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links: © picture alliance<br />
Die Entscheidung fiel im 12. Jh.:<br />
Sultan Saladin verfügte, dass<br />
künftig Muslime den Schlüssel<br />
zum wichtigsten christlichen Heiligtum<br />
in ihre Obhut nehmen sollten – eine Lösung,<br />
die bis heute Bestand hat. Außerdem<br />
wurde die Besitzfrage geklärt: 1852<br />
legte der ottomanische Sultan in Konstantinopel<br />
fest, wer, wann und wo in der<br />
Kirche Gottesdienste feiern darf und wem<br />
welche Bereiche gehören. Der „Status<br />
quo“ der Kirche durfte fortan nur noch<br />
im Einvernehmen aller Glaubensgemeinschaften<br />
geändert werden. Der Berliner<br />
Kongress (1878) und die britische Mandatsmacht<br />
(<strong>19</strong>22) bestätigten diese kluge<br />
Lösung. Besitzregelungen betrafen drei<br />
Gebäude: Die Grabeskirche, das Mariengrab<br />
im Kidrontal und die Geburtskirche<br />
in Betlehem. In der Grabeskirche haben<br />
vor allem drei Kirchen Besitzrechte: Die<br />
griechisch-orthodoxe (den größten Anteil),<br />
die römisch-katholische und die<br />
armenisch-orthodoxe Kirche. Syrer, Kopten<br />
und Äthiopier dürfen Gottesdienste<br />
feiern, haben sonst aber so gut wie keine<br />
Ansprüche am Kirchenraum selbst.<br />
Die seltsamste Leiter der Welt<br />
Im ersten Stock des Portals der Grabeskirche<br />
steht seit 1853 steht eine Holzleiter<br />
(s. Bild S. 40). Das wird auf alten Gemälden<br />
dokumentiert. Möglicherweise<br />
diente sie im <strong>19</strong>. Jh. den Mönchen zum<br />
Einstieg in die Kirche, wenn deren Tore<br />
behördlich geschlossen waren. Aber<br />
niemand kann sie entfernen, da nicht<br />
klar ist, wer das Recht dazu hätte. Denn<br />
die Fassade der Grabeskirche ist – wie<br />
bei einer modernen Wohnungseigentümergemeinschaft<br />
– Aufgabe aller Besitzenden.<br />
So symbolisiert sie weiterhin<br />
die komplizierte Kommunikation unter<br />
den Konfessionen.<br />
Eine Baustelle im doppelten Sinn<br />
Die Grabkapelle innerhalb der Kirche<br />
(Ädikula) gehört allen Konfessionen gemeinsam.<br />
Deshalb erging es ihr beinahe<br />
wie der Leiter: Keiner durfte an ihr rühren<br />
und so wurde die längst überfällige Restauration<br />
jahrzehntelang aufgeschoben.<br />
Immer wieder schloss die Israelische<br />
Antikenbehörde den Bau wegen akuter<br />
Einsturzgefahr. Dass es nun gelungen<br />
ist, mit viel Diplomatie eine gemeinsame<br />
Instandsetzung zu Ende zu bringen, ist<br />
nicht nur ein architektonischer Erfolg.<br />
Hier wurde auch „Kirche“ gebaut.<br />
Wie schwierig das konfessionelle Terrain<br />
der Grabeskirche trotzdem bleibt,<br />
zeigt eine Auseinandersetzung, die 2018<br />
durch die Medien ging (s. Bild links).<br />
Was war geschehen? Arbeiter der Israelischen<br />
Antikenbehörde wollten die<br />
Kapelle des Erzengels Michael in der<br />
Grabeskirche restaurieren, doch ägyptische<br />
und äthiopische Orthodoxe streiten<br />
um den Anspruch auf diese Kapelle. So<br />
wollten die Kopten die Restaurierung<br />
verhindern, wenn sie nicht überwachen<br />
konnten, was dabei geschah. Schließlich<br />
musste wie immer wieder die Staatsgewalt<br />
einschreiten, um Schlimmeres zu<br />
verhindern.<br />
© nach Max Küchler, Jerusalem, Vandenhoeck & Ruprecht, S. 410<br />
Christl. Quartier-Str.<br />
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2<br />
4<br />
8<br />
4<br />
9<br />
2<br />
Helena-Str.<br />
9<br />
2<br />
1<br />
7<br />
3<br />
Aqabat al-Chanqah<br />
2<br />
2<br />
2<br />
2<br />
4<br />
6<br />
7<br />
Pfingstwunder oder<br />
babylonische Verwirrung?<br />
Das bunte Treiben der verschiedenen Riten<br />
in der Grabeskirche, hier am geheimnisvollen<br />
Ort der Auferstehung, hat etwas<br />
Faszinierendes, z. B. wenn man einmal<br />
eine Nacht in diesem Gebäude verbringt<br />
(s. den Artikel auf S. 25). Und dabei sind<br />
es nur sechs der über 2000 christlichen<br />
Konfessionen, die es weltweit gibt, oder<br />
der über 40, die in Jerusalem leben. Was<br />
könnte die bunte Vielfalt der Christen<br />
für Kräfte entfalten, wären sie eins …?<br />
Die Grabeskirche ist ein Ort der Vielfalt.<br />
Schwer auszuhalten, aber notwendig:<br />
Religion – auch die christliche – lässt<br />
sich eben nicht auf einen einfachen<br />
Nenner bringen. Das Geheimnis des<br />
Glaubens braucht Orte der Begegnung<br />
und Auseinandersetzung. Das Grab Jesu<br />
ist so ein Ort. W<br />
7<br />
2<br />
6<br />
3<br />
6<br />
2<br />
3<br />
Suq al-Dabbagha<br />
Sechs christliche Konfessionen „teilen“ sich die Grabeskirche:<br />
1 Rotunde der Auferstehung (gemeinsam); 2 griechisch-orthodox;<br />
3 römisch-katholisch; 4 koptisch; 5 russisch-orthodox; 6 äthiopisch;<br />
7 armenisch; 8 syrisch; 9 muslimisch<br />
4<br />
5<br />
N<br />
Suq Chan al-Zait<br />
welt und umwelt der bibel 1/20<strong>19</strong> 9