Berliner Zeitung 27.05.2019
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12 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 121 · M ontag, 27. Mai 2019<br />
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Stadtgeschichte<br />
Auch Kim Il<br />
Sung,nordkoreanischer<br />
Machthaber<br />
1948 bis 1994<br />
reiste mit dem<br />
Zug wie heute<br />
sein Enkel Kim<br />
Jong Un. Erich<br />
Honecker empfing<br />
ihn mit allem<br />
Pomp am 29.<br />
Mai 1984 im extra<br />
hergerichteten<br />
Ostbahnhof.<br />
PA/ZB-ARCHIV<br />
Kim Il Sung –der rätselhafte Gast<br />
Als der nordkoreanische Diktator 1984 die DDR besuchte, war die Stasi im Großeinsatz. Es ging um Terror,Schmuggel und Keime an Wiener Würstchen<br />
VonAndreas Förster<br />
Erich Honecker hatte sich an<br />
diesem 29. Mai 1984 persönlich<br />
zum <strong>Berliner</strong> Ostbahnhof<br />
begeben, um den<br />
nordkoreanischen Führer Kim Il<br />
Sung zu empfangen. Es war nach<br />
1956 erst die zweite DDR-Visite des<br />
inzwischen 72-jährigen Diktators<br />
aus Pjöngjang. Nach einer Phase der<br />
Entfremdung, in der sich Nordkorea<br />
dem mit der Sowjetunion verfeindeten<br />
China zugewandt hatte, sollte<br />
Kims Aufenthalt in der DDR das Regime<br />
endgültig zurück in den Schoß<br />
der moskautreuen sozialistischen<br />
Staatengemeinschaft holen.<br />
Punkt 18.30 Uhr rollte der Salonzug,<br />
mit dem der nordkoreanische<br />
Diktator in den Wochen zuvor durch<br />
mehrereOstblockstaaten gereist war,<br />
am Gleis Ainden Bahnhof ein. Auf<br />
dem Vorplatz fand das militärische<br />
Begrüßungszeremoniell statt. Dann<br />
fuhren Kim und seine Entourage mit<br />
Staatskarossen zur Residenz im<br />
Schloss Schönhausen in Pankow.<br />
Laut DDR-Medien bereiteten angeblich<br />
200 000 <strong>Berliner</strong> Werktätige dem<br />
Gast eine„stürmische Begrüßung“.<br />
HU-Elektronikstudent KimJong Il<br />
Dereinwöchige Aufenthalt des nordkoreanischen<br />
Staatschefs in der DDR<br />
war präzise durchgeplant. Auf dem<br />
Programm in Berlin standen neben<br />
politischen Gesprächen eine Kranzniederlegung<br />
am Mahnmal Unter<br />
den Linden, eine Besichtigung der<br />
Mauer am Brandenburger Tor, Besuche<br />
im Pionierpalast in der Wuhlheide<br />
–dem heutigen Fez –und im<br />
Roten Rathaus sowie Kaffee und Kuchen<br />
bei einer Familie Schröder in<br />
deren Neubauwohnung in der Marzahner<br />
Bruno-Leuschner-Straße.<br />
Zwischendurch gab es einen Ausflug<br />
in den Bezirk Frankfurt/Oder, um<br />
eine Muster-LPG in Golzow und den<br />
Stammbetrieb des Eisenhüttenkombinats<br />
OstinEisenhüttenstadt zu besichtigen.<br />
Am Morgen des 2. Juni<br />
reisten Kim und seine Delegation<br />
schließlich weiter nach Dresden und<br />
in die Sächsische Schweiz. Bis zur<br />
Weiterreise mit dem Zug nach Prag<br />
am Morgen des 4. Juni schipperte<br />
Kim IlSung mit der MS „Dresden“<br />
über die Elbe und besuchte das<br />
Bergrestaurant Bastei. Immer an seiner<br />
Seite: Kim Jong Il, Sohn des Diktators<br />
und Vater des heutigen nordkoreanischen<br />
Machthabers Kim<br />
Jong Un.Der damals 43-Jährige studierte<br />
zu dieser Zeit Elektronik an<br />
der Humboldt-Universität.<br />
Ein dicker Aktenordner aus dem<br />
Stasi-Archiv mit dem Titel „Gastfreundschaft<br />
I/1984“ gibt jetzt erstmals<br />
einen Einblick in die peniblen<br />
Planungen des Geheimdienstes für<br />
einen störungsfreien Aufenthalt<br />
Kims. Aus den Unterlagen lässt sich<br />
aber auch ablesen, wie undurchsichtig<br />
das Regime des abgeschotteten<br />
asiatischen Landes selbst für Mielkes<br />
Leute war. Das Misstrauen gegenüber<br />
Nordkorea gründete sich nicht<br />
nur auf die ideologischen Differenzen<br />
zwischen Ostberlin und Pjöngjang;<br />
suspekt war der Stasi auch die<br />
Unterstützung Nordkoreas für den<br />
internationalen Terrorismus. ImVisier<br />
hatte das MfS vor allem die Botschaft<br />
des asiatischen Landes, die<br />
nicht nur Anlaufpunkt für Mitglieder<br />
verschiedener Terrorgruppen wie<br />
Faksimile der Seite 3der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> vom 30. Mai 1984<br />
Der Stil: Beim Empfang näherte<br />
sich die <strong>Berliner</strong> Inszenierung<br />
nordkoreanischen<br />
Formen an. An der Fahrstreckeplatzierte<br />
„Werktätige,<br />
Mädchen und Jungen im<br />
Blau des sozialistischen Jugendverbandes“<br />
hatten in<br />
Sprechchören Hochrufe auf<br />
Kim Il Sung und Erich Honecker<br />
darzubringen.<br />
ALBERNE KULISSE – ERNSTER HINTERGRUND<br />
Die Beziehungen: Die DDR<br />
rüstete seinerzeit in Pjöngjang<br />
ein Werk für Mess-, Sicherungs-<br />
und Regeltechnik<br />
aus. <strong>Berliner</strong> Bauarbeiter<br />
waren am Wiederaufbau der<br />
Hafenstadt Hamhyng beteiligt.<br />
HU-Germanisten lehrten<br />
in Nordkorea, 72 Nordkoreaner<br />
studierten in Berlin, vor<br />
allem Elektrotechnik.<br />
BERLINER ZEITUNG<br />
Die Mission: Aufseiner<br />
Reise durch den Ostblock<br />
warb Kim Il Sung für eineVersöhnung<br />
der sozialistischen<br />
Staaten mit China. Dort<br />
sterbe die alte Generation<br />
aus, eine neue wolle die Folgender<br />
Kulturrevolution<br />
überwinden und die Beziehungen<br />
zu Moskau „unbedingt“<br />
verbessern.<br />
der Japanischen Roten Armee war.<br />
Ausdem Haus heraus soll nach Stasi-<br />
Erkenntnissen auch ein geheimes<br />
Netzwerkgesteuertworden sein, das<br />
auf den Schmuggel von Hochtechnologie,Waffen<br />
und Rauschgift spezialisiertwar.<br />
In einem wenige Tage vor Kims<br />
DDR-Besuch verfassten Vermerk<br />
warnte der Leiter der für Terrorabwehr<br />
zuständigen Stasi-Abteilung<br />
XXII vor möglichen Anschlägen auf<br />
die Delegation als Vergeltung für frühere<br />
Attentate, die Pjöngjang zur<br />
Last gelegt werden. Ausdrücklich erwähnt<br />
wirdein Bombenanschlag im<br />
burmesischen Rangun, den nordkoreanische<br />
Agenten am 9. Oktober<br />
1983 auf eine hochrangige südkoreanische<br />
Politikerdelegation verübt<br />
haben sollten. Unter den 21 Todesopfern<br />
hatten sich vier Minister aus<br />
Seoul befunden. „Es ist daher nicht<br />
auszuschließen, dass der südkoreanische<br />
Geheimdienst diesen Umstand<br />
zur Rechtfertigung möglicher<br />
Gegenschläge gegen die KDVR (Koreanische<br />
Demokratische Volksrepublik,<br />
d.R.) ausnutzt“, heißt es im<br />
Bericht der Abteilung XXII.<br />
Die für die Absicherung von<br />
Staatsbesuchen zuständige MfS-<br />
Hauptabteilung Personenschutz<br />
(PS) bot allein in Berlin mehr als<br />
1400 Kräfte zur Absicherung des Besuchsprogramms<br />
auf. In Sachsen<br />
wurden während Kims Schiffstour<br />
auf der Elbe Taucher eingesetzt.<br />
Auch das Pankower Schloss wurde<br />
eingehend inspiziert. Besondere<br />
Aufmerksamkeit galt den Spiegeln,<br />
von denen sich bei der Kontrolle<br />
zwei von der Wand gelöst hatten.<br />
Kein Anschlagsversuch freilich –„die<br />
Ursachen liegen zweifelsfrei in den<br />
verwandten Klebemitteln“, stellte<br />
die Stasi fest. Entwarnung gab es<br />
auch, als es während Kims Aufenthalt<br />
im Schloss in dessen Arbeitszimmer<br />
zu einem Kurzschluss kam.<br />
Auslöser sei eine „nicht TGL-gerechte<br />
Vernetzung des Sockels einer<br />
Glühlampe durch das Herstellerwerk<br />
VEB Narva“ gewesen, hielt das<br />
MfS fest. Die Konsequenz: Künftig<br />
sollten Glühlampen für das Schloss<br />
aus dem Westen beschafft werden.<br />
Bier auf der Bastei verunreinigt<br />
Selbst die Stasi-eigene Hygieneinspektion<br />
war im Einsatz. Die Experten<br />
zogen Wasserproben in den Unterkunfts-<br />
und Einsatzobjekten,<br />
kontrollierten Küchen sowie Sanitäreinrichtungen<br />
und überwachten die<br />
Speiseproduktion. Ein MfS-Bericht<br />
listet die Mängel auf: Im Schloss Niederschönhausen<br />
hatten die Wiener<br />
Würstchen zu viele Keime,die Krautleberwurst<br />
schmeckte säuerlich. Bei<br />
zwei Empfängen im Staatsratsgebäude<br />
wies die Eiercreme-Garnitur<br />
auf den Forellenmedaillons eine zu<br />
hohe Keimzahl auf –sie wurde ersetzt.<br />
Im Bezirk Dresden musste in<br />
der Residenz Gohrisch der Weinbrand<br />
Wilthen aus der Minibar wegen<br />
Ablagerungen ausgetauscht<br />
werden. Und auf der Bastei war das<br />
Radeberger Bier verunreinigt.<br />
Dennoch meldete die Stasi nach<br />
dem Besuch einen vollen Erfolg.<br />
„Insgesamt wird eingeschätzt, dass<br />
Kim IlSung sich sowohl offiziell als<br />
auch inoffiziell sehr beeindruckt von<br />
seinem Aufenthalt in der DDR zeigte<br />
und sich in keiner Weise kritisch äußerte“,<br />
betonte sie..<br />
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