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Berliner Zeitung 06.03.2019

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22 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 55 · M ittwoch, 6. März 2019<br />

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Feuilleton<br />

Große Ereignisse lassen ihre Schatten zurück<br />

Zum 90. Geburtstag des künstlerischen Tausendsassas Günter Kunert<br />

VonCornelia Geißler<br />

Als Günter Kunert vor drei<br />

Wochen in Berlin zu Gast<br />

war, zeigte er sich entschlossen,<br />

nicht jedem zu<br />

gefallen. Er erschreckte den Moderator<br />

des Abends damit, nicht vorlesen,<br />

sondernsich nur unterhalten zu<br />

wollen. Seine Stimme sei wegen der<br />

vielen Interviews, die er hatte geben<br />

müssen, etwas angegriffen. Die<br />

Stimme war frisch genug, seinen Gesprächspartner<br />

mit kleinen Bemerkungen<br />

aus dem Konzept zu bringen.<br />

Aber der, eshandelte sich immerhin<br />

um den Schriftsteller Ingo<br />

Schulze, begriff schnell, dass Kunert<br />

sich so nur aufführte, weil die rund<br />

350 Menschen unten im Saal ihre<br />

Freude haben sollten. Also stellte<br />

Schulzedie entsprechenden Fragen.<br />

Ein<strong>Berliner</strong> im Norden<br />

Als Einwohner des Örtchens Kaisborstel<br />

nahe Itzehoe war Kunert zu<br />

Gast in der schleswig-holsteinischen<br />

Landesvertretung. Recht eigentlich<br />

war es ein Heimspiel in Berlin, der<br />

Stadt, wo er am 6. März1929 geboren<br />

wurde, inder er bis zu seiner Ausreise<br />

aus der DDR im Jahre 1979<br />

lebte. Und deshalb drängte das Publikum,<br />

kaum war das letzte Danke<br />

des moderierenden Schriftstellers<br />

gesprochen, nach vorn, Bücher<br />

schwenkend, um Unterschriften bittend.<br />

Bestimmt eine Stunde saß der<br />

Autor dann noch und signierte sein<br />

neuestes Werk, das in Wirklichkeit<br />

ein ziemlich altes ist: „Die zweite<br />

Frau“ entstand Mitte der 70er-Jahre.<br />

Der Wallstein-Verlag verbreitet das<br />

Anfang Februar erschienene Buch<br />

bereits in der dritten Auflage.<br />

Mitdem Erfolg war nicht zu rechnen<br />

gewesen. Zwar ist Günter Kunert<br />

ein äußerst produktiver Autor, doch<br />

nicht gerade populär: Etwa die<br />

Hälfte seines Werks besteht aus Lyrikbänden.<br />

„Wer liest denn noch Gedichte?“,<br />

fragte Kunert herausfordernd.<br />

Dasihm doch so zugewandte<br />

Publikum verpasste den Einsatz und<br />

schwieg betreten.<br />

„Die zweite Frau“ ist erst sein<br />

zweiter Roman nach „Im Namen der<br />

Hüte“. Er musste dieses Buch schreiben,<br />

doch er wusste, dass es nicht<br />

druckbar sein würde.Zwar veröffentlichte<br />

er lange schon im Westen (die<br />

DDR-Ausgabe der „Hüte“ folgte erst<br />

neun Jahre nach der Münchener),<br />

doch bewegte sich die Handlung<br />

diesmal zu deutlich durch die wirtschaftlichen<br />

Mängel und die politische<br />

Gängelei der DDR. Dann hätte<br />

er, der zu Poetik-Dozenturen nach<br />

Großbritannien und in die USA<br />

reiste, der in Berlin-Buch aller Überwachung<br />

zum Trotz ein offenes Haus<br />

unterhielt, an dessen Tisch auch die<br />

West-Kollegen F. C. Delius, Reinhard<br />

Lettau und Günter Grass speisten,<br />

mindestens mit einem Prozess wegen<br />

Devisenvergehens rechnen müssen,<br />

wie es Stefan Heym passierte.Als<br />

Kunert 1979 Berlin mit seiner ersten<br />

Frau und sieben vom Tierarzt mit<br />

Schlafmitteln versorgten Katzen verlässt,<br />

geht er in Frieden, mit einem<br />

mehrjährigen Visum nämlich.<br />

Der Schriftsteller Günter KunertimJahr 2012.<br />

IMAGO/LARS REIMANN<br />

Es erscheinen sogar noch Bücher<br />

im Aufbau-Verlag. 1988 heißt es im<br />

Band „Die befleckte Empfängnis“:<br />

„Der Abgrund, der einst Fortschritt<br />

hieß,/ von nichts als Worten überbrückt,/<br />

durch seinen Namen hoffen<br />

ließ,/ entschleiert sich: Wie stets<br />

mißglückt/ das Glaubensspiel, verloren<br />

fast/ schon die Partie: der Einsatz<br />

fort,/ dadurch gewonnen nur<br />

die Last/ der Wahrheit über deinen<br />

Ort.“ WasGünter Kunert anWitz in<br />

seine Prosa steckt, wird inder Lyrik<br />

oft aufgehoben durch einen luziden<br />

Blick auf und durch die Verhältnisse.<br />

Er betrachtet die Natur im Griff des<br />

Menschen, sieht Tote in Bäumen<br />

hängen, hört dem Straßenpflaster<br />

seine Geschichte ab und sammelt die<br />

Federnauf, die Ikarus verloren hat.<br />

Günter Kunert hat auch Filmszenarien<br />

und Reisebücher geschrieben.<br />

Und ermalt –bringt in Bilder,<br />

wofür er die Wortenicht findet. Seine<br />

Frauen- oder Katzenwesen, Zeitmaschinen<br />

und Selbstporträts mit großem<br />

Schnurrbart setzen die Prosa-<br />

Traumskizzen fort. Im Band „Ohne<br />

Umkehr“ bemerkt er „Die Schriftsteller<br />

halten mich für einen großartigen<br />

Maler, die Maler mich hingegen für<br />

einen grandiosen Schriftsteller.<br />

Mehr kann man nicht verlangen.“<br />

Nicht nur wegen seiner Vielgestaltigkeit<br />

nimmt sein Werk in der<br />

deutschen Literatur einen besonderen<br />

Platz ein, sondern wegen der<br />

überzeugenden Form seiner Gedichte,<br />

der funkelnden Ironie der<br />

Geschichten und der geschliffenen<br />

Sprache in den Essays. Als kränkli-<br />

ches Kind einer jüdischen Mutter,<br />

die zwar geschützt war durch die Ehe<br />

mit einem „arischen“ Mann, doch<br />

mit derVerschärfung der NS-Rassengesetze<br />

zunehmend in Angst lebte,<br />

wuchs Günter Kunert vor allem mit<br />

Büchernauf. Er nutzefrüh das Lesen<br />

als Rettungsseil, um sich aus widrigen<br />

Verhältnissen zu hangeln und<br />

setzte dies später schreibend fort.<br />

Dasnächste Buch ist schon geplant<br />

„Worin denn besteht die Wirksamkeit<br />

von Literatur, wenn nicht darin,<br />

uns lebensfähiger zu machen, nämlich<br />

fähiger,unsereExistenz, also deren<br />

Unsinnigkeit, Beiläufigkeit,<br />

krude Vermessenheit überhaupt zu<br />

ertragen“, sagte er 1985, gebeten, vor<br />

dem Börsenverein des deutschen<br />

Buchhandels über Politik und Literatur<br />

zu sprechen. Zwar nannte er in<br />

„der tödlich bedrohten“ Welt „politisches<br />

Desinteresse selbstmörderisch“.<br />

Doch Kunert wollte und will<br />

die Literatur von einer politischen<br />

Inauftragnahme entbinden.<br />

„Große Ereignisse lassen ihre<br />

Schatten zurück“ lesen wir in dem<br />

Band„Die Geburtder Sprichwörter“.<br />

Die 90Jahre des Günter Kunert sind<br />

von zahlreichen Schatten der deutschen<br />

Geschichte bedeckt worden.<br />

Wenn er der Pessimist wäre, den<br />

man ihm andichtet, wäre erunter<br />

diesem Dunkel längst erstickt. Doch<br />

der Dichter blickt der Zeit ins Auge<br />

und hört auf ihren Rhythmus. Nach<br />

dem <strong>Berliner</strong> Gesprächsabend planen<br />

der Wallstein-Verleger und der<br />

Autor bereits das nächste Buch.<br />

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