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THEATER KULTUR JOKER 5<br />
Der Himmel so weit<br />
Intendant Peter Carp inszeniert, Generalmusikdirektor Fabrice Bollon dirigiert „Eugen Onegin“<br />
zum Spielzeitstart des Freiburger Theaters<br />
Solen Mainguené und Michael Borth in Eugen Onegin<br />
Fotos: Tanja Dorendorf // T+ T Fotografie<br />
Bei Tschechow ist es der Kirschgarten,<br />
der in der russischen Provinz<br />
die schwere Melancholie ein<br />
wenig aufhellt. In Tschaikowskys<br />
„Eugen Onegin“ fällt der Blick im<br />
Freiburger Theater gleich zu Beginn<br />
auf einen hellblauen, leicht<br />
bewölkten Himmel, der die unerfüllten<br />
Sehnsüchte der Figuren<br />
spiegelt. Für Peter Carp ist dieses<br />
Kammerspiel um eine unerfüllte<br />
Liebe, diese Milieustudie aus dem<br />
zaristischen Russland nach dem<br />
Versroman von Alexander Puschkin<br />
erst die zweite Operninszenierung<br />
überhaupt. Der Freiburger<br />
Intendant, der „Eugen Onegin“<br />
in das Eröffnungswochenende<br />
seiner zweiten Spielzeit platziert<br />
hat, gibt Tschaikowskys<br />
„lyrischen Szenen“ genügend<br />
Raum (Bühne: Kaspar Zwimpfer,<br />
Kostüme: Gabriele Rupprecht).<br />
Sensibel gestaltet er Übergänge<br />
und findet atmosphärisch starke<br />
Bilder. Vor allem aber ist seine<br />
klare Personenführung nah an<br />
der Musik. Arien bereitet er szenisch<br />
vor. Psychologische Genauigkeit<br />
und Authentizität prägen<br />
seine Figurenzeichnung wie im<br />
zweiten Akt, wenn Eifersucht die<br />
Freundschaft zwischen Eugen<br />
Onegin und Lenski zerstört und<br />
aus entspannter Partystimmung<br />
(ein echter Farbtupfer: Roberto<br />
Gionfriddo als Triquet) ein tödliches<br />
Duell wird.<br />
Der Gutshof von Larina (solide,<br />
aber etwas farblos: Satik Tumyan)<br />
hat schon bessere Zeiten erlebt.<br />
Ein größerer Holzschuppen ist der<br />
Schauplatz des Liebesdramas, das<br />
folkloristisch-derb beginnt. Die<br />
Amme Filipjewna (berührend in<br />
ihrer Mischung aus Grobschlächtigkeit<br />
und Empathie: Anja Jung)<br />
wischt nicht den Tisch, sondern<br />
säubert das Gewehr. Beim Dorftanz<br />
geht es rustikal zu – die<br />
Übergänge zwischen Flirt und<br />
Belästigung sind fließend. Das<br />
Philharmonische Orchester Freiburg<br />
unter der Leitung von Generalmusikdirektor<br />
Fabrice Bollon<br />
lässt den Walzer immer schneller<br />
drehen, wobei in der Premiere<br />
die Koordination zwischen Chor<br />
(Einstudierung: Norbert Kleinschmidt)<br />
und Orchester hier und<br />
auch einigen anderen markanten<br />
Stellen aus dem Lot gerät. Überhaupt<br />
hinterlässt die musikalische<br />
Interpretation einen zwiespältigen<br />
Eindruck. Zwar spielt sich<br />
der Klangkörper nach nervösem<br />
Beginn etwas frei und findet<br />
auch über weite Strecken zu einer<br />
Dringlichkeit im Ausdruck, aber<br />
es bleiben zu viele Unzulänglichkeiten.<br />
Celli und Kontrabässe<br />
geraten intonatorisch immer wieder<br />
aus der Spur. Die Holzbläser<br />
sind kaum im Streicherklang gebunden,<br />
so dass die ganz unterschiedlich<br />
präsenten Soli meist in<br />
der Luft hängen. Offen liegende<br />
Anfänge und Schlüsse fransen<br />
aus – der Erzählton verliert so an<br />
suggestiver Kraft.<br />
Peter Carp zeigt die Geschichte<br />
ganz aus der Perspektive von<br />
Tatjana. Sie ist schon beim Vorspiel<br />
im Andante con moto auf<br />
der Bühne, wenn Tschaikowsky<br />
vom ersten Takt einen ganz persönlichen,<br />
schwermütigen Ton<br />
anschlägt. Die französische Sopranistin<br />
Solen Mainguené, Ensemblemitglied<br />
im zweiten Jahr,<br />
verkörpert Tatjana mit jeder Faser<br />
ihrer Stimme und ihres Körpers.<br />
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(Laufzeit 36 Monate)<br />
Das scheue, sich hinter seinen<br />
Büchern versteckende Mädchen<br />
erwacht nach der Begegnung mit<br />
dem arroganten, weltmännischen<br />
Eugen Onegin. Für die berühmte<br />
Briefszene klappt eine weiße Box<br />
auf, die an eine Isolationszelle in<br />
der Psychiatrie erinnert. In diesem<br />
Schutzraum, in den ihr Brief projiziert<br />
ist, flüchtet sich die schreibende<br />
Tatjana, wälzt sich am<br />
Boden, entdeckt ihre Sexualität.<br />
Die Zurückweisung von Eugen<br />
Onegin kommt unerwartet und<br />
ungeschützt. Mainguené kann ihren<br />
perfekt geführten, gerade im<br />
Leisen ausdrucksstarken Sopran<br />
dramatisch härten, um die Erschütterungen<br />
dieser Enttäuschten<br />
hörbar zu machen. Ganz am<br />
Ende, als diese veränderte Tatjana<br />
als Fürstengattin nochmals auf<br />
den um sie werbenden Onegin<br />
trifft, kehren bei ihr die verloren<br />
geglaubten Gefühle zurück – erst<br />
hier lässt die Regie den Emotionen<br />
freien Lauf. In dieser großstädtischen<br />
Wohnung, die einer<br />
Kunstgalerie gleicht, ist ihr Heimatdorf<br />
nur noch auf gerahmten<br />
Fotos an der Wand zu sehen. Eine<br />
nostalgische Erinnerung, nicht<br />
mehr. Tatjana im schicken blauen<br />
Kostüm ist der Provinz entkommen.<br />
Das Rad lässt sich nicht mehr<br />
zurückdrehen. Ihrem Gatten Gremin<br />
(mit mächtigem, aber etwas<br />
belegtem Bass: Jin Seok Lee) hält<br />
Tatjana die Treue.<br />
Eugen Onegin, den Michael<br />
Borth mit Noblesse und Geschmeidigkeit<br />
versieht, bleibt<br />
alleine zurück als gescheiterte<br />
Existenz. Lenski (mit feinem, differenzierten<br />
Tenor, dem es noch<br />
etwas an Strahlkraft fehlt: Joshua<br />
Kohl) hat er im Duell getötet.<br />
Auch Olgas kurzes Glück (mit<br />
schlankem Mezzo: Inga Schäfer)<br />
ist dadurch zerstört. Selbst den<br />
weiten Himmel sucht man nun<br />
mehr vergeblich.<br />
Die nächsten Vorstellungen:<br />
3./7./16./21./23.12. <strong>2018</strong>, 20.1.,<br />
9./20.2. 2019. Tickets unter www.<br />
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Georg Rudiger<br />
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