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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 19 · M ittwoch, 23. Januar 2019 5 *<br />
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Glaubensfragen<br />
Religion ist privat –und oft ein Politikum. Einige Abgeordnete<br />
verweisen gern auf ihr religiöses Weltbild, andere verraten<br />
nicht, woran sie glauben. Wieviel Kirche verträgt die Politik?<br />
VonTanja Brandes (Text) und Steffi Reeg(Grafik)<br />
InDeutschland darfjeder glauben, woran er möchte.Jeder hat die Freiheit, aus einer Religionsgemeinschaft<br />
auszutreten oder in eine andereüberzuwechseln. So will es das Grundgesetz. Der<br />
Staat wiederum muss allen Glaubensrichtungen neutral und tolerant gegenüberstehen. Eine<br />
strikte Trennung vonStaat und Religion aber besteht in Deutschland nicht. Undimmer wieder<br />
beeinflusst die Religion auch politische Debatten. Laut Statistischem Bundesamt leben in der Bundesrepublik<br />
rund 45 Millionen Christen, 4,7 Millionen Muslime und etwas weniger als 100 000 Juden.<br />
Hinzu kommen etliche weitereReligionsgemeinschaften. Laut dem Datenhandbuch des Bundestages<br />
wiederum ist etwas weniger als die Hälfte der Abgeordneten christlich, weniger als ein Prozent sind<br />
Muslime.Allerdings führen diese Zahlen in die Irre:Nur 26 Bundestagsabgeordnete bezeichnen sich<br />
auf der Parlaments-Homepage als konfessionslos oder als Atheisten. DerRest macht gar keine Angaben<br />
zur Religionszugehörigkeit. DerGrund dafür könnte sein, dass viele den Glauben als Privatsache betrachten.<br />
Omid Nouripour vonder Grünen-Fraktion ist einer der wenigen muslimischen Bundestagsabgeordneten,<br />
die ihreKonfession für die Statistik offiziell angegeben haben. Auch für ihn ist sein<br />
Glaube privat. Aber gerade beim Thema Islam sei es „unvermeidlich, dass man irgendwann beim Politischen<br />
landet“, sagt der im Iran geborene Abgeordnete.Für ihn ist das ein Grund mehr,offen mit seiner<br />
Religion umzugehen –und viel über Glaubensfragen zu diskutieren.<br />
Jüdische Abgeordnete sucht man im Bundestag hingegen vergeblich. Im Datenhandbuch taucht<br />
das Judentum nicht auf, und auch die Nachfrage bei den Fraktionen zeigt: Unter den Volksvertretern<br />
gibt es keine Juden oder Jüdinnen –zumindest keine,die ihren Glauben öffentlich machen.<br />
Denjüdischen Politiker Sergey Lagodinsky,der bei der Europawahl für<br />
die Grünen kandidiert, wundertdas nicht. „Zum einen sind wir verhältnismäßig<br />
wenige.Keine Millionen wie bei der muslimischen<br />
Glaubensgemeinschaft sondernrund 100 000. Unddavon<br />
sind die allermeisten erst in den 90er-Jahren aus der ehemaligen<br />
Sowjetunion eingewandert.“ Für viele jüngereJuden<br />
ginge es erst einmal darum, sich zurechtzufinden,<br />
zu studieren, einen guten Job<br />
zu finden. „Aber oft fehlen auch Anschlussstellen<br />
in der Politik“ sagt Lagodinsky,der<br />
selbst 1993 nach Deutschland kam. „Es<br />
ist nicht so einfach, sich parteipolitisch<br />
zu engagieren, wenn man<br />
nicht schon über Jahredurch die<br />
Jugendorganisationen der Parteien<br />
Kontakte geknüpft hat.“<br />
IMAGO(2); DPA<br />
Hauptstadt<br />
Ob ein Bundestagsabgeordneter<br />
seine Religionszugehörigkeit<br />
angibt oder nicht, ist ihm selbst überlassen,<br />
die Gründe dafür gehen mich nichts an. Ich<br />
habe mich dazu entschlossen, weil mein Glaube<br />
eine Facette meiner Identität ist. Er macht aus mir<br />
keinen besseren Menschen, aber auch keinen<br />
schlechteren. Mein Glaube hat einerseits eine sehr<br />
private Dimension, die sich nur zwischen meinem<br />
Gott und mir abspielt. Diegibt mir Ruhe und Halt.<br />
Ob ich fünfmal am Tagbete oder einen Monat im<br />
Jahr bei Tageslicht nicht esse und trinke, das sind<br />
Erwartungen, die weder zwischen mir und meinem<br />
Gott stehen noch zwischen mir und dem öffentlichen<br />
Interesse. Mir tut meine Religion gut.<br />
Trotzdem muss ich im Alltag ständig diskutieren:<br />
Wiesoisst du Schweinefleisch?Wiesotrinkst du Äppelwoi?<br />
Ja,wieso? Ichbin Hesse! DasThema ist auf<br />
Omid<br />
Nouripour,<br />
Sprecher für<br />
Außenpolitik der<br />
Grünen-Fraktion im<br />
Bundestag<br />
jeden Fall omnipräsent. Undesist unvermeidlich,<br />
dass man irgendwann beim Politischen landet. Es<br />
gibt eine massive Zuschreibung der muslimischen<br />
Identität, die politisch ist. Da ist es aus meiner Sicht<br />
erst recht meine Pflicht zu sagen: ‚Leute, ich bin<br />
Muslim. Regt euch ab!‘ Als Bundestagsabgeordneter<br />
arbeite ich Tagund Nacht qua Berufsbeschreibung<br />
für die Umsetzung der Ziele des Grundgesetzes.<br />
Und ich bin Muslim. Ich habe kein Problem, das<br />
eine mit dem anderen zu vereinbaren.<br />
Ich halte es aber für dringend notwendig, über<br />
Glaubensfragen zu diskutieren. Ichwürde mir auch<br />
wünschen, dass Leute, die sich Muslime nennen,<br />
mehr über den Islam wüssten. Ich gehe auch in<br />
Schulen, rede mit Schülerinnen und Schülern. Da<br />
passiert esschon mal, dass ein 17-Jähriger angebliche<br />
Koran-Stellen mit mir diskutieren will, die es<br />
aber nicht gibt. Werkeine gründlichen Kenntnisse<br />
über seine Religion hat, ist für Fundamentalismus<br />
anfälliger.Das ist schlecht. Es gibt Leute,die sagen:<br />
DerIslam ist die Religion des Krieges.Wieder andere<br />
sagen: DerIslam ist die Religion des Friedens.Das ist<br />
beides nicht richtig. Islam ist –wie das Christentum<br />
–das,was die Gläubigen daraus machen.Werteund<br />
Moralsind auch nicht zwingend an Religion gekoppelt.<br />
Es ist gleichgültig, ob jemand dieser oder jener<br />
oder keiner Religion angehört, wenn er niemandem<br />
schadet und sich im Sinne des Allgemeinwohls einsetzt.<br />
Mein neunjähriger Sohn sagt zurzeit: „Ich bin<br />
Muslim“, –und freut sich jedes Jahr wie verrückt auf<br />
„Leute,<br />
ich bin<br />
Muslim.<br />
Regt<br />
euch<br />
ab!“<br />
Weihnachten. Vielleicht will er ja in vier Wochen<br />
Buddhist werden.Ersollsich entscheiden, wenn er<br />
in einem entscheidungsfähigen Alter ist. Meine<br />
Frau ist evangelisch, aber wir feiernzuHause auch<br />
die muslimischen Feste.Der Enthusiasmus meines<br />
Sohnes ist da allerdings nicht so groß wie bei<br />
Weihnachten –was sicher auch mit der Größe<br />
der Geschenke zusammenhängt.“<br />
Mein Glaube gibt mir eine<br />
Orientierung im Leben<br />
und in der Welt. Ich gehe auch in<br />
die Messe,aber nicht regelmäßig.<br />
Ich bin auf bestimmte ritualisierte<br />
Angebote der Kirche nicht<br />
mehr so angewiesen, wie ich das<br />
etwa als Kind war.Das sind Angebote,<br />
die man nach meinem Dafürhalten<br />
annehmen kann, aber<br />
nicht muss. Ich stimme auch<br />
nicht allen Dogmen der Kirche vorbehaltlos zu. Aber die Orientierung ist für mich ungebrochen wichtig. Seit acht Jahrenbin<br />
ich Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, der Laienvertretung der katholischen Kirche.Dortsetzen<br />
sich Christinnen und Christen mit gesellschaftspolitischen Fragen und ihrer Rückwirkung auf ihren Glauben und<br />
umgekehrt auseinander. Diese Interdependenz finde ich wichtig. In meinem politischen Alltag spielt der Glaube auch<br />
immer wieder eine Rolle.Der Bundestag entscheidet ja in grundsätzlichen Fragen der Ethik –beiThemen wie Präimplantationsdiagnostik<br />
oder Sterbehilfe –nicht nach Fraktionszugehörigkeit. Es werden stattdessen Gruppenanträge vorbereitet,<br />
hinter denen man sich versammeln kann oder eben nicht. DieDebatten, die dann zu diesen Fragen geführtwerden,<br />
sind normalerweise genährtdurch den Hintergrund, den jeder Einzelne hat. Daskannauchein humanistischer,atheistischer<br />
Ansatz sein.<br />
Es gibt immer wieder Fälle, da<br />
muss man Kompromisse machen,<br />
was die Religion betrifft. Bei<br />
Entscheidungen, die mit Gesetzen<br />
zu tun haben, die Schwangerschaftsabbrüche<br />
betreffen, weiß<br />
ich zum Beispiel, dass meine Kirche<br />
das anders sieht als ich. Aber<br />
ich fälle meine politischen Entscheidungen<br />
nicht allein danach,<br />
was meine Kirche denkt. Andersherum<br />
müssen sich auch einige<br />
Kollegen etwa beim Umgang mit<br />
Flüchtlingen die Frage gefallen<br />
lassen, inwieweit das christliche<br />
Menschenbild bei ihren Entscheidungen<br />
trägt. Man kann nicht erwarten,<br />
dass Abgeordnete nahtlos<br />
die Forderungen der eigenen Kirche<br />
umsetzen. Aber ich finde<br />
schon, dass wir als Christen bei<br />
unseren Entscheidungen das<br />
christliche Menschenbild, das ja<br />
letztlich auch in Artikel 1unseres<br />
Grundgesetzes enthalten ist, vor<br />
Augen haben sollten.“<br />
Barbara Hendricks,<br />
SPD-Bundestagsabgeordnete<br />
und ehemalige<br />
Bundesumweltministerin<br />
Als in der Sowjetunion aufgewachsener Jude hatte ich in meiner Jugend wenig Bezug zum religiösen Aspekt<br />
des Judentums.Die Ausübung der Religion wurde nicht gerngesehen. Trotzdem war für uns klar,dass wir<br />
Juden sind. Meine Familie war stolz auf unser Judentum im Sinne einer kulturellen Identität. Ichkenne mich<br />
mit der Religion und ihren Ritualen gut aus,ich gehe gernindie Synagoge,aber das ist für mich eine Alltagsoption,<br />
nicht immer ein Bedürfnis.Ich habe lange in den USA gelebt und dortstudiert. DasSelbstverständnis der<br />
amerikanischen Juden, von denen viele ein säkulares, selbstbewusstes Judentum leben, war für mich prägend.<br />
Auch in Berlin bewege ich mich in säkularen jüdischen Kreisen. Im Rahmen meiner Mitgliedschaft in<br />
der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin ist mir dieVermittlung der kulturellen,<br />
identitätsstiftenden Facette des Judentums besonders wichtig.<br />
Es gibt gerade auch beiNicht-Juden vieleMissverständnisse,was dasJudentum als Gemeinschaft angeht.<br />
Da herrscht vonaußen schonmal die Ansicht, Judenwären wie Christen –nur ohne Kreuz. Dabei<br />
sind die Juden eben auch eine Volksgemeinschaft, es gibt immer eine kulturelle Komponente. Aber<br />
auch unter Judengibt es Unterschiede im Selbstverständnis.Juden aus Israel würden sich selbst vielleicht<br />
gar nicht in erster Linie als Juden bezeichnen, sondernals Israelis.Besonders für Juden in der<br />
Diasporabedeutet das Jüdischsein aber ein Zugehörigkeitsgefühl zu einem Kollektiv.Mich reizt<br />
es,diese Artder Auseinandersetzung mit dem Judentum in die Politik hineinzutragen und<br />
damit in die deutsche Gesellschaft. Juden werden hierzulande oft nur als Opfer im Kontext<br />
des Holocaust gesehen. Wirmüssen uns aber die Frage stellen, wie wir die Demokratie<br />
als Antwortauf diesen schrecklichen Abschnitt der Geschichte gestalten<br />
wollen. Dafür braucht die jüdische Identität größere Sichtbarkeit. Viel<br />
zu oft werden diese Debatten aber ohne Beteiligung vonJuden geführt<br />
–sowie die Migrationsdebatte oft ohne die Mitwirkung von<br />
Migranten geführtwird.“<br />
Sergey Lagodinsky,<br />
Kandidat für die Europawahl<br />
(Bündnis 90/Die Grünen)<br />
„Ich stimme<br />
nicht allen<br />
Dogmen der<br />
Kirche<br />
vorbehaltlos<br />
zu.“<br />
„Von außen<br />
herrscht schon mal<br />
die Ansicht, Juden<br />
wären wie<br />
Christen –nur<br />
ohne Kreuz.“<br />
PLATZ DER REPUBLIK<br />
Transparenz<br />
oder Tür zu?<br />
Melanie Reinsch<br />
über öffentliche Politik<br />
Wer als Gast in Berlin bundespolitische<br />
Luft schnuppern will,<br />
kann die Plenardebatten im Bundestag<br />
vonder Besuchertribühne verfolgen.<br />
Werallerdings eine Stufe tiefer in<br />
die Vorgänge der Politik abtauchen<br />
möchte, muss suchen: So sind die<br />
Ausschusssitzungen im Bundestag,<br />
also dort, wo die parlamentarische<br />
Sacharbeit geleistet wird, generell<br />
nicht öffentlich. So sieht es die Geschäftsordnung<br />
des Bundestags vor.<br />
Nicht nur die Presse, sondern<br />
auch der „normale“ Besucher muss<br />
draußen bleiben, getagt wird hinter<br />
verschlossenen Türen. Zwar hat sich<br />
das Verhältnis öffentlicher Sitzungen<br />
zu nicht öffentlichen Sitzungen Jahr<br />
für Jahr verändert –zugunsten der<br />
Transparenz. Immer häufiger laden<br />
die Ausschüsse außer zu öffentlichen<br />
Anhörungen auch zu öffentlichen Sitzungen<br />
ein. Doch trotzdem heißt es<br />
in den meisten Fällen: Bitte draußen<br />
bleiben. In der letzten Legislatur waren<br />
660 Ausschusssitzungen öffentlich<br />
–nicht öffentlich dagegen 2056.<br />
Ganz anders ist das im <strong>Berliner</strong><br />
Abgeordnetenhaus –sowie übrigens<br />
auch in acht weiteren Landtagen.<br />
„Mit wenigen Ausnahmen sind die<br />
Sitzungen der Ausschüsse öffentlich“,<br />
heißt es auf der <strong>Berliner</strong> Parlamentshomepage.<br />
Warumist das so? Warumtagt das<br />
<strong>Berliner</strong> Parlament fast immer öffentlich<br />
und die Abgeordneten im<br />
Bund nicht? Gibt es eventuell auch<br />
Argumente für Nicht-Öffentlichkeit?<br />
Auf meine Frage bei Twitter antwortet<br />
zum Beispiel die Grünen-Bundestagsabgeordnete<br />
Canan Bayram.<br />
Nach elf Jahren im <strong>Berliner</strong> Abgeordnetenhaus<br />
und nunmehr über einem<br />
Jahr im Bundestag sei sie der<br />
Meinung, dass Öffentlichkeit eher<br />
nutzt als schadet. DieSitzungen sollten<br />
grundsätzlich öffentlich und<br />
ausnahmsweise auf Antrag nicht-öffentlich<br />
sein, schreibt Bayram.<br />
Franziska Brantner sitzt ebenfalls<br />
für die Grünen im Bundestag. Sieverweist<br />
auf das Europaparlament.<br />
„Beim Europaparlament kann man<br />
sogar Ausschüsse in Livestream und<br />
Mediathek anschauen. Finde ich im<br />
Vergleich zu Bundestag eindeutig<br />
besser“, twittertsie auf meine Frage.<br />
Und Michael Efler, Linken-Politiker<br />
im Abgeordnetenhaus, schreibt:<br />
„Die Öffentlichkeit bei Ausschusssitzungen<br />
ist ein Muss in der parlamentarischen<br />
Demokratie.“ Es förderedie<br />
Nachvollziehbarkeit der Politik. Auch<br />
deshalb, weil imPlenum nicht zu allen<br />
Themen gesprochen werde.<br />
Linke und Grüne fordern schon<br />
lange eine grundsätzliche Öffentlichkeit<br />
von Ausschüssen –2014 haben<br />
sie dazu einen Antrag eingebracht.<br />
Sie verweisen auf das Grundgesetz,<br />
Artikel 42:„Der Bundestagverhandelt<br />
öffentlich.“ Dienicht öffentlichen Sitzungen<br />
stünden im Widerspruch<br />
dazu.<br />
EinGegenargument, das viele angeben:<br />
Wäre alles öffentlich, würde<br />
sich die Politikins informelle Hinterzimmer<br />
verlegen. Die Arbeitsausschüsse<br />
sollen die Möglichkeit geben,<br />
auch mal laut zu denken. Die<br />
Befürchtung: Der Charakter der Sitzungen<br />
würde sich ändern.<br />
Wieso die <strong>Berliner</strong> Politik trotzdem<br />
arbeitsfähig bleibt, trotz Transparenz,<br />
bleibt ein Rätsel. Vielleicht<br />
sollte der Bundestagvor demHintergrund<br />
vonVertrauensverlust und Politikverdrossenheit<br />
seine Geschäftsordnung<br />
mal überdenken.