-flip_joker_2019-05
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10 KULTUR JOKER KULTOUR<br />
Die EU auf dem Prüfstand<br />
Ein Vortrag der Freiburger Diskurse<br />
im Vorfeld der Europawahl<br />
Vom 23. bis 26. Mai ist Europawahl<br />
und die scheint bedeutsamer<br />
denn je. Die EU, die<br />
vorher meist als selbstverständlich<br />
gesehen wurde, scheint nun<br />
fragwürdig oder bedroht. Für<br />
den Verein Freiburger Diskurse<br />
liegt die Prognose klar: „Europa?<br />
Verwirrt!“ Im Vorfeld der<br />
Europawahl am 16. Mai, 19 Uhr<br />
hat der Verein zwei Fachleute<br />
eingeladen, die über Nationalismus,<br />
Europabegeisterung, über<br />
Politik- und Wirtschaftsfragen<br />
diskutieren. Professor Dr. Martin<br />
Höpner vom Max-Planck-<br />
Institut für Gesellschaftsforschung<br />
in Köln und Dr. Paul<br />
Steinhardt, Herausgeber des<br />
kritischen Politikmagazins<br />
„makroskop.eu“ versprechen<br />
ihren ZuhörerInnen im Hörsaal<br />
2004 der Universität Freiburg<br />
einen spannenden Abend, der<br />
auch für Wirtschafts- und Politlaien<br />
verständlich sein wird.<br />
Ausgangspunkt sind die<br />
kaum zu übersehenden populistischen<br />
und nationalistischen<br />
Bewegungen. Sie alle eint eine<br />
harsche Kritik am System der<br />
Europäischen Union. Und das<br />
betrifft längst nicht bloß die<br />
vielzitierten Stammtische. Der<br />
Brexit steht vor der Tür, in Italien<br />
sind Anti-EU-Äußerungen<br />
längst Alltagsgeschäft und Polens<br />
und Ungarns EU-kritische<br />
Regierungsparteien wissen eine<br />
große Wählerbasis hinter sich.<br />
Dem gegenüber formieren sich<br />
zivilgesellschaftliche und parteiliche<br />
Bewegungen, die meist<br />
für die Einheit Europas, Demokratie,<br />
Freiheit und Rechtsstaatlichkeit<br />
eintreten: Pulse of<br />
Europe, Junge Europäer, auch<br />
deutsche Parteien wie die SPD<br />
sind klar Pro-Europa. Bei der<br />
zunehmenden Frontenbildung<br />
scheint es leicht,<br />
eine negative und<br />
positive, eine populistische<br />
und eine<br />
konstruktive Seite<br />
auszumachen.<br />
Professor Dr.<br />
Martin Höpner<br />
warnt hier aber:<br />
„Man sollte den<br />
Unmut, der hier<br />
zum Ausdruck<br />
kommt, ernsthaft<br />
prüfen,<br />
bevor man ihn<br />
als Populismus<br />
abqualifiziert.<br />
Ich kann nur<br />
nachdrücklich<br />
davor warnen,<br />
die Wahl zwischen<br />
mehr und weniger EU<br />
als Entscheidung zwischen Gut<br />
und Böse zu interpretieren.“ Dr.<br />
Paul Steinhardt ergänzt: „Den<br />
wertenden Begriff des Populismus<br />
würde ich nicht verwenden,<br />
da er das Phänomen<br />
nicht richtig erfasst.“ Steinhardt<br />
sieht es kritisch, dass jüngere<br />
Parteien wie die Lega und die<br />
Fünf-Sterne-Bewegung in Italien<br />
als Populisten bezeichnet<br />
werden, nur weil diese das<br />
Wirtschaftsmodell der EU kritisierten.<br />
Tatsächlich habe der<br />
wirtschaftliche Abstieg Italiens,<br />
der den Parteien sicher<br />
zum Aufstieg verholfen habe,<br />
mit der Einführung des Euro<br />
begonnen.<br />
„Mit der Einführung des<br />
Euro kam es faktisch zu einer<br />
Fixierung von Wechselkursrelationen.<br />
Um aber die damit<br />
verbundenen Probleme in den<br />
Griff zu bekommen, hatte man<br />
sich auf ein Inflationsziel von<br />
knapp 2 Prozent geeinigt. Da<br />
Inflation aber in erster Linie<br />
auf die Entwicklung<br />
der nominellen Löhne<br />
im Verhältnis zur Produktivitätsentwicklung<br />
zurückzuführen<br />
ist, ergibt sich faktisch<br />
ein Zwang zur Lohnkoordination.<br />
Lohnentwicklungen<br />
im Verhältnis zu Produktivitätsentwicklungen<br />
müssen zu<br />
vergleichbaren Inflationsraten<br />
führen. In Italien war die Inflationsrate<br />
bis zum Ausbruch der<br />
Großen Finanzkrise aber etwas<br />
über und in Deutschland deutlich<br />
unter diesem Inflationsziel<br />
geblieben. Die Folge: Deutsche<br />
Exportgüter wurden preislich<br />
wettbewerbsfähiger gegenüber<br />
den italienischen. was zu<br />
einem weiteren Nachfrageausfall<br />
führte.“<br />
Es sei schlicht falsch, die Probleme<br />
Italiens wie die Staatsverschuldung,<br />
der inflexible<br />
Arbeitsmarkt, die korrupte Justiz<br />
lediglich als hausgemacht<br />
zu betrachten. „Die EU ist ein<br />
Konstrukt, das in vielen Ländern<br />
der Eurozone einen wirtschaftlichen<br />
Abstieg induziert<br />
hat, auf den die Menschen mit<br />
der Wahl ‚unverbrauchter‘<br />
Parteien<br />
reagieren. Ob<br />
deren wirtschaftspolitischen<br />
Vorstellungen, dann die wirtschaftliche<br />
Lage verbessern<br />
können oder nicht, steht dabei<br />
auf einem anderen Blatt.“<br />
Professor Dr. Höpner empfiehlt<br />
auch hier „mehr Europa“,<br />
etwa in Form einer europäische<br />
Koordination bei der<br />
Kapitalbesteuerung. „Aber<br />
es gibt auch Beispiele für das<br />
Gegenteil: Grundfreiheiten<br />
und Wettbewerbsrecht dringen<br />
viel zu tief in sensible Bereiche<br />
wie die nationalen Arbeits- und<br />
Sozialverfassungen ein.“ Auch<br />
den „äußerst aktivistischen“<br />
Europäischen Gerichtshof<br />
sieht Höpner in einigen Belangen<br />
kritisch. Der EuGH<br />
wende das europäische Wettbewerbsrecht,<br />
dazu zählen das<br />
Beihilfeverbot und das Kartellrecht,<br />
auf Bereiche an, für die<br />
es eigentlich nicht vorgesehen<br />
sei. „Damit hat der EuGH den<br />
Steuerwettbewerb verschärft;<br />
es Unternehmen ermöglicht,<br />
ausländische Rechtsformen<br />
Dr. Paul Steinhardt Foto: Makroskop Professor Dr. Martin Höpner Foto: MPIfG<br />
zu wählen, mit desaströsen<br />
Wirkungen auf die<br />
Mitbestimmung der Beschäftigten;<br />
und hat in das nationale<br />
Arbeitskampfrecht eingegriffen,<br />
in dem er urteilte, dass Arbeitskämpfe<br />
die Ausübung der<br />
Grundfreiheiten nicht unverhältnismäßig<br />
stören dürfen.“<br />
Der Vortrag der beiden Referenten<br />
beschäftigt sich intensiv<br />
mit den wirtschaftspolitischen<br />
Folgen des Systems der EU.<br />
Kontroverse Meinungen sollen<br />
dabei nicht vermieden, sondern<br />
Einladung zu einer streibaren<br />
Debattenkultur sein, wie sie<br />
der Verein Freiburger Diskurse<br />
auch fordert. Auf diesem Wege<br />
soll fundiert erörtert werden,<br />
ob wir „mehr“, „weniger“ oder<br />
ein „anderes“ Europa brauchen.<br />
Vortrag „Europa? Verwirrt!“<br />
am 16. Mai, 19 Uhr, Universität<br />
Freiburg, Hörsaal 2004.<br />
Weitere Infos: www.freiburger-diskurse.de<br />
Fabian Lutz