-flip_joker_2019-05
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6 KULTUR JOKER THEATER<br />
Der Titel von Hans Fallada<br />
1932 veröffentlichtem Roman<br />
„Kleiner Mann – was nun?“<br />
hatte vermutlich auch für seine<br />
Zeitgenossen eine gewisse Doppelbödigkeit.<br />
Aus der Sicht von<br />
Pinneberg und Emma, genannt<br />
Lämmchen beschreibt die Frage<br />
den täglichen Überlebenskampf,<br />
aus der historischen Perspektive<br />
die Situation unmittelbar vor<br />
der „Machtergreifung“. Bei den<br />
Wahlen im Juli 1932 verzeichnete<br />
die NSAP einen Zuwachs von<br />
19 Prozent und kam damit auf<br />
über 37 Prozent. „Was nun“ geht<br />
über die Alltagssorgen hinaus,<br />
indem es auch nach der politischen<br />
Haltung fragt. Hans Falladas<br />
Roman über das junge Paar,<br />
das im Laufe von zwei Jahren<br />
einen beängstigenden sozialen<br />
Niedergang erlebt, steckt voller<br />
konkreter Hinweise auf seine<br />
Zeit und auf die Lage der Arbeiter<br />
und kleinen Angestellten irgendwo<br />
zwischen Kommunisten<br />
und Nationalsozialisten. Insofern<br />
überrascht es nicht, dass er in den<br />
letzten Jahren auf vielen deutschsprachigen<br />
Bühnen zu sehen war.<br />
In Freiburg hat nun Andreas von<br />
Studnitz für das Wallgraben Theater<br />
eine schlanke Textfassung<br />
aus dem Roman extrahiert und<br />
Zwei Menschen unter lauter Zerrbildern<br />
Andreas von Studnitz setzt im Wallgraben Theater auf Verfremdung<br />
für die Kellerbühne eingerichtet.<br />
In von Studnitz‘ Inszenierung<br />
wird das junge Paar von einem<br />
roten leuchtenden Herzen umrahmt.<br />
Eben hat es erfahren, dass<br />
Lämmchen (Katharina Rauenbusch)<br />
schwanger ist und sofort<br />
beginnt Pinneberg (Christian<br />
Theil) mit dem Rechnen. Von seinem<br />
Monatsgehalt von 180 Mark<br />
gehen also gleich mal 15 Mark<br />
für den Arzt ab. Rechts von dem<br />
Podest, auf dem die jungen Liebenden<br />
sitzen, hat der Bühnentechniker<br />
und Geräuschemacher<br />
Platz genommen, links schaut<br />
man auf einen großen Bildschirm.<br />
Auf ihn wird verfremdet<br />
projiziert, was die Nebenfiguren<br />
vor der Kamera spielen. Das<br />
führt zu absurden, aber nicht uninteressanten<br />
Doppelungen: hier<br />
die Gesichter der Darsteller, dort<br />
die Reduktion auf weiße Linien<br />
auf schwarzem Grund. Niemand<br />
ist also in Versuchung, hier etwas<br />
für naturalistisch zu halten<br />
– stattdessen betont die Inszenierung<br />
auf sehenswerte Weise das<br />
Exemplarische, auch wenn man<br />
dafür manche unnötige Karikatur<br />
in Kauf nehmen muss. Die<br />
Kollegen Pinnebergs – der eine<br />
ein Nazi, der andere ein Frauenheld<br />
– oder der Chef – ein Ausbeuter<br />
wie<br />
von der Arbeiterbewegung<br />
erdacht,<br />
wirken wie<br />
Abziehbilder.<br />
„Vox populi<br />
Pinneberg“<br />
wird es einmal<br />
heißen.<br />
Diese Menschen<br />
passieren<br />
Pinneberg,<br />
der nicht<br />
besonders<br />
widerstandsfähig<br />
ist, aber<br />
eben auch<br />
nicht korrupt<br />
w i rd. Und<br />
sind nach der<br />
x-ten Serie<br />
und Fernsehproduktion<br />
über die Weimarer<br />
Republik diese Figuren nicht<br />
sowieso nur Parodien? Sei es die<br />
ständig besäuselte (Puff) Mutter<br />
mit Blumen in den Locken oder<br />
die Arbeiter-Schwiegereltern?<br />
Sybille Denker, Achim Barrenstein<br />
und Martin Schurr haben<br />
zwar kaum Platz, aber doch ein<br />
reiches Repertoire, das mit großer<br />
Freude an der Übertreibung<br />
und Schmierenkomödie ausgereizt<br />
wird. Diese Gegenüberstellung<br />
von selten wohlmeinender,<br />
meist eher böser Welt und Pinneberg<br />
und Lämmchen hat zur<br />
Folge, dass die beiden wie nicht<br />
von dieser Gesellschaft wirken.<br />
Während Katharina Rauenbusch<br />
die junge Frau und Mutter mit<br />
einem zähen Überlebenswillen<br />
und Alltagsklugheit ausstattet,<br />
lässt Christian Theils Pinneberg<br />
die Flügel hängen und erscheint<br />
als ein aus dem Nest gefallener<br />
Jungvogel, der dann auch<br />
noch vom Schicksal gebeutelt<br />
wird. Diesen starken Kontrast<br />
bräuchte es gar nicht. Für einen<br />
Moment noch ist das junge Paar<br />
gerettet, was danach kommt, ist<br />
Geschichte.<br />
Weitere Vorstellungen bis 18.<br />
Mai, Wallgraben Theater, Freiburg.<br />
Annette Hoffmann<br />
Foto: Mathias Lauble<br />
Jenseits der mittleren Linie<br />
Im Theater Basel macht Thorleifur Örn Arnarsson aus „Die Räuber“ eine Materialschlacht<br />
Eine halbe Stunde wird es so<br />
bleiben. So weiß wie Gips. So weiß<br />
wie das Schillerdenkmal, das in der<br />
Flucht einer weiß-glänzenden Umrandung<br />
steht. Zwei weitere Skulpturen<br />
hat Wolfgang Menardi auf die<br />
Bühne des Schauspielhauses gebracht.<br />
Doch nur eine steht wie ein<br />
dramatischer Übervater auf einem<br />
hohen Sockel, darauf weiße Blumen<br />
und darüber eine Laufschrift,<br />
wie man sie von der Fassade des<br />
Theater Basel kennt. Während das<br />
Ensemble hin und her geht, Lockerungsübungen<br />
macht, um die weißen<br />
liegenden Riegel läuft, am Klavier<br />
steht, kurz mit der Souffleuse<br />
plaudert, ist darauf Friedrich Schillers<br />
Rechtfertigung seines dramatischen<br />
Debüts zu lesen. Zwei Jahre<br />
nach der Uraufführung schreibt er<br />
1784 in der „Rheinischen Thalia“<br />
von der Verfehlung der „mittlere(n)<br />
Linie zwischen Engel und Teufel“.<br />
Es tönt nicht eben wie ein Bekenntnis<br />
zur Mäßigung von Thorleifur<br />
Örn Arnarsson, der mit Schillers<br />
„Die Räuber“ seine erste Regiearbeit<br />
am Theater Basel zeigt. Thorleifur<br />
Örn Arnarsson stellt an den<br />
Beginn seiner gut 100-minütigen<br />
Inszenierung die Selbstermächtigung<br />
des Bösen. Unter den acht<br />
Schauspielerinnen und Schauspielern,<br />
die erst Schillermasken<br />
auf, dann wieder abgesetzt haben,<br />
steckt Pia Händler im Hasenkostüm.<br />
Sie ist Franz Moor, der wie<br />
ein Hase über gezogene Grenzen<br />
springt. Vor allem die der Familie:<br />
den Vater zu ehren, den Bruder<br />
nicht zu töten und auch nicht dessen<br />
Geliebte zu begehren. Indem<br />
sich Franz darüber erhebt und dem<br />
Vater (Thomas Reisinger) einen<br />
gefälschten Brief zuspielt, ist die<br />
Ordnung gestört. Nach einer halben<br />
Stunde reisst sich das Ensemble die<br />
weißen Hosen und Langarmshirts<br />
vom Körper und steht in Unterhemd<br />
und Shorts da und bald über<br />
und über mit schwarzer Farbe, die<br />
auch auf Wände, Klavier und Boden<br />
großzügig geschmiert wird.<br />
Später kommt noch Theaterblut<br />
hinzu, so dass selbst Soldatenstiefel<br />
hier ins Straucheln kommen<br />
können. Warum über dem Schillerdenkmal<br />
das Wort Trost in Leuchtbuchstaben<br />
prangt, als könnte es so<br />
etwas wie Erlösung geben in dieser<br />
Welt, in der die Liebe so scheitert<br />
wie die Revolution, bleibt ein Rätsel.<br />
Und auch Thorleifur Örn Arnarssons<br />
Textfassung gibt Rätsel<br />
auf. Anfangs geben noch auf der<br />
Laufschrift Regieanweisungen und<br />
Szenenangaben Orientierung, dann<br />
ist man auf sich selbst gestellt.<br />
Ansonsten baut der Isländer seine<br />
Inszenierung auf Dichotomien auf,<br />
die alle auf das Kain und Abel-Motiv<br />
der „Räuber“ zurückgehen. Die<br />
Verdrängung des Erstgeborenen<br />
ist so verbrecherisch wie die Taten<br />
von Karls Räuberbande. Doch da<br />
ist eben noch eine andere Konkurrenz,<br />
die zwischen Autor und Theater.<br />
Der junge Schiller hatte mit<br />
„Die Räuber“ wirklich eine literarische<br />
Revolution geschaffen. Alle<br />
nachfolgenden Regisseure arbeiten<br />
sich daran ab, in Basel bleiben<br />
„Die Räuber“ in den Konventionen<br />
gegenwärtigen Theaters stecken.<br />
Vieles ist an diesen Basler „Räubern“<br />
so erwartbar als illustrierte<br />
es ein Scheitern an Schiller, in dem<br />
man es auf die Bühne bringt.<br />
Karls Räuber sind bei Arnarsson<br />
(und frei nach dem im Programmheft<br />
zitierten Einar Schleef) ein<br />
kriegerischer Chor, in dem Männer-<br />
und Frauenrollen eins geworden<br />
sind. Bis auf den alten Moor<br />
gibt es keine festen Rollen, sondern<br />
einen choreografierten und<br />
im Wechsel sprechenden Chor mit<br />
Neigung zum Gewaltexzess. Was<br />
dies an Charakterentwicklung und<br />
Gefühl unmöglich macht, wird an<br />
Chansons und Songs verwiesen<br />
(eindrucksvoll: Mario Fuchs und<br />
Vincent Glander). Es sind die Momente,<br />
in denen die Inszenierung<br />
zu einer Intensität findet – wie<br />
auch später, wenn sich Karl und<br />
Amalia (Urs Peter Halter, Nicola<br />
Kirsch) begegnen und aus dem<br />
Monolog Karls ein Zwiegespräch<br />
wird, das ein Abgesang auf ihre<br />
Liebe ist. Das Ende vom Lied von<br />
Thorleifur Örn Arnarssons Inszenierung,<br />
aber nicht eigentlich von<br />
Schillers Stück, ist Franz‘ Rede von<br />
der Bestimmung des Menschen als<br />
Morast, der schließlich eher unrühmlich<br />
an den Schuhsohlen der<br />
Enkel hängt. Kaum ausgesprochen,<br />
erdrückt schier das Schillerdenkmal<br />
den alten Moor. Was wie ein<br />
Kalauer wirkt, führt noch einmal<br />
vor, wie sehr die Enkelgeneration<br />
unter Schillers Schuh klebt. Man<br />
muss sich diese Dialektik als eher<br />
ernüchternd vorstellen.<br />
Weitere Vorstellungen:<br />
6./10./19./21./24. Mai, Schauspielhaus,<br />
Theater Basel.<br />
Annette Hoffmann