mit dem Studium über den<br />

Stil seiner Vorgänger in dieser Rolle anfan<br />

gen. Ein solches Modell ist, selbst wenn es<br />

ursprünglich eine realistische Darstellung der<br />

Rolle gewesen sein sollte, im Laufe der Kabuki-Entwicklung<br />

bis zu einem hohen Grad<br />

formalisiert und symbolisiert worden, so daß<br />

in den realistischen Stücken sogar die ge<br />

wöhnlichsten Gesten dem Tanz näher stehen

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!