Berliner Zeitung 11.04.2019
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Eine Publikation des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin |dso-berlin.de<br />
Symphonisches Doppel<br />
Osmo Vänskä und Martin Fröst am 19.05.<br />
Dass zwei gewichtige Symphonien ein Konzert einrahmen,<br />
wird man nicht allzu oft erleben. Doch mit Samuel Barbers<br />
Erster und der Viertenvon Jean Sibelius stellt Osmo Vänskä<br />
Werke zweier Komponisten einander gegenüber, die musikgeschichtlich<br />
eng verbunden sind.<br />
Amerikanischer Klang<br />
Sibelius’ Orchestermusik war imenglischsprachigen Raum<br />
von Anfang an ein durchschlagender Erfolg beschieden –<br />
ganz anders als inDeutschland,woman sielangeals Sonderfall<br />
aus dem provinziellen Nordeuropa abtat.InEngland und<br />
den Vereinigten Staaten hingegen wurde er mitunter als der<br />
wichtigste Symphoniker nach Beethoven verehrt. Kein Wunder,dass<br />
der 26-jährigeBarber sich Sibelius bei der Komposition<br />
seiner Ersten zum Vorbild nahm. Sie verbindet mehrere<br />
Sätzezueiner fließenden, großen Einheit –eine Technik, die<br />
er sich bei Sibelius’ späten Symphonien abgeguckt hatte. Die<br />
Tonart e-Moll und der jugendlich-drängende Gestus wiederum<br />
rücken sie in die Nähe von Sibelius’ Erster. Gleich zu<br />
Beginn offenbaren sich die hohe Grundtemperatur der enorm<br />
leidenschaftlichen Musik sowie eine Affinität zu ausladenden<br />
Linien und einem breiten, »amerikanischen« Klang. Die<br />
federnden, treibenden Rhythmen des Scherzo-Abschnitts<br />
lassen dann das finnische Vorbild überdeutlich zu Tage treten,<br />
doch insgesamt strahlt Barbers Erste eine selbstbewusste,<br />
mitreißende Originalität aus.<br />
Protest gegen die Gegenwartsmusik<br />
Ganz anders Sibelius’ Vierte, deren Ausdruck von solcher<br />
Selbstsicherheit denkbarweit entferntist.Erschrieb sie1909<br />
bis 1911 unter dem Eindruck der aufkommenden Moderne,<br />
mit der Schönberg, Strawinsky und andere alle bisher<br />
geltenden Traditionen in Frage stellten. Wie viele Komponisten<br />
seiner Generation lehnte Sibelius die revolutionären<br />
Ansätze inihrer Radikalität ab und wollte seine Vierte als<br />
»Protest gegen die Gegenwartsmusik« verstanden wissen.<br />
Doch ironischerweise schrieb er in dem Bestreben, den neuen<br />
Strömungen etwas Eigenes entgegenzusetzen, letztendlich<br />
selbst sein modernstes Werk. Ein reduzierter, oft spärlicher<br />
Klang und die Verweigerung jedes noch so kleinen Anflugs<br />
von Sentimentalität geben der Musik einen Charakter asketischer<br />
Unversöhnlichkeit. Schon der Beginn mutet an wie<br />
das Abbild einer Depression, und lange kann sich die Musik<br />
nur episodenweise von dieser Last befreien. Der letzte Satz<br />
scheint dann zunächst den heiteren Kehraus zu versprechen,<br />
doch Sibelius verhindertgezielt das glückliche Ende –Stück<br />
für Stück zerfällt der Drive der Musik wieder,und das Werk<br />
endet in derselben Schwermut, inder es begonnen hat.<br />
Zwischen den beiden »symphonischen Schwergewichten«<br />
erklingt Musik eines weiteren großen Amerikaners, die<br />
ihre kreative Kraft aber aus einer ganz anderen Klangwelt<br />
schöpft –dem Jazz. Aaron Coplands Klarinettenkonzert<br />
entstand 1948 auf Anregung von Benny Goodman, dem<br />
»King of Swing«. Copland schuf ein brillantes Werk, das nur<br />
mit Streichern, Harfe und Klavier geschickt jenen vom Jazz<br />
beeinflussten »American Sound« trifft, der Copland in den<br />
USAzueiner zentralen Figur der Musik des 20. Jahrhunderts<br />
gemacht hat. Der schwedische Ausnahmeklarinettist Martin<br />
Fröst, der zuletzt 2016 beim DSO mit dem Nielsen-Konzert<br />
begeisterte, wird den Solopart übernehmen.<br />
CHRISTOPH EDER<br />
Samuel Barber Symphonie Nr.1<br />
Aaron Copland Klarinettenkonzert<br />
Jean Sibelius Symphonie Nr.4a-Moll<br />
OSMO VÄNSKÄ<br />
Martin Fröst Klarinette<br />
So 19.Mai<br />
20 Uhr | 18.55 Uhr Einführung<br />
Philharmonie<br />
Karten von 20 €bis 63 €<br />
Sommermusik mit Italianità<br />
Kent Nagano und Emanuel Ax am 28.06.<br />
Nagano |Vänskä<br />
Nein, nach einem trotzigen, schwergewichtigen<br />
Beethoven klingtdiese Ouvertüre von<br />
Franz Schubert nicht –dabei war der große<br />
Wiener Klassiker für den knapp 21-Jährigen<br />
SchubertEnde 1817 noch immer das erklärte<br />
Vorbild, wenn es darum ging, für ein großes<br />
Orchester zu schreiben. Aber der junge<br />
Nachwuchskomponist wollte mit seiner<br />
Ouvertüre ›im italienischen Stil‹ in D-Dur<br />
kein künstlerisches Herzensanliegen verwirklichen,<br />
sondern eine Wette gewinnen.<br />
Zunehmend warSchubertvom in Wien grassierenden<br />
Rossini-Fieber genervt.Die Opern<br />
des quirligen Italieners wurden in allen Theatern<br />
der Stadt vom Publikum gefeiert und<br />
auch von Schuberts Freunden gelobt –in<br />
übertriebener Weise, wie er fand. Laut seinem<br />
ersten Biografen Heinrich Kreissle von<br />
Hellborn erklärte er daraufhin, »es würde<br />
ihm ein Leichtes sein, derlei Ouvertüren, in<br />
ähnlichem Styl gehalten, binnen kürzester<br />
Zeit niederzuschreiben. Schuberts Begleiter<br />
nahmen ihn beim Wort, und versprachen ihrerseits<br />
die That durch ein Glas guten Weins<br />
zu belohnen.«<br />
Humorige Stilkopie<br />
Nun, für ein »Glas guten Weins« hätte<br />
Schubertvielleicht die irgendwie italienisch<br />
scheinende Humm-tata-Begleitung des<br />
schnellen Hauptteils verfasst –doch offenbar<br />
fing er Feuer für die selbstgestellte<br />
Aufgabe einer Ouvertüre im italienischen<br />
Stil. Wäre er allein durch die Aussicht auf<br />
gepflegtgenossenen Alkohol zu der genialen<br />
(und übrigens Rossini fast übertrumpfenden)<br />
Melodie der Einleitung gelangt, welche<br />
inniger und schwebender kaum ausgedacht<br />
werden kann? Mit der Mischung aus originaler<br />
Eingabe und humoriger Italo-Stilkopie<br />
hat der jungeKomponist jedenfalls erstmals<br />
in seinem kurzen Leben dafür gesorgt, dass<br />
ein Schubert’sches Orchesterwerk aufgeführtwurde<br />
–wenn auch nur in einem Wiener<br />
Gasthof. Dort dürfte erdann wohl auch<br />
seine Belohnung genossen haben.<br />
Schubertallerdings nahm man in der romantischen<br />
Epoche nicht nur als »Nachfolger«<br />
Beethovens, Rossinis oder Mozarts wahr.<br />
Der Dichter E.T. A. Hoffmann etwa meinte,<br />
inMozarts Klavierkonzert G-Dur KV<br />
453 eine »romantische« Harmoniefolge zu<br />
entdecken, welche ihn umgekehrt anSchubert<br />
erinnerte –von diesem freilich konnte<br />
Mozart inden 1780er-Jahren noch nichts<br />
geahnt haben. Auch hatte Mozart imGegensatz<br />
zu Schubert als Jugendlicher sein<br />
kompositorisches Handwerk tatsächlich in<br />
Italien gelernt, beherrschte esschlafwandlerisch<br />
und band die Sanglichkeit des italienischen<br />
Stils auch in seine Klavierkonzerte<br />
ein, ohne extradarauf hinweisen zu müssen.<br />
Emanuel Ax, der US-amerikanische AltmeisteramKlavier,wird<br />
dasKonzertzum Saisonausklang<br />
am 28. Juni unter der Leitung von<br />
Ehrendirigent Kent Nagano interpretieren.<br />
Atmosphärische Reflexion<br />
Noch mehr als Schubert lebte der später geborene<br />
Felix Mendelssohn Bartholdyseinerseits<br />
im Zeitalter der romantischen Italien-<br />
Sehnsucht.Jeder Künstler wobhier sein Italienbild<br />
in die eigene Poetik mit ein. So ist<br />
auch Mendelssohns Vierte Symphonie, die<br />
›Italienische‹, keine naturalistische Tonmalerei<br />
über Geschehnisse und Stimmungen in<br />
dem südlichen Land, sondern eine Reflexion<br />
über die dortige Atmosphäre –aus den reinen<br />
Gesetzen der Musik heraus. Mag auch<br />
das Finale mit »Saltarello« überschrieben<br />
sein, so sind doch italienische Tänze, Eindrückevon<br />
Landschaft und Architektur nur eine<br />
Folie für Mendelssohns Musik, die in dieser<br />
Symphonie ohne äußerliches Programm ihre<br />
Gesetze aus sich selbst heraus gewinnt.<br />
MATTHIAS NÖTHER<br />
Franz Schubert Ouvertüre D-Dur<br />
›im italienischen Stil‹<br />
Wolfgang Amadeus Mozart Klavierkonzert Nr. 17<br />
G-Dur KV 453<br />
Felix Mendelssohn Bartholdy Symphonie Nr.4<br />
A-Dur ›Italienische‹<br />
KENT NAGANO<br />
Fr 28. Juni<br />
20 Uhr | 18.55 Uhr Einführung<br />
Philharmonie<br />
Karten von 20 €bis 63 €