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panorama<br />
Freilegung eines Votivnagels aus gebranntem Ton, dessen Inschrift (auf dem<br />
noch in der Mauer verborgenen Teil) den Bau für Ningirsu preist. Fünfzehn solcher<br />
Votivnägel wurden in situ in den Tempelmauern gefunden. Sie waren in einer regelmäßigen<br />
Ordnung eingebracht, die nun genauer analysiert wird. Steckt ein Muster<br />
mit kultischer Bedeutung dahinter?<br />
König Gudea, eine von mehreren<br />
um <strong>19</strong>00 in Girsu gefundenen Statuen<br />
des Königs. Diorit, um 2120 vC,<br />
Höhe 46 cm, heute im Louvre. Von<br />
1877 bis <strong>19</strong>33 haben französische<br />
Archäologen in Tello gearbeitet.<br />
oben links: © Tello-Girsu-Projekt, Iraq Scheme /The British Museum; beide rechts. gemeinfrei<br />
dort, wo sie ihre Arbeit unterbrochen<br />
hatten. In drei Ausgrabungskampagnen<br />
haben wir tatsächlich wichtige Architekturelemente<br />
des lang erwarteten Eninnu<br />
aufgespürt.<br />
Wie muss man sich den Tempel vorstellen?<br />
Der Tempel selbst stand in einem großen<br />
offenen Hof (Temenos). Wir konnten seine<br />
Nord- und Südwände lokalisieren. Er<br />
bestand aus einer Cella mit Überresten<br />
eines Podiums für die Götterstatue und<br />
einem Altar für Opfergaben. Vor dem<br />
Allerheiligsten war ein Vorraum mit<br />
Becken und einem Brunnen für rituelle<br />
Waschungen sowie eine Bank für Ex-<br />
Votos, wie die berühmten Beterstatuen.<br />
Um das Tempelgebäude mit seinen sehr<br />
dicken Mauern haben wir einen Umgang<br />
ausgegraben, dort befanden sich<br />
Votivnägel mit Inschriften und Schwellensteine<br />
mit dem Siegel von König<br />
Gudea. Wir haben auch ein monumentales<br />
Portal lokalisiert, in der Südwand<br />
des Temenos. Der Durchgang hatte ein<br />
Tonnengewölbe und war ebenfalls mit<br />
Votivnägeln geschmückt. Auf beiden<br />
Seiten befanden sich Sockel, worauf,<br />
wenn wir den Hinweisen auf den Zylindern<br />
von Gudea glauben, die Trophäen<br />
von mythischen Feinden ausgestellt waren,<br />
die Ningirsu besiegt hatte. Diese Tür<br />
war flankiert von Türmen. Unter einem<br />
Turmfundament fanden wir eine Keilschrifttafel,<br />
die die Bautätigkeit des Gudea<br />
und seine Frömmigkeit gegenüber<br />
Ningirsu preist.<br />
Welche Funktion hatte der Gott Ningirsu?<br />
In den sumerischen Mythen zeichnet<br />
sich Ningirsu durch seinen Triumph<br />
über die Dämonen des Gebirges aus, in<br />
dem Euphrat und Tigris entspringen.<br />
Damit hatte er die Landwirtschaft in der<br />
Schwemmebene von Sumer ermöglicht.<br />
Er war ein furchtloser Kämpfer, Gott der<br />
Stürme und Personifizierung der großen<br />
Fluten. Sein Symbol war ein kolossaler<br />
löwenköpfiger Adler namens Imdugud.<br />
Ningirsu wohnt in Eninnu. Wir nehmen<br />
heute wahr, dass der Tempel für die Sumerer<br />
mehr als nur religiöse Architektur<br />
gewesen sein muss: Enninu war ein Medium,<br />
von dem aus der Gott seine kosmischen<br />
Funktionen ausüben konnte.<br />
Das Heiligtum des Ningirsu hatte selbst<br />
Die Zylinder Gudeas mit Tempelbauhymnen<br />
(links Zylinder B, rechts Zylinder<br />
A), gefunden bei den Ausgrabungen<br />
um <strong>19</strong>20, heute im Louvre.<br />
die Macht, Stürme und Fluten zu bändigen.<br />
Der Beiname für Eninnu fasst seine<br />
Funktion sehr gut zusammen: „Haus der<br />
Fünfzig“. Der Beiname weist auf Enlil,<br />
den Hauptgott des sumerischen Pantheons,<br />
der seine fünfzig göttlichen Kräfte<br />
an Ningirsu delegierte. Kurz gesagt, der<br />
Tempel und seine kultische Ausstattung<br />
sollten die Aura des heroischen Gottes<br />
einfangen, beheimaten und zähmen –<br />
in all ihrer Wirkmächtigkeit. W<br />
(Die Fragen stellte Estelle Villeneuve)<br />
welt und umwelt der bibel 1/20<strong>19</strong> 69