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4 KULTUR JOKER THEATER<br />

Für das Bühnenbild von Shakespeares<br />

„Sommernachtstraum“<br />

ließ sich Katarzyna Borkowska<br />

am Theater Freiburg von Botticellis<br />

„Die Geburt der Venus“ inspirieren.<br />

Nun hat die polnische Ausstatterin<br />

zum ersten Mal überhaupt<br />

Regie geführt – und sich dafür mit<br />

„Don Giovanni“ nicht gerade ein<br />

leichtes Einstiegswerk gewählt.<br />

Wieder ist es ein Gemälde, das<br />

ihre Inszenierung von Beginn an<br />

prägt. Zur ruppigen, noch etwas zu<br />

unkoordiniert musizierten Ouvertüre<br />

lässt Borkowska Hieronymus<br />

Boschs „Garten der Lüste“ auf den<br />

Gazevorhang projizieren, während<br />

der nackte Don Giovanni dahinter<br />

seine Unterhose anzieht. Immer<br />

wieder läuft dieses Bild an diesem<br />

Abend als Dauerschleife in Zeitlupe<br />

über die Bühnenwände. Eine<br />

zweite Idee der polnischen Theatermacherin<br />

ist es, den Hauptfiguren<br />

einige Doppelgänger zur<br />

Seite zu stellen. Don Giovanni<br />

bringt es auf vier Doubles, die drei<br />

Frauen immerhin auf je zwei. Und<br />

so rammelt sich Don Giovanni von<br />

einer zur anderen, während Leporello<br />

die Registerarie singt. Masetto<br />

(eher moderat als rustikal: Jongsoo<br />

Yang) wird von zwei Zerlinas<br />

beleckt, während die echte (Katharina<br />

Ruckgaber mit schlackenlosem<br />

Sopran) gerade mit Don<br />

Giovanni im Duett „Là ci darem<br />

la mano“ zugange ist. Die seltsam<br />

eindimensionalen Figuren, die<br />

Zugekokst im Lustgarten<br />

Ausstattung statt Regie bei „Don Giovanni“ am Freiburger Theater<br />

Don Giovanni interpretiert von Michael Borth<br />

die Regisseurin zeichnet, werden<br />

durch die Doubles nur kopiert,<br />

nicht bereichert. Don Giovanni als<br />

Getriebener im Garten der Lüste,<br />

mit Koks in eine andere Welt geschossen,<br />

ständig am Kopulieren,<br />

umgeben von willigen Frauen<br />

– eine befremdliche Verengung<br />

von Mozarts Dramma giocoso,<br />

das viel tiefer gründet, als sich das<br />

Borkowska zurechtgelegt hat. Was<br />

die Personenregie angeht, bietet sie<br />

Foto: Paul Leclaire<br />

seltsam altmodisches Stehrampentheater,<br />

das nicht an der Beziehung<br />

oder gar Entwicklung der Figuren<br />

interessiert ist.<br />

Musikalisch ist der Abend spannender,<br />

wenn auch die rasenden<br />

Tempi, die Dirigent Daniel Carter<br />

meist wählt, mitunter gehetzt klingen,<br />

weil die Streicher manche Figurationen<br />

nicht mehr ausspielen<br />

können und das Zusammenspiel<br />

mit der präsenten Pauke zumindest<br />

in der Ouvertüre nicht perfekt<br />

gelingt. Im halb hochgefahrenen<br />

Graben zeigt das Philharmonische<br />

Orchester Freiburg aber insgesamt<br />

eine frische, dramatische Lesart,<br />

die immer sprechend bleibt und<br />

zumindest phasenweise auch die<br />

Leichtigkeit entfaltet, die man<br />

auf der Bühne gänzlich vermisst.<br />

Vor allem in den Rezitativen entwickeln<br />

Hammerflügel und Cello<br />

eine direkte, spontane Ansprache.<br />

Die Dialoge zwischen Don Giovanni<br />

und Leporello sind ganz nah<br />

am natürlichen Sprechen. Michael<br />

Borth kann in der Titelpartie mit<br />

seinem virilen Bariton dem Getriebenen<br />

ein musikalisches Fundament<br />

geben. Er hätte bestimmt<br />

noch ein vielschichtigeres Rollenprofil<br />

zeichnen können, wenn die<br />

Regie es zugelassen hätte. Juan<br />

Oroczos gelegentlich forcierter,<br />

dann auch intonationsgefährdeter<br />

Bariton macht aus Leporello einen<br />

gefühlskalten Zyniker. Sarah Traubel<br />

ist eine auf sexy getrimmte,<br />

stimmlich ein wenig flackernde<br />

Donna Anna mit enormer Strahlkraft<br />

und blitzsauberen Koloraturen.<br />

Inga Schäfer gibt Donna<br />

Elvira als präsente Drama Queen.<br />

Und Jin Seok Lee ist ein bassgestützter,<br />

rauchender Komtur, der<br />

die meiste Zeit blut überströmt und<br />

unbeachtet auf einem Sofa sitzt.<br />

Im zweiten Akt wird die Bühne<br />

selbst zum Gemälde, in dem sich<br />

die Akteure meist in Zeitlupe bewegen.<br />

Ausstattung statt Regie,<br />

Beliebigkeit statt Differenzierung,<br />

Bilderflut statt bewusster Zeichensetzung.<br />

Auch der runde, strahlenförmig<br />

zentrierte Spiegel in<br />

der Bühnenmitte vermag es leider<br />

nicht, dieser Inszenierung einen<br />

Fokus zu geben.<br />

Weitere Vorstellungen: 9./19.<br />

Mai, 2./8./16. Juni, 6./18. Juli <strong>2019</strong>,<br />

Theater Freiburg.<br />

Georg Rudiger<br />

Auf der Bühne im E-Werk-Saal<br />

wabert Rauch durch rostrotes<br />

Licht (Zak Macro), eine blitzschnelle<br />

Spot-Folge zeigt Paula<br />

Niehoff, Julien Rossin, Lotta<br />

Sandborgh, Jefta Tanate und Mikkel<br />

Tøttrup in bunten Alltagskleidern<br />

und immer neuen, eingefrorenen<br />

Posen. Dazu wummert der<br />

von Josep Maria Baldomà komponierte<br />

Elektrosound. Aus dem<br />

schälen sich erst Donnerschläge,<br />

dann ein meditativer, esoterisch<br />

Heiko Ehret<br />

CDU-Listenplatz 18<br />

In eine sichere Zukunft<br />

Ganz Haut, ganz Atem, ganz Dynamik<br />

„The Age of Aquarium“ – Choreografie von Nadine Gerspacher im E-Werk in Freiburg<br />

www.heiko-ehret.de<br />

Machen<br />

statt<br />

reden!<br />

Eure Stimme in Freiburg<br />

weichgespülter Chorgesang heraus:<br />

„The Age of Aquarium“, so<br />

der Titel der von Stadt und Land<br />

im Rahmen des Tanzpakts geförderten<br />

Produktion der internationalen<br />

Compagnie von Choreografin<br />

Nadine Gerspacher, die hier<br />

Premiere feiert.<br />

Die Assoziation mit dem Hippie-Song<br />

und Millionenseller<br />

„The Age of Aquarius“ aus dem<br />

Musical „Hair“ (1968) ist unbedingt<br />

gewollt. Nur dass es keinen Wassermann-Aufbruch mehr<br />

gibt, sondern lediglich viele Goldfische,<br />

die in ihrer eigenen Blase<br />

blubbern. Hier sind das Plexiglaskugeln,<br />

die über den Kopf gestülpt<br />

den Akteuren ein futuristischskurriles<br />

Aussehen geben, zumal<br />

sie durch deren Atem von Innen<br />

beschlagen. Alle Sinne sind also<br />

beeinträchtigt und auch die Sicht<br />

ist verzerrt. Um virtuelle Welten<br />

und reale Körperlichkeit, um<br />

Nähe und Entfremdung dreht sich<br />

dieses zunehmend fesselnde und<br />

stellenweise grandiose Tanztheater,<br />

dessen Intro leider ziemlich<br />

langatmig gerät: Staunend wird<br />

nun das Goldfischglas minutenlang<br />

weitergegeben, verspielt und<br />

neckisch jagen es sich die Tänzer<br />

und Tänzerinnen einander ab. Bis<br />

dann einer wie kurz vor dem Erstickungstod<br />

im Derwischtanz unter<br />

dem Glas zappelt. Wollen ihn die<br />

anderen befreien oder gefangen<br />

halten? Das bleibt offen.<br />

Als verrückter Professor preist<br />

Julien Rossin dann die neueste<br />

Kugel-Edition an, verspricht<br />

überschnappend vor Euphorie<br />

allumfassendes Glück und Frieden.<br />

Isolation als Droge mit dem<br />

Versprechen allumfassender<br />

Vernetzung? Wie das aussieht<br />

zeigt ein Paar im Hintergrund:<br />

Leidenschaftlich küssen sie sich<br />

durch die Helme hindurch, zärtlich<br />

drücken sie das Plastik aneinander,<br />

verschmelzen bei einem<br />

synchronen, behutsamem Duo.<br />

Bizarr! Genauso wie die Gruppe,<br />

die behelmt für eine Art Familienfoto<br />

posiert, zu diesem Zeitpunkt<br />

hat der sphärische Chor schon eine<br />

enervierende, weil bombastische<br />

Beliebigkeit entwickelt. Beeindruckende<br />

Bilder, eine sterile,<br />

abgezirkelt-exakte Körpersprache<br />

mit Brüchen von sichtbarer Hilflosig-<br />

und Verletzlichkeit – so ist also<br />

das Leben als Zombie-Goldfisch.<br />

Assoziationen zum alltäglichen<br />

Smartphone-Autismus stellen sich<br />

da automatisch ein.<br />

Zum Glück folgt dann Stück<br />

für Stück die Befreiung aus der<br />

selbstgewählten Beziehungslosigkeit<br />

– und damit atemberaubende<br />

Choreografien, die oft die Kopfpartie<br />

in den Fokus rücken: Es<br />

gibt traumschöne, sehr poetische<br />

Paartänze mit leisem Witz, clowneske<br />

Szenen am Bühnenrand, vor<br />

allem aber unglaubliche, kraftvolle<br />

Gruppenszenen mit Elementen aus<br />

Breakdance und Artistik: Ekstatisch<br />

fliegen nun die Körper durch<br />

die Luft und werfen sich brachial<br />

zu Boden, waghalsige Sprünge<br />

wechseln mit sehr zarter Kontaktaufnahme,<br />

Kampf und Liebe,<br />

Sucht und Freiheit liegen hautnah<br />

beieinander. Die Musik ist rockig<br />

und wild, ihr Beat peitscht den<br />

Tänzern einen gewaltigen Herzschlag<br />

ein. Ganz Haut, ganz Atem,<br />

ganz Dynamik – ein Erlebnis!<br />

Marion Klötzer

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