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Leo Oktober 2018

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MUSIK<br />

NACHGEFRAGT<br />

FOTO: SONY MUSIC<br />

JEAN-MICHEL JARRE<br />

Ende August hat er seinen<br />

70. Geburtstag gefeiert, bald<br />

bringt er ein neues Album heraus,<br />

das ganz im Zeichen der künstlichen<br />

Intelligenz stehen soll. Aber<br />

erst mal zelebriert der französische<br />

Pionier der elektronischen Musik<br />

ein halbes Jahrhundert seines<br />

einzigartigen Schaffens auf der<br />

Zusammenstellung „Planet Jarre –<br />

50 Years of Music“.<br />

Als wir mit Jean-Michel Jarre telefonieren,<br />

ist er gerade in seinem Hotelzimmer in Riad,<br />

der Hauptstadt Saudi-Arabiens. Ein ungewöhnlicher<br />

Ort? Für alle anderen vielleicht,<br />

für Jarre ist die Reise Routine. „Als Sonderbotschafter<br />

der UNESCO kümmere ich<br />

mich hier ganz konkret um eine Stiftung für<br />

die Bildung der Jugend“, erklärt er. Und er ist<br />

beeindruckt. „Das gesamte Land verändert<br />

sich momentan in einem rasant schnellen<br />

Tempo. Ich finde das wundervoll. Mich erinnert<br />

das an die Entwicklungssprünge von<br />

Tokio in den Achtzigern oder Shanghai zu<br />

Beginn dieses Jahrtausends. Alles bewegt<br />

sich in einer Megageschwindigkeit ins 21.<br />

Jahrhundert.“<br />

Jarre war im Laufe seiner Karriere nicht<br />

selten der Erste, der sich in ein neues Land<br />

traute. Dieses Entdecker- und Abenteurer-<br />

Gen ist ihm seit jeher zu eigen. So war der<br />

Musiker 1981 der erste westliche Musiker,<br />

der nach dem Tod Maos in China spielte.<br />

„Das ist richtig. Auch hier, wie eigentlich<br />

bei allen Aspekten meiner Kunst, ist meine<br />

Neugier verantwortlich gewesen. Verschiedene<br />

Länder, Kulturen, Religionen faszinieren<br />

mich einfach. Ich will all diese Menschen<br />

kennenlernen. Und seien wir ehrlich: Im<br />

Grunde sind wir doch alle gleich. Wir sollten<br />

nicht immer so viel auf unseren Unterschieden<br />

herumreiten, letztendlich sind die viel<br />

unbedeutender als unsere Gemeinsamkeiten.<br />

Meine Musik ist meine friedliche Waffe,<br />

mein pazifistisches Werkzeug, mit dem ich<br />

helfen möchte, Entwicklungen anzustoßen.“<br />

Von kulturellen Boykotten hält der<br />

Elektromeister entsprechend wenig. „Du<br />

musst erst recht dort hingehen, wo die<br />

Menschen sind, die eine gewisse kulturelle<br />

Offenheit dringender brauchen als etwa in<br />

deinem oder in meinem Heimatland. Mit<br />

Musik, mit Filmen, mit Büchern schaffst<br />

du Verbindungen. Gerade in der heutigen<br />

Weltsituation ist es doch besonders wichtig,<br />

gegenseitiges Verständnis füreinander und<br />

Interesse aneinander aufzubauen und zu<br />

stärken.“<br />

Das Album heißt „Planet Jarre“. Das ergibt<br />

Sinn. Er hat Konzerte für die Weltraumbehörde<br />

NASA gespielt, ein Album dem Unterwasserforscher<br />

Jacques-Yves Cousteau<br />

gewidmet und ist in Wüsten aufgetreten.<br />

Die Natur und ihre Bewahrung ist ein<br />

großes Anliegen von Jean-Michel Jarre.<br />

„Ich habe es immer geliebt, meine Musik<br />

mit Raum, Zeit und dem Universum zu<br />

verlinken. Umweltthemen sind Teil meines<br />

Lebens, spätestens seit „Oxygène“, das<br />

1976 rauskam. Damals warnte ich sehr früh,<br />

dass wir so nicht weitermachen können,<br />

ohne unsere Lebensgrundlagen zu zerstören.<br />

Bislang haben die Menschen immer<br />

Wege gefunden, um zu überleben, aber eine<br />

Selbstverständlichkeit ist das nicht.“<br />

„Planet Jarre“ ist ein pralles Album, eine<br />

richtige Werkschau. Es setzt sich aus 41<br />

Stücken zusammen, unterteilt in vier Abschnitte.<br />

Was steckt hinter der Aufteilung<br />

in „Soundscapes“, „Themes“, „Sequences“<br />

und „Explorations & Early Works“? Jarre: „Ich<br />

bin kein Freund von Greatest-Hits-Zusammenstellungen,<br />

also habe ich mich dieser<br />

Platte auf etwas anderem Wege genähert.<br />

„Wir waren Träumer“<br />

Ich habe realisiert, dass ich Musik in diesen<br />

vier verschiedenen Herangehensweisen<br />

komponiere: Teil Eins ist von meinem visuellen<br />

Ansatz abgeleitet, im zweiten Teil geht<br />

es in erster Linie um die Melodien, in Teil<br />

drei, der für mich das Herzstück der Platte<br />

ist, lege ich die DNA der elektronischen<br />

Musik frei und zeichne Klangmuster nach.<br />

Im letzten Teil schließlich arbeite ich mit<br />

rohen Sounds, die ich beispielsweise auf der<br />

Straße aufgenommen habe, und ich besuche<br />

meine frühen Einflüsse, die ‚Musique<br />

concrète‘, die ich unter Pierre Schaeffer<br />

erkundet habe, oder auch Stockhausen.<br />

‚Hypnose‘, das noch nie zuvor veröffentlicht<br />

wurde, ist dabei ein sehr früher Versuch,<br />

klassische Experimentalmusik mit Pop zu<br />

kombinieren.“<br />

Das Genre der elektronischen Musik,<br />

populärer als je zuvor und weit populärer<br />

als je von Jean-Michel Jarre vorausgeahnt,<br />

ermüdet den jung wirkenden 70-Jährigen<br />

auch nach einem halben Jahrhundert nicht.<br />

„Meine Seele ist bei jedem neuen Projekt<br />

noch genauso aufgekratzt wie zu Beginn<br />

meiner Karriere. Vor fünfzig Jahren hielt<br />

man uns für eine Horde verrückter Kids. Für<br />

Aliens, die mit komischen Maschinen herumhampelten<br />

und komische Musik machten.<br />

Rock war damals schon etabliert in den<br />

späten Sechzigern, und für mich, der von<br />

den Pariser Studentenprotesten fasziniert<br />

und begeistert war, ist Musik von Anfang an<br />

eine Form der Rebellion gewesen. Wir waren<br />

unschuldig, wir sind die Sachen anders angegangen,<br />

wir hatten im Gegensatz zu den<br />

Rockmusikern praktisch keine Vorbilder, an<br />

denen wir uns orientieren konnten. Heute<br />

kann ich wohl sagen, dass wir verrückten<br />

Träumer die Musik revolutioniert haben.“<br />

*Interview: Steffen Rüth

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