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Berliner Kurier 27.11.2018

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REPORT 21<br />

Wasvom „Germania“-Größenwahn übrig blieb, zeigt der Laserscan vomErdreich unter dem TiergartenamSowjetischen Ehrenmal: drei Tunnelstutzen.<br />

Die beiden vorderen warenfür den Autoverkehr gedacht,der dritte dahinter sollte Teil der U-Bahnlinie Gzwischen Lübars und Marienfelde sein.<br />

„Adolf-Hitler-Platz“ davor<br />

sollte Versammlungsort für<br />

eine Million Untertanen sein.<br />

Wie akribisch die Stadtplaner<br />

vorgingen, davon zeugt<br />

der „Schwerbelastungskörper“.<br />

Verlassen wir daher<br />

noch einmal den Tunnel,<br />

wenden wir unsere Aufmerksamkeit<br />

nach Tempelhof.<br />

Ecke General-Pape-Straße/<br />

Loewenhardtdamm steht laut<br />

<strong>Berliner</strong> Schnauze der „Nazi-<br />

Klops“: ein 18,2 Meter tief steckender<br />

Zylinder mit fast 11<br />

Metern Durchmesser, darauf<br />

ein zweiter, 14 Meter hoher<br />

Zylinder mit 21 Metern<br />

Durchmesser. Der Zweck des<br />

Bauwerks aus Beton und<br />

Stahlbeton, 12650 Tonnen<br />

schwer (das entspricht 22 Airbus<br />

A380), bestand darin, die<br />

Tragfähigkeit des <strong>Berliner</strong><br />

Untergrunds zu prüfen.<br />

Michael Richter führt uns in<br />

den Zylinder, nicht nur in die<br />

obere ebenerdige Messkammer,<br />

auch in die nicht öffentlich<br />

zugängliche untere. „Was<br />

wir hier haben, ist die gebaute<br />

Unsicherheit“, sagt der 48-<br />

jährige Architekt. Er ist Mitglied<br />

des Vereins <strong>Berliner</strong> Unterwelten,<br />

der hier in Kooperation<br />

mit den Museen Tempelhof-Schöneberg<br />

Führungen<br />

anbietet. „Die Ingenieure<br />

waren sich damals nicht sicher,<br />

ob und wie sie so etwas<br />

Schweres bauen können.“<br />

So etwas Schweres wie den<br />

Triumphbogen auf der Nord-<br />

Süd-Achse: 117 Meter hoch,<br />

170 Meter breit. In den Koloss<br />

sollten die Namen aller im<br />

Ersten Weltkrieg gefallenen<br />

deutschen Soldaten eingemeißelt<br />

sein. „Der Triumphbogen<br />

sollte die gebaute ,Dolchstoßlegende‘<br />

sein“, hatte der Historiker<br />

Alexander Kropp in<br />

der Ausstellung „Mythos Germania“<br />

erklärt. „Hitler wollte<br />

die Niederlage Deutschlands<br />

umdeuten in einen Sieg.“<br />

Wir steigen in den Unterbauch<br />

des Zylinders, über eine<br />

senkrechte Eisenleiter mit<br />

schwitzwassernassen Sprossen.<br />

Neun Meter tiefer stehen<br />

wir in einem Raum, zweieinhalb<br />

mal zweieinhalb Meter<br />

groß, von dem kreuzgleich<br />

vier Tunnelstummel abgehen,<br />

die nach gut drei Metern enden.<br />

Es mufft nach Keller.<br />

Hitler wollte das<br />

neue Berlin auf ein<br />

Fundament des<br />

Verbrechens stellen<br />

Aus dem Boden ragen Rohrstümpfe,<br />

unter anderen für<br />

ein Höhenmessgerät, und Leitungen<br />

für Druck- und Temperaturmessgeräte.<br />

Die Geräte<br />

sind entfernt. Hier und da<br />

liegt Unrat: Reste einer Leiter,<br />

Deckel von Töpfen, Scherben<br />

einer Bierflasche. Bauschutt<br />

quillt aus einer Luftschutzklappe,<br />

der einzigen.<br />

„Wir haben es so vorgefunden“,<br />

sagt Michael Richter,<br />

„und wir haben es so gelassen.“<br />

Der Verein Unterwelten<br />

handhabt das immer so. Richter<br />

blickt zu Boden. „Es sind<br />

noch neun Meter Beton unter<br />

uns.“ Und gut zwanzig Meter<br />

Beton über uns.<br />

Der Zylinder, der wie eine<br />

monströse Schraube mit<br />

ebenso monströsem Kopf im<br />

Erdreich steckt, belastet den<br />

Boden mit 12,65 Kilogramm<br />

pro Quadratzentimeter.<br />

Von April bis November<br />

1941 ließ die Generalinspektion<br />

unter Speer den Schwerbelastungskörper<br />

bauen, mithilfe<br />

französischer Zwangsarbeiter.<br />

Die Umgebung sollte<br />

später so hoch aufgeschüttet<br />

werden, dass der Körper begraben<br />

worden wäre. Dann<br />

hätte man vom Triumphbogen<br />

(platziert in Höhe der<br />

heutigen Dudenstraße) bis<br />

zur Großen Halle durchgeblickt.<br />

Freie Sicht für unfreie Bürger.<br />

Nichts hätte den <strong>Berliner</strong><br />

Boden –Sand, Kies und Geschiebemergel<br />

–mehr belastet<br />

als dieser Triumphbogen:<br />

116 Tonnen hätten auf einen<br />

Quadratmeter gedrückt; auf<br />

92 Tonnen hätte es die Große<br />

Halle gebracht.<br />

Schon in der Bauphase sackte<br />

der Schwerbelastungskörper<br />

ein, wie die Deutsche Gesellschaft<br />

für Bodenmechanik<br />

(Degebo) feststellte: Bis Juli<br />

1944 sank er um 18,6 Zentimeter<br />

und neigte sich um 3,5<br />

Zentimeter. Als nach dem<br />

Krieg, 1948, eine abschließende<br />

Messung erfolgte, hatte er<br />

sich nur noch 0,7 Zentimeter<br />

tiefer gesetzt. Das lässt Architekt<br />

Michael Richter vermuten:<br />

„Bis heute dürfte kaum<br />

etwas dazugekommen sein.“<br />

Grundsätzlich wäre der Triumphbogen<br />

baubar gewesen,<br />

etwa auf tief durch den Geschiebemergel<br />

getriebene Betonpfeiler.<br />

Geldmittel, Baumaterial<br />

und Arbeitskraft hätten<br />

bei der Neugestaltung der<br />

„Welthauptstadt“ keine Rolle<br />

gespielt. Hitler hatte schon<br />

Jahre vor dem von ihm entfesselten<br />

Krieg ein neues Berlin<br />

im Sinn, das auf den Rücken<br />

unterjochter Völker, geknechteter<br />

Zwangsarbeiter<br />

und todgeweihter Häftlinge<br />

stehen sollte.<br />

Verbrechen sollte das Fundament<br />

der neuen Hauptstadt<br />

sein. Dazu gehört die geplante<br />

Zwangsräumung von 250000<br />

Wohnungen und die tatsächliche<br />

Verfolgung von <strong>Berliner</strong>n<br />

jüdischen Glaubens.<br />

Stalin wählte<br />

den Standort<br />

für das Ehrenmal<br />

ganz bewusst<br />

Mithilfe von Listen, die Speer<br />

anlegen ließ, um an den<br />

Wohnraum jüdischer Bürger<br />

zu kommen, wurden 55000<br />

Juden in Vernichtungslager<br />

deportiert.<br />

Kehren wir zurück unter<br />

den Tiergarten.<br />

Wir gehen in den nördlichen<br />

Teil des Tunnels, der sich gen<br />

Osten krümmt. Und stolpern<br />

über eine Betonfliese: eine<br />

Plombe, sie hatte in der Decke<br />

ein von einem Bausicherungspfeiler<br />

hinterlassenes Loch<br />

verfüllt.<br />

An den Wänden prangen<br />

braune Streifen, hüfthoch. Sie<br />

bezeugen den Wasserstand<br />

1967, als die Tunnel bei der<br />

Aufforstung des Tiergartens<br />

Der Historiker Alexander Kropp<br />

ist einer der Autoren der Dauerausstellung<br />

„Mythos Germania –<br />

Vision und Verbrechen“.<br />

wiederentdeckt wurden. Mit<br />

Trümmerschutt und Munitionsschrott<br />

waren die Schächte<br />

verstopft, sodass das Wasser,<br />

das von dort gekommen<br />

war, nicht verdunsten konnte.<br />

Am Ende des Tunnels gähnt<br />

der zweite Schacht. Er ist mit<br />

einer Betonplatte versiegelt.<br />

Inihm steht eine Steintreppe,<br />

sehr steil, sehr ausgetreten.<br />

„Jetzt stehen wir direkt unter<br />

dem Sowjetischen Ehrenmal“,<br />

sagt Keil. „Dass es auf<br />

der damaligen Siegesallee<br />

steht, ist kein Zufall. Genau<br />

hier wollte Stalin seinen Fußabdruck<br />

hinterlassen, als Zeichen<br />

seines Sieges.“<br />

Wir kehren um, gummistiefeln<br />

durch das Wasser. Mittendrin<br />

taucht ein Gedanke<br />

auf: Ungeheuerlich, dass heute<br />

wieder durch hohle Köpfe<br />

braune Brühe schwappt.<br />

<strong>Berliner</strong> Unterwelten e.V.,<br />

Tel. (030) 49910517,<br />

www.berliner-unterwelten.de<br />

Lesen Sie am nächsten<br />

Dienstag, 4. Dezember:<br />

Die Fernwärme aus der Tiefe –<br />

Netzpumpstation Mierendorffplatz

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