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Berliner Kurier 19.01.2019

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*<br />

SERIE<br />

Sie machen<br />

kein Theater<br />

umsAlter<br />

Senioren? Die Mitglieder der freien<br />

Theatergruppe „Die Pfefferstreuer“ in<br />

Prenzlauer Berghaben Pfeffer im Hintern<br />

und sind ein eingeschworenes Ensemble<br />

Von<br />

HELMUT KUHN<br />

Heute ist kein guter Tag. Alle<br />

sitzen um den Tisch mit<br />

hängenden Köpfen.<br />

Schicksalsschläge bleiben nicht<br />

aus. „Wir sind gerade etwas gerupft“,<br />

entschuldigt sich Anja<br />

Winkler. Langsam fassen sie sich<br />

wieder. Und beginnen mit Szenenbildern,<br />

nach kurzer Abstimmung.<br />

Zum Aufwärmen. Es hilft ja<br />

nichts. Das Leben, das Theater<br />

geht weiter.<br />

Prenzlauer Berg, im Stadtteilzentrum<br />

am Teutoburger Platz. Es<br />

ist ein schöner, großer Saal, lichtdurchflutet,<br />

Parkett, Turnerbänke<br />

an den Wänden. Der Raum riecht<br />

nach Tanz und Spiel. Ein paar Requisiten,<br />

ein Koffer Kostüme. Einmal<br />

in der Woche trifft sich hier<br />

die Theatergruppe „Die Pfefferstreuer<br />

–das Kreative Potential<br />

aus Prenzlauer Berg“. Zur Probe.<br />

Zum Improvisieren. Zum Experimentieren.<br />

„Der Veganer hat ein Steak gegessen!“,<br />

ruft Winkler. Sofort suchen<br />

sie einen Ausdruck und verharren<br />

nach kurzer Zeit in der gefundenen<br />

Position zum Standbild.<br />

Das sieht plötzlich so komisch aus,<br />

als hätten Buster Keaton und Eddie<br />

Murphy Pate gestanden. „Die<br />

110-jährige ist frisch verliebt!“,<br />

lautet Winklers nächste Ansage.<br />

Wuseln, gestikulieren, erstarren:<br />

Eine Szene wie zum Schnappschuss.<br />

„Die Suppe läuft über in<br />

der Kochsendung!“ Kaum haben<br />

sie ihre Rolle eingenommen, müssen<br />

sie lachen –der Schicksalsschlag<br />

ist nicht verdaut, aber eine<br />

ganze Ecke weiter.<br />

Improvisationstheater heißt das.<br />

Dieter, Wolfgang, Charlotte, Renate.<br />

Übers Alter reden wir nicht.<br />

Aber Wolfgang ist der Benjamin.<br />

40 Jahre war er Requisiteur,<br />

„beim Fernsehen und Theater“.<br />

Eigentlich wollte er nur seine Tätigkeit<br />

ein wenig fortsetzen und<br />

den Pfefferstreuern ein ordentliches<br />

Bühnenbild verpassen, aus<br />

Spaß. Dann sprang er, aufgrund eines<br />

Schicksalsschlages in der<br />

Gruppe, ganz ein. Kein Spaß. Jetzt<br />

spielt er selbst mit, für sein Leben<br />

gern, seine Rolle verändert sich.<br />

Dieter lernte die Gruppe über eine<br />

Aufführung kennen. Er singt in<br />

Chören, ist Laienmusiker und hatte<br />

verschiedene Berufe in seinem<br />

Leben, zuletzt Betreuungsassistent<br />

in einem Altenheim. Eigentlich<br />

wollte er hier nur mal für die<br />

musikalische Begleitung sorgen.<br />

„Ach, ich hatte auch zu wenig<br />

Strukturierung des Alltags“, fällt<br />

ihm Wolfgang ins Wort. „Du<br />

musst was machen, damit dir<br />

nicht langweilig wird. In einer<br />

Zeitung hatte ich die Seniorengruppe<br />

entdeckt.“ Zu dieser Zeit<br />

bauten sie gerade ein Szenenbild<br />

zusammen, und er dachte: „Das<br />

kann ich besser!“<br />

Der Mann ist ein Segen für jedes<br />

Theater, schwört Frau Winkler<br />

und wischt sich symbolisierend<br />

Schweiß von der Stirn. Improvisationstheater<br />

hat natürlich auch etwas<br />

mit Improvisation der Res-<br />

sourcen zu tun. Ein findiger<br />

Kopf, der mit zwei, drei<br />

Scheinwerfern, etwas<br />

schwarzem Aushang und vielen<br />

Ideen etwas zaubern kann,<br />

kommt einfach goldrichtig. „Als<br />

mobiles Theater spielen wir jedes<br />

Mal in anderen Häusern. In Seniorenclubs,<br />

im Hospiz, in Nachbarschaftstheatern.“<br />

Da kann man<br />

nicht mit Stab und großer Bühne<br />

anreisen. „Wir werden gebucht,<br />

und aus den Auftritten ergeben<br />

sich neue Buchungen.“<br />

Renate: „Ich habe lange suchen<br />

müssen nach einer solchen Theatergruppe.<br />

Ich wollte etwas machen,<br />

was ich immer machen wollte,<br />

aber nie konnte. Ich hatte einfach<br />

immer ein großes Interesse<br />

fürs Theater. Und man entdeckt<br />

plötzlich, was man so kann, in der<br />

Gruppe. Das sind alles gestandene<br />

Leute, die ein hartes Berufsleben<br />

hinter sich haben und intelligent<br />

sind.“<br />

Die Gruppe, das sei für sie wie<br />

ein zweites Leben. „Das macht so<br />

flüssig, so fließend, frei für den<br />

Alltag!“, sagt Charlotte und dirigiert<br />

beinahe in der Luft. Sie ist die<br />

einzige, die noch berufstätig ist.<br />

Trat schon in der Laiengruppe der<br />

Volkshochschule auf. Spielte Ukulele,<br />

machte das Programm. „Aber<br />

die Stimmung war nicht schön.“<br />

Sie spielte beim „Theater der Erfahrung“,<br />

sah das Theater „Altes<br />

Eisen“. „Da war Frau Winkler<br />

Kostümbildnerin.“<br />

Anja Winkler stammt aus Stuttgart<br />

und kam 1992 nach Berlin. Ihren<br />

ersten Theaterjob hatte sie mit<br />

Ist nicht das ganze Leben Improvisation? Die Pfefferstreuer<br />

bei den Proben (oben) und bei der Aufführung ihres Stückes<br />

„Wimpernschlag und Lebenlust“ (re.). Zusammgehalten wird<br />

die energiegeladene Truppe vonAnja Winkler (li).

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