Berliner Kurier 27.11.2018
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20 SERIE<br />
BERLINER KURIER, Dienstag, 27.November 2018<br />
Achse –zwei für den Straßenverkehr,<br />
den dritten für eine<br />
U-Bahnlinie Gzwischen Lübars<br />
und Marienfelde.<br />
Kehren wir zurück in den<br />
Tunnel unter dem Tiergarten.<br />
Sascha Keil leuchtet in die<br />
Vergangenheit: An den Wänden<br />
des Lüftungsschachtes,<br />
den wir hinabgestiegen sind,<br />
befinden sich Vorrichtungen<br />
für den Ventilator; auf dem<br />
Boden, uneben und bepfützt,<br />
liegen Backsteinreste eines<br />
Sockels, der einst eine Treppe<br />
trug; im Tunnel rotten Plastiksäcke<br />
und -tüten unbekannter<br />
Herkunft.<br />
Auf dem trockenen Boden<br />
am südlichen Ende des Tunnels<br />
blinzeln die Enden von<br />
Stahlträgern, die tief in der Erde<br />
ankern, um dem Bauwerk<br />
Stabilität zu geben. An den<br />
Übergängen von den Längswänden<br />
zur Decke hängen<br />
Gerippe aus Metallstäben, um<br />
dahinter Kabelstränge zu verbergen.<br />
Durch die Decke und<br />
einen Teil der Wände ziehen<br />
sich Nischen, um darin<br />
Leuchten zu versenken.<br />
In der Tunnelsenke, in der<br />
das Wasser steht, teilt eine<br />
Backsteinwand mit zwei<br />
Durchlässen das Bauwerk; dahinter<br />
steigt der Tunnel wieder<br />
an, auch dort ist der Boden<br />
Das Licht spielt<br />
mit den Schatten.<br />
Oder ist es<br />
umgekehrt?<br />
Foto:<br />
trocken. „Das Wasser hier unten<br />
ist Regenwasser, es<br />
kommt durch den Lüftungsschacht“,<br />
sagt Sascha Keil.<br />
„Der Bau ist dicht. Das erstaunt<br />
Architekten und Ingenieure<br />
heute noch.“<br />
Seit 1938 liegt der 87 Meter<br />
lange Tunnel, der sich nach<br />
Osten krümmt, unter dem<br />
Tiergarten. Neben ihm ruht<br />
sein etwa gleich langer Zwilling,<br />
vier Meter tiefer und sich<br />
nach Westen neigend. Der<br />
Kriegsverlauf führte dazu,<br />
dass beide Tunnel Rohbauten<br />
blieben, ebenso wie der etwas<br />
weiter östlich liegende, 220<br />
Meter lange und 16 Meter tiefe<br />
U-Bahn-Tunnel.<br />
Der für den Straßenverkehr<br />
gedachte Tunnel erfüllte zeitweise<br />
andere Zwecke. „Hier<br />
wurden Kleinteile für die<br />
Rüstungsindustrie produziert“,<br />
sagt Sascha Keil. Er<br />
leuchtet auf den Boden, wo<br />
sich Reste von Maschinensockeln<br />
zeigen, an die Decke, wo<br />
noch eine Lampe hängt, an die<br />
Wand, wo sich eine Nische für<br />
Feuerlöscher befindet.<br />
Der „Schwerbelastungskörper“<br />
sollte klären, wasfür Gewicht<br />
der <strong>Berliner</strong> Boden tragen kann.<br />
Der Architekt Michael Richter<br />
macht in dem Bauwerk,das in<br />
Tempelhof steht,Führungen.<br />
Ein weiterer Zweck: „Mit<br />
seiner betonierten Decke und<br />
Erdüberdeckung bot der Tunnel<br />
Schutz gegen Luftangriffe“,<br />
erzählt Keil. „Man kann<br />
sich vorstellen, dass hier nicht<br />
nur Arbeiter, sondern auch<br />
enge Angehörige Schutz fanden.<br />
Die meisten öffentlichen<br />
Schutzanlagen waren gegen<br />
Ende des Krieges ja überfüllt.“<br />
Das Licht der Taschenlampen<br />
spielt mit unseren Schatten.<br />
Oder ist es umgekehrt?<br />
Totenstille.<br />
Was wäre gewesen, wenn?<br />
Hitler wollte mit der neuen<br />
Reichshauptstadt den Anspruch<br />
auf Weltherrschaft zementieren.<br />
Das zeigt sich insbesondere<br />
an der Großen Halle<br />
(sie sollte auf dem Spreebogen<br />
thronen, auf der Fläche<br />
zwischen heutigem Hauptbahnhof<br />
und den Verwaltungsgebäuden<br />
des Bundestages):<br />
Sie wäre mit einer<br />
Grundfläche von 300 mal 300<br />
Metern und einer Höhe von<br />
320 Metern (gut viermal so<br />
hoch wie der Reichstag) das<br />
größte Gebäude der Welt geworden,<br />
ein Gebäude für<br />
180000 „Volksgenossinnen<br />
und -genossen“, die ihrem<br />
„Führer“ huldigen; der