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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 61 · D onnerstag, 14. März 2019 – S eite 1<br />
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Kulturkalender<br />
DER WOCHENÜBERBLICK VOM 14. BIS 20. MÄRZ 2019<br />
Filmtipps<br />
Kinoprogramm<br />
Literatur<br />
Ausstellungen<br />
Konzerte<br />
Bühne<br />
Seiten 2&3<br />
Seiten 2–6<br />
Seite 6<br />
Seite 7<br />
Seite 7<br />
Seite 8<br />
Die Freiheit<br />
des Sounds<br />
Die kalifornische Band<br />
The Internet spielt am Donnerstag<br />
im Festsaal Kreuzberg<br />
VonMarkus Schneider<br />
Hier steht eine BU. Hier steht eine BU. Hier steht eine BU.<br />
XXXXXX<br />
Ein warmer Jazzbass zupft<br />
sich den Wegüber ein paar<br />
Stimmen. Ein Stück Holz<br />
klackert, eine akustische<br />
Gitarreund leise Drums schlagen einen<br />
leichten Beat und ein paar Bläser<br />
säuseln, schließlich verdichten<br />
sich die Stimmen zum Chor.–„Come<br />
Together“ heißt der verwuschelte<br />
Opener des vierten Albums der R&B-<br />
Band The Internet, ein enorm stimmungsvoller<br />
Einstieg nicht nur ins<br />
Album, sondernauch das Wesen des<br />
Kollektivs aus Los Angeles. Eslebt<br />
aufs Schönste vom gemeinschaftlichen<br />
Tun, vom Bündeln der Kräfte<br />
zum Wohl des Ganzen<br />
„Hive Mind“ heißt ihr viertes Album,<br />
Schwarmintelligenz, nach einem<br />
der zentralen Schlagwörter des<br />
Jahrzehnts. Neu ist die Organisati-<br />
onsform nicht, die es beschreibt. Sie<br />
prägt mittlerweile auch das weitere<br />
Feld der gesellschaftlichen Produktion,<br />
und im Grunde beruht auch der<br />
Großteil des jedenfalls Charts-fähigen,<br />
aktuellen Pop auf Schwarmintelligenz;<br />
die einzelnen Tracks sind<br />
meistens das Ergebnis verschiedenster<br />
Spezialbegabungen.<br />
Im Gegensatz zu dieser Schicht<br />
identifizieren sich The Internet aber<br />
als Band, wobei sie sich vonden herkömmlichen<br />
Modellen durch die gewisse<br />
projektartige Offenheit unterscheidet.<br />
Sie fördern die je individuellen<br />
Profile: Alle fünf Beteiligten haben<br />
in den letzten beiden Jahren Soli<br />
veröffentlicht.<br />
Die Sängerin Sydney Bennett, als<br />
Künstlerin kurz Syd, der Keyboarder<br />
Matt Martians und der Gitarrist<br />
Steve Lacy tragen zwar mehr Kompositionsverantwortung<br />
als der Bassist<br />
Patrick Paige II und der Drummer<br />
Christopher Smith; als zentrale<br />
Sängerin sticht Bennett naturgemäß<br />
hervor. Aber im musikalischen Ganzentreten<br />
die Einzelnen hörbar hinter<br />
das Kollektiv zurück.<br />
Man spürt diesen Sinn für die<br />
Freiheit des Einzelnen in der Freiheit<br />
des Sounds, und man erkennt ihn<br />
auch daran, dass niemand auf sein<br />
offizielles Live-Instrument reduziert<br />
bleibt. Sogar die Leadvocals geben<br />
viel Raum für Chorstrecken. Alle<br />
bringen sich nach ihren Fähigkeiten<br />
ein, um sich jeweils nach ihren Bedürfnissen<br />
zu belohnen.<br />
Entsprechend springen die Songs<br />
den Hörern auch nicht ins Gesicht.<br />
Ihre Sounds drängen sich vielmehr<br />
ziemlich jazzig aneinander,die Stimmung<br />
lebt von einem feinen Understatement.<br />
Auch wo sie –auf dem aktuellen<br />
Album etwa auf der Single<br />
„Roll (Burbank Funk)“ –mit ziemlich<br />
forschen Funkbasslines arbeiten,<br />
bleibt ein kreiselnder und horizontaler<br />
Eindruck. Sie knüpfen Netze aus<br />
mal sacht schweifendem Soul, luftigen<br />
Breaks und offenen Harmonien,<br />
mal mit einem weichen Touch Retrodisco<br />
aus klingelnden Gitarren und<br />
der weichen, hellen Stimme von<br />
Bennett, deren vorläufiger, sinnierender<br />
Tonfall gut hörbar vonErykah<br />
Badu inspiriertist.<br />
Die schweifende Form fordert genaueres<br />
Hören. Aber sie entwickelt<br />
von Album zu Album einen immer<br />
zwingenderen Sog. Der Schwarm<br />
summt und brummt an den Rändern,<br />
aber verdichtet sich im Kern.<br />
„Ego Death“ hatten sie 2015 das dritte<br />
Album überschrieben, das mit einer<br />
Grammy-Nominierung als bestes Urban-Album<br />
den Durchbruch bedeutete.Der<br />
Todder Egos lässt sich schon<br />
auch als programmatische Grundlage<br />
interpretieren, was jedoch angesichts<br />
der Geschichte der Künstler ein<br />
bisschen überrascht.<br />
Bennett und Martians, die das<br />
Projekt 2011 angeschoben haben,<br />
gehörten nämlich immerhin bis<br />
2016 zur HipHop-Crew Odd Future,<br />
deren Rapper wie Tyler the Creator<br />
und Earl Sweatshirtdurch besonders<br />
sexistisches und homophobes Geschrei<br />
auffielen –während Bennett,<br />
die damals als Syd tha Kid für die<br />
Beats sorgte (ebenso wie der Sänger<br />
Frank Ocean) offen zu ihrer queeren<br />
Orientierung stand. Weniger als persönliches<br />
Statement übrigens,Feminismus<br />
ist ihr nicht so wichtig, sagt<br />
sie, lesbisch als Kategorie findet sie<br />
anstrengend.<br />
Sie habe sich vor allem geoutet,<br />
um den Jungen die Einsamkeit der<br />
pubertären Queerness zu nehmen,<br />
unter der sie gelitten hatte. Ganz<br />
selbstverständlich, ganz beiläufig<br />
richtet die 26-Jährige ihre Liebestexte<br />
an Frauen. Sie zweifelt meist<br />
am Ergebnis ihrer Mühen, aber sie<br />
kennt die Aufgabe.<br />
Undsoähnlich sollten wir vermutlich<br />
auch die schüchterne Lust in der<br />
Musik von The Internet verstehen –<br />
als Dynamisierung des Ungefähren.<br />
The Internet Do (14.3.),20Uhr,FestsaalKreuzberg,Am<br />
Flutgraben2<br />
Zum Jubiläum auf den Mond<br />
Vor15Jahren hat sich das Chamäleon Theater dem neuen Zirkus verschrieben und geht seither unerschrocken Wagnisse ein<br />
VonBirgit Walter<br />
DasVarieté bleibt theatralisch. Jedenfalls<br />
das im Chamäleon in<br />
den Hackeschen Höfen, dessen Neugründung<br />
auch schon wieder fünfzehn<br />
Jahre zurück liegt. Im Jubiläumsjahr<br />
erwartet es den millionsten<br />
Besucher. Allein das verlangt hohen<br />
Respekt. Wenn sich ein Haus ohne<br />
jeden öffentlichen Zuschuss unerschrocken<br />
durchsetzt gegen die gewaltige<br />
Übermacht der hochsubventionierten<br />
Theater-und Opernkultur<br />
Berlins,dazu noch gegen eine Show-<br />
Instanz wie den Friedrichstadt-Palast<br />
zwei Straßen weiter,dann ist das<br />
jeden Applaus wert.<br />
Im Chamäleon sind Enthusiasten<br />
am Werk,die 2004 in den Trümmern<br />
einer Insolvenz den Neuanfang wagten.<br />
Sie fanden den Jugendstil-Ballsaal<br />
tatsächlich voller Schutt und<br />
Staub vor. Der wurde auch danach<br />
nie auf Hochglanz poliert, fand aber<br />
Die tschechische Compagnie CirkLaPutyka lädt zur Traumreise ein.<br />
JAKUB JELEN<br />
milie,was man nicht vermutet, denn<br />
raffiniert sieht sein Raketenflug mit<br />
Puppe nicht gerade aus. Doch fraglos<br />
ist genau das gewollt.<br />
Man begegnet im Programm<br />
auch Adam und Eva, Bugs Bunny,Elvis,<br />
Astronauten mit leuchtenden<br />
Helmen und einem weißbärtigen<br />
Großvater mit Bauch, Stock und Zigarre,<br />
der seinem Enkel das Turnen<br />
an Ringen beibringt. Natürlich beherrscht<br />
der Alte die Kunst nicht in<br />
greisenhafter Weise,sonderninVollendung.<br />
Ob aber schließlich die Entführung<br />
in eine „phantastische und<br />
durchgeknallte Welt“ gelingt, wie es<br />
die Programm-Ankündigung behauptet,<br />
wird erst die Uraufführung<br />
am Donnerstag zeigen.<br />
Die Risiken sind groß, neue<br />
Kunstformen grundsätzlich heikel.<br />
Und welches Stück kann sich schon<br />
an der Markus-Pabst-Inszenierung<br />
„Soap“ von2007 messen, ein Exportschlager,<br />
der es bis nach Australien<br />
mit neuem Parkett, funktionierender<br />
Bar und grandioser Soundanlage<br />
doch Anschluss an dieses Jahrhundert.<br />
Seitdem strebt das Haus immerzu<br />
nach Höherem, gab sich nie<br />
mit solidem Varieté zufrieden, sondernverschrieb<br />
sich sofortund konsequent<br />
der Idee des Neuen Zirkus<br />
oder Cirque Nouveau. Dabei handelt<br />
es sich um inszenierte Shows, die<br />
meist versuchen, Geschichten zu erzählen,<br />
neben Artistik vor allem<br />
Schauspiel und Tanz ins Spiel lassen.<br />
Im nächsten Stück „Memories of<br />
Fools“, von dem schon Ausschnitte<br />
zu sehen waren, geht es um den<br />
Traum eines Kindes, Kosmonaut zu<br />
werden. Die Compagnie Cirk LaPutyka<br />
mit neun Tänzern, Akrobaten<br />
und Schauspielern reist zum Mond,<br />
redet englisch und tschechisch, hantiert<br />
mit Reifen, Bällen, Wippen und<br />
zwei Guckkasten-Bühnen.<br />
Der Regisseur Rotislav Novák<br />
stammt aus einer Puppenspielerfaschaffte<br />
und irgendwo auf der Welt<br />
immer noch läuft.<br />
Ja,auf dieses Varieté konnten sich<br />
alle verständigen, Akrobaten, Macher,<br />
Zuschauer. Das gelingt nicht<br />
immer. Imletzten Jahr präsentierte<br />
das Chamäleon zwei Stücke, wie sie<br />
unterschiedlicher nicht sein konnten.<br />
Das eine –„Finale“ –witzig, unterhaltend,<br />
überraschend erwies<br />
sich als das reine Vergnügen. Im<br />
zweiten Halbjahr lief „Peepshow“ –<br />
irreführend, erdenschwer, unerotisch,<br />
laut. Den Artisten sollte man<br />
die Anstrengung ansehen, ihr Stöhnen<br />
hören. Wirklich nichts für jedermann,<br />
aber offenbar erfolgreich. Die<br />
künstlerische Leiterin Anke Politz<br />
steht zu jedem Wagnis,wie sonst soll<br />
das Neue in Welt kommen?<br />
MemoriesofFools Premiere 14. März 20 Uhr.<br />
Bis 18.August tägl. außer montags,<br />
Chamäleon Theater,Rosenthaler Straße 40/41.<br />
Tickets: 030 4000 590