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Berliner Zeitung 20.05.2019

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22 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 115 · M ontag, 20. Mai 2019<br />

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Feuilleton<br />

„Und jetzt mal alle schön an die Schwesternankuscheln, nach vorne schauen und das zweite Sbitte nicht wieder zum Fragezeichen umdrehen!“ (Lisa Jopt) –Gruppenbild vor dem Haus der <strong>Berliner</strong> Festspiele.<br />

PETRA KOHSE<br />

Heute sagen die Frauen „Ja!“<br />

Die Burning-Issues-Konferenz zur Geschlechter(un)gerechtigkeit im Theater zeigte, dass die Frauenbewegung diesmal nicht so einfach zu stoppen sein wird<br />

VonPetraKohse<br />

Als die Theaterkritikerin und<br />

Dramaturgin Renate Klett<br />

das Programm der Burning-Issues-Konferenz<br />

im<br />

Rahmen des Theatertreffens studierte,<br />

hatte sie ein Déjà-vu: „Ich las<br />

die gleichen Fragen, wie wir sie<br />

schon damals hatten“, erzählte sie<br />

am Freitagabend bei der Eröffnung<br />

der Veranstaltung zu „Geschlechter(un)gleichheit“<br />

im Haus der <strong>Berliner</strong><br />

Festspiele.<br />

Damals,das war 1983, als Klett die<br />

Initiative „Frauen im Theater“ mitgründete,weil<br />

ihr und einigen Kolleginnen<br />

die Anzahl von nur zehn<br />

Frauen unter 400 Regisseuren plötzlich<br />

nicht mehr als ein natürlich gegebener<br />

Prozentsatz vorkam. Man<br />

bildete Arbeitsgruppen, sammelte<br />

Fragen, erstellte Statistiken – und<br />

diffundierte irgendwann wieder in<br />

seinen weiter geschlechterungerechten<br />

Alltag. „Das ist das Phänomen<br />

der Frauenbewegung“, so die<br />

72-Jährige auf der kleinen Bühne im<br />

Garten des Hauses.„Sie flammt auf,<br />

und dann gibt es keine Kontinuität.“<br />

Andererseits gibt es durchaus Anzeichen,<br />

dass die heutige Bewegung,<br />

in die die Frauenfrage im Theater<br />

wieder geraten ist, vielleicht doch<br />

nicht so schnell wieder stoppen<br />

wird. Als Klett schon 1980 in Köln das<br />

1. Internationale Frauentheaterfestival<br />

initiiert hatte, war sie vor den<br />

Stadtrat zitiert worden, weil sie auf<br />

Wunsch der Theatermacherinnen in<br />

den ersten drei Tagen im Publikum<br />

nur Frauen zulassen wollte.Tatsächlich<br />

wurde es dem Theater verboten,<br />

in diesen drei Tagen als Veranstalter<br />

aufzutreten, die Kölner Frauenbuchläden<br />

übernahmen. Bei Burning Issues<br />

2019 indessen war die Ansage<br />

„Ladies Only“ bei der eröffnenden<br />

„Sister Session“ für niemanden ein<br />

Problem –weder für die Männer,die<br />

trotz der Aufforderung, zu gehen,<br />

blieben, noch für die Frauen, die sie<br />

neben sich stehen ließen.<br />

Wir sind hier, wir sind relaxt, wir<br />

sind uns einig –auch der nach den<br />

Eröffnungsreden und dem Gruppenfoto<br />

gemeinschaftlich betrachtete<br />

Zusammenschnitt solidarischer<br />

Videobotschaften zu den brennenden<br />

Fragen der Theaterrealität zeigte<br />

Frauen, Männer und nicht-binäre<br />

Personen derTheaterszene in kollektiver<br />

Empörung über Körperklischees,<br />

familienfeindliche Arbeitsbedingungen,<br />

schlechtere Bezahlung<br />

von Frauen und die Tatsache,<br />

dass eine Studie von2016 nur 22 Prozent<br />

weibliche Leitungstätigkeit verzeichnen<br />

konnte.<br />

Letzteres mag sich in den letzten<br />

Jahren schon etwas geänderthaben,<br />

denn der Deutsche Bühnenverein ist<br />

zwar nach wie vor „ein Mann“, wie<br />

die Dramaturgin Nicola Bramkamp<br />

formulierte,die die zum zweiten Mal<br />

stattfindende Burning-Issues-Konferenz<br />

gemeinsam mit der Schauspielerin<br />

Lisa Jopt und der Theaterschaffendenvertretung<br />

Ensemblenetzwerk<br />

initiierte. Aber dieser<br />

Mann gibt sich eifrig und willig in der<br />

Frauenfrage.Und der Regisseur Milo<br />

Rau rief aus Gent oder von sonstwo<br />

in seine Handykamera gar:„Seid radikal!<br />

Warum nur 50 Prozent Frauen<br />

beim Theatertreffen in den nächsten<br />

beiden Jahren? Wieso nicht 100 Prozent<br />

für fünf Jahre?“ Front also war<br />

gestern, Feminismus ist hip geworden<br />

im heutigen Theater. Nach der<br />

„Sister Session“ legte am Eröffnungsabend<br />

der Schauspieler Lars<br />

Eidinger für alle Geschlechter im<br />

oberen Foyer auf, und zwar mit Aufklebernimganzen<br />

Gesicht und üblichem<br />

Spängchen im Haar –auchdie<br />

Pose istschließlich eine Haltung.<br />

Außerdem ist statt des Arbeitsgruppenwesens<br />

der Achtziger jetzt<br />

die internetgetriebene Schlagkraft<br />

des fröhlich einpeitschenden Ensemblenetzwerks<br />

am Zuge („Kill the<br />

Theaterfolklore!“, „Gebt eure Kinder<br />

zur Adoption frei!“), an der kein Intendant<br />

auf die Dauer vorbeikönnen<br />

wird. Und: Die Beauftragte der Bundesregierung<br />

für Kultur und Medien,<br />

„Wenn du nicht<br />

mit am Tisch sitzt,<br />

stehst du<br />

auf der Speisekarte.“<br />

Maria Fleming,Geschäftsführerin des Dublin Theatre Festival,<br />

bei einer Podiumsdiskussion im Delphi-Kino<br />

Monika Grütters, hat die Frauensache<br />

zu der ihren gemacht. Und: Es<br />

gibt inzwischen eine Praxis .<br />

Zu der Frage, wie andere esgeschafft<br />

haben, die gläserne Decke im<br />

Bereich des Theaters anzukratzen,<br />

versammelten sich am Sonnabendvormittag<br />

auf der Bühne des Delphi-<br />

Kinos fünf Frauen mit Erfahrung:<br />

Nele Hertling, die 1989 als Leiterin<br />

des Hebbel-Theaters die erste Intendantin<br />

in Berlin wurde, Barbara<br />

Mundel, die lange das Theater Freiburgleitete<br />

und jetzt Intendantin der<br />

Münchner Kammerspiele wird,<br />

Franziska Werner, die Leiterin der<br />

Sophiensäle, die Geschäftsführerin<br />

des Dublin Theatre Festival Maria<br />

Fleming und Nina Röhlcke,<br />

Kulturattachée der Schwedischen<br />

Botschaft in Berlin.<br />

In Schweden, berichtete Röhlcke,<br />

nahm 2004 der damalige Kulturminister<br />

Leif Pagrotsky, der aus der<br />

Wirtschaft gekommen war,die Sache<br />

in die Hand. Dass die 37 Theater des<br />

Landes nur in zwei Fällen von<br />

Frauen geleitet wurden, fand er<br />

mehr als befremdlich. Sieben Jahre<br />

später wurden 20 der 37 Theater von<br />

Frauen geleitet. Einziges Mittel der<br />

Wahl war ein intensives Mentoring-<br />

Programm für interessierte Frauen,<br />

das ein stabiles Netzwerk hervorbrachte<br />

und der Szene klarmachte,<br />

wie ernst die Politik es meinte.<br />

In Irland, so indessen Maria Fleming,<br />

war es die Schwarmintelligenz,<br />

die eine Wende einläutete. Als<br />

das nationale Abbey Theatre 2015<br />

sein Programm für 2016 vorstellte,<br />

dem 100-jährigen Jubiläum der irischen<br />

Unabhängigkeitsbewegung,<br />

waren acht Stücke vonMännerndabei<br />

und eines von einer Frau –ein<br />

Kinderstück für die Schulen. Einen<br />

Tagspäter fragte eine Frau im Netz,<br />

ob es auch andere gäbe, die dieses<br />

Verhältnis misslich fänden, und der<br />

Hashtag WakingTheFeminists war<br />

geboren. Zwei Wochen später standen<br />

auf der Bühne des Abbey Theatres<br />

zahlreiche Frauen, die ihre Geschichte<br />

erzählten. Eine solidarische<br />

Adresse der US-Schauspielerin<br />

Meryl Streep tat das ihre, und heute<br />

haben sich schon zehn Theater in<br />

der Republik Irland auf eine Genderpolitik<br />

verpflichtet. „Ich bin für die<br />

Quote“, grinst Maria Fleming auf<br />

dem Podium, „weil sie wirkt.“<br />

Barbara Mundel wiederum wies<br />

darauf hin, nicht nur das künstlerische<br />

Personal im Theater im Auge zu<br />

haben. Als das Theater Freiburg(mit<br />

Beate Kahnert) eine Technische Direktorin<br />

bekam, habe sich „die Dialogfähigkeit<br />

des Hauses“immens erhöht.<br />

Führen Frauen also anders?<br />

Besser? Reicht esnicht, dass sie Intendantinnen<br />

werden, müssen sie<br />

auch in jedem Fall das System verändern?Welche<br />

Rolle kommt den Männern<br />

indiesem Prozess zu? Wie verändert<br />

Macht den Charakter? Wie<br />

genau lassen sich denn nun Familie<br />

und Führungspositionen vereinen?<br />

Und vor allem: Braucht es in<br />

Deutschland nicht auch ein Mentoring<br />

für die Kulturpolitik?<br />

Als man auseinanderging und<br />

Richtung Festspielhaus strebte, wo<br />

mit zehn partizipativ kuratierten Gesprächen<br />

und Workshops die „Burning<br />

Issues Academy“ stattfand,<br />

blieben naturgemäß mehr Fragen<br />

offen als gestellt worden waren. Was<br />

aber gut ist, weil es weiter an den<br />

Tisch zwingen wird. Und, wie eine<br />

Frau aus der irischen Army einmal<br />

zu Maria Fleming sagte: „Wenn du<br />

nicht mit am Tischsitzt, stehst du auf<br />

der Speisekarte.“ Fortsetzung folgt<br />

gewiss. Denn noch etwas ist anders<br />

an der Frauenbewegung von heute.<br />

Wiederum MariaFleming brachte es<br />

auf den Punkt:„Als ich jung war,protestierte<br />

ich gegen das,was mich behinderte.<br />

Die heutigen Kampagnen<br />

sind positiv. Heute sagen die Frauen<br />

,Ja!‘ zu dem, was sie wollen.“<br />

PetraKohse<br />

trägt zuhause auch gern<br />

malSpängchen im Haar.<br />

Musik von fast bildhafter Qualität<br />

Schubert im direkten Hier und Jetzt: Der Pianist Shai Wosner gestaltet den Auftakt des 7. <strong>Berliner</strong> Klavierfestivals im Konzerthaus Berlin<br />

VonGerald Felber<br />

Die Saaltüren sind noch nicht<br />

ganz zu, und schon ist Shai<br />

Wosner am Tun–Auftritt, kurze Verbeugung<br />

im Vorbeigehen, erster Akkord.<br />

Der inIsrael geborene Pianist<br />

mag es hurtig, und das nicht nur in<br />

der Wahl seiner Tempi: Zwischen<br />

den Sätzen bleibt nicht einmal ein<br />

tiefer Atemzug Pause, und noch die<br />

Zugaben werden gut geölt und ohne<br />

überflüssiges Verweilen in den herzlichen<br />

Schlussapplaus gestreut.<br />

Etwas verblüfft fragt man sich,<br />

wieso sich ein solcher Pianist ausgerechnet<br />

auf Franz Schubert fokussiert,<br />

der doch wie kaum einer vor<br />

ihm Instabiles, Zweideutiges und<br />

fragmentarisch Offenes und damit<br />

das genaue Gegenteil straff getakteter<br />

Abläufe in die Musik gebracht<br />

hat. Doch aus dem anfänglichen lei-<br />

Sportlich, offensiv und herzensfroh: der israelische Pianist Shai Wosner.<br />

JAMIE JUNG<br />

schenlaute – Vogelrufe, Hornquinten,<br />

Wind- und Wasserspiele oder<br />

vorbeiwehende Tanzfragmente –<br />

klarfarbig, scharf umrissen und<br />

sinnlich direkt erscheinen.<br />

Doch hier lösen sie nicht, wie<br />

man das bei Alfred Brendel oder<br />

Radu Lupu hören kann, meditativ<br />

verlorene Traumsequenzen aus,<br />

sondern bleiben Stationen einer mit<br />

wachen Ohren und neugierig-mitfühlenden<br />

Sinnen durchwanderten<br />

Umwelt, die fast bildhafte Qualitäten<br />

erlangt. Auch dynamisch gibt es viel<br />

häufiger kraftvolle als leise Töne;<br />

eine freudige Inbesitznahme der<br />

Welt selbst da, wo sich Schatten und<br />

trübe Erinnerungen ins Bild mischen.<br />

Wasalles ja dennoch auch lyrische<br />

Empfindsamkeit und Poesie<br />

einschließen darf, die im Laufe des<br />

Programms immer mehr Raum gewinnen:<br />

von der noch eher konsta-<br />

sen Befremden kann schnell Faszination<br />

erwachsen. Denn wie immer<br />

man zu Wosners eher sportlich-athletischer<br />

und sehr offensiv angegangener<br />

Begegnung mit seinem Lieblingskomponisten<br />

stehen mag: Er<br />

verfolgt sein Konzept mit beeindruckender<br />

Konsequenz.<br />

Da begegnet einem ein Schubert,<br />

der sich nicht in süß träumerischen<br />

Weltfluchten verliert, sondern wie<br />

ein Romancier das Sein der Menschen<br />

in ihrer Umwelt mit seinen<br />

Aufschwüngen und Ermattungen,<br />

Glücksgefühlen und Verstörungen<br />

beobachtet und dessen Sonaten –an<br />

diesem Abend sind es die in a-moll<br />

(D 845), D-Dur (D 850) und G-Dur (D<br />

894) –imGegensatz zu Beethovens<br />

oft utopisch überhöhten Konzepten<br />

immer im direkten Hier und Jetzt<br />

spielen. Das heißt zuerst, dass die<br />

eingefangenen Natur- und Mentierenden,<br />

relativ trockenen Sachlichkeit<br />

der Moll-Sonate zum abschließenden<br />

G-Dur-Stück, das ganz<br />

ohne Sentimentalität in frei und natürlich<br />

entfalteter Gefühlstiefe erklang.<br />

Passagen wie der abendrötlich<br />

aufblühende und dann still nachleuchtende<br />

Schluss in deren Eingangssatz<br />

oder das zauberisch lockend<br />

vorbeiwehende Menuett-Trio<br />

ließen Vorfreude auf Wosners zweiten<br />

Abend am 26. Mai aufkommen,<br />

der dann die drei letzten Sonaten<br />

Schuberts umfassen wird. Mit diesem<br />

Auftakt aber war Barnaby Weilers<br />

Projekt eines von privatem Enthusiasmus<br />

getragenen Klavierfestivals<br />

nach einjähriger Pause sofort<br />

wieder voll da.<br />

<strong>Berliner</strong> Klavierfestival,bis 5. Juni,Konzerthaus<br />

Berlin, Programm www.berliner-klavierfestival.de

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