Berliner Kurier 07.03.2019
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12 BERLIN **<br />
BERLINER KURIER, Donnerstag, 7. März2019<br />
Am 17. Oktober 1987 überfielen<br />
Neonazis ein Punkkonzert<br />
in der Zionskirche. Die DDR<br />
verharmloste den Vorfall und<br />
sprach von Rowdys. Statisten<br />
stellten das Konzert jetzt nach.<br />
Foto: imago, Wächter,Erik Weiss, Mathias Bothor<br />
Jahrzehntelang verschwiegen<br />
Von<br />
STEFAN STRAUß<br />
Gott hat keinen Platz in<br />
der Kirche, nicht an<br />
diesem Abend vor<br />
zwei Tagen. Ein Pulk Punks<br />
steht um das Kreuz herum,<br />
die Luft ist verqualmt, viele<br />
rauchen. Vor dem Altar<br />
spielt eine Band. Schlagzeug,<br />
Gitarren, Gesang. „No God<br />
anymore“ heißt der Song der<br />
<strong>Berliner</strong> Band Element of<br />
Crime. Es gibt keinen Gott<br />
mehr. Die Zuschauer tanzen<br />
und brüllen „Zugabe“. Ein<br />
Punkkonzert in der Kirche.<br />
In der DDR war das keine<br />
Seltenheit.<br />
Doch die Szenerie in der Zionskirche<br />
ist eine Wiederholung,<br />
inszeniert für das ZDF.<br />
Die Punks sind Statisten. Die<br />
Filmemacher haben die Zionskirche<br />
einen Abend lang<br />
gemietet, um einen Vorfall<br />
nachzuspielen, der sich am<br />
17. Oktober 1987 in Ost-Berlin<br />
ereignet hatte. Eine Gruppe<br />
Neonazis hatte ein Punkkonzert<br />
mit der Ost-<strong>Berliner</strong><br />
AlsDDR-Nazisdie<br />
Zionskirche stürmten<br />
ZDF dreht den Überfall von 1987 für einen Dreiteiler nach<br />
Vonlinks nach rechts: Jonathan<br />
Berlin, Nadja Uhl, Oliver Masucci<br />
und Michelangelo Fortuzzi.<br />
Band Die Firma und der<br />
West-<strong>Berliner</strong> Band Element<br />
of Crime überfallen. In der<br />
Kirche waren etwa 2000 Besucher.<br />
Die Neonazis brüllen<br />
„Kommunistenschweine“,<br />
„Juden raus“ und „Heil Hitler“.<br />
Sie verprügeln Zuschauer,<br />
manche werden verletzt.<br />
„Man kann sich nicht vorstellen,<br />
was passiert wäre,<br />
wenn es eine Panik gegeben<br />
hätte“, erinnert sich Sven Regener<br />
von Element of Crime.<br />
„Da hätte es viele Tote gegeben.“<br />
Die westdeutschen<br />
Medien berichteten ausführlich<br />
über den Vorfall, Zeitungen<br />
in der DDR nur wenig.<br />
Dort wurde der Überfall verharmlost<br />
dargestellt, von<br />
Neonazis sprach niemand,<br />
schon gar nicht von einer<br />
rechtsextremen Szene. In<br />
den Zeitungen stand, wegen<br />
der schweren Ausschreitungen<br />
in der Zionskirche seien<br />
die Angeklagten zu Haftstrafen<br />
von bis zu vier Jahren<br />
verurteilt worden. Von Rowdys<br />
ist die Rede, die faschistisch-terroristische<br />
Parolen<br />
gebrüllt hätten.<br />
Der Filmregisseur Konrad<br />
Weiß schrieb im März 1989,<br />
der sozialistische deutsche<br />
Staat sei auf dem rechten Auge<br />
blind. Neonazis durfte es<br />
in der DDR, dem antifaschistischen<br />
Staat, offiziell nicht<br />
geben. Dabei hatten die Behörden<br />
etwa 15 000 Neonazis<br />
im Blick, darunter etwa<br />
1000 Gewaltbereite.<br />
Das ZDF rekonstruiert den<br />
Überfall jetzt in einem historischen<br />
Dreiteiler, den der<br />
Sender im Herbst, zum 30.<br />
Jahrestages des Mauerfalls,<br />
zeigen wird. Der Schweizer<br />
Michael Krummenacher<br />
führt Regie und Schauspielerin<br />
Nadja Uhl, 1972 in Stralsund<br />
geboren, gehört zu den<br />
wenigen am Film Beteiligten,<br />
die in der DDR gelebt haben.<br />
Die 46-Jährige erzählt, sie<br />
habe als Teenie selbst Punkrockkonzerte<br />
besucht. Ihre<br />
Mutter habe sie mit dem Trabi<br />
zu Konzerten gefahren,<br />
zum Beispiel zur Band Die<br />
Skeptiker. Nadja Uhl sagt, sie<br />
habe großen Respekt vor all<br />
denen, die wegen ihrer politischen<br />
Überzeugung in der<br />
DDR inhaftiert wurden und<br />
die es gewagt haben, ihr Leben<br />
zu ruinieren. Sie sagt:<br />
„Diesen Menschen möchte<br />
ich mit diesem Film ein<br />
Denkmal setzen“.