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Sandra Jung ist 16, als<br />
sie 2009 ihre<br />
erste Flugshow<br />
erlebt. Ihre<br />
Freundin<br />
Hannah hat<br />
sie spontan mitgenommen.<br />
Für<br />
Sandra Jung ist es<br />
bis dahin eine<br />
für sie fremde<br />
Welt.<br />
Doch dann<br />
kreisen über<br />
ihr Adler,<br />
Mäusebussarde<br />
und Falken,<br />
sie tanzen<br />
wie schwarze Punkte<br />
am Himmel.<br />
Die Kölnerin kann<br />
den Blick nicht abwenden.<br />
In aller Seelenruhe<br />
gleiten die faszinierenden<br />
Tiere durch die<br />
Luft.<br />
Und sie fragt sich: Wie frei<br />
müssen sie sich dort oben fühlen,<br />
frei von jeglichen Zwängen,<br />
frei in allem, was sie tun?<br />
Für sie ist es Liebe auf den ersten<br />
Blick.<br />
„Die Welt liegt ihnen zu Füßen<br />
und das weiß jeder von ihnen<br />
ganz genau“, schreibt sie<br />
zehn Jahre später nieder.<br />
Inzwischen ist Sandra Jung<br />
26 und Deutschlands jüngste<br />
selbstständige Falknerin. Sie<br />
ist eine von schätzungsweise<br />
1000. Mit<br />
ihrem<br />
Freund<br />
Benedikt<br />
Nyssen leitet sie die<br />
Falknerei auf Burg Greifenstein<br />
in Thüringen.<br />
Denn eins wusste sie immer,<br />
als sie ein paar Jahre später<br />
nach ihrer ersten Flugshow neben<br />
dem Abitur den Jagd- und<br />
Falknerschein machte: Wenn<br />
sie sich selbstständig mache,<br />
„dann auf einer Burg“.<br />
Sandra Jung und ihr Freund<br />
sind dort seit 2017 Pächter. Ein<br />
paar Monate zuvor entdeckten<br />
sie eine Stellenanzeige im Internet.<br />
Dort stand: „Falkner gesucht.“<br />
Der Tierpfleger und die Laborassistentin<br />
in einem Krankenhaus<br />
mit angefangenem<br />
BWL-Studium<br />
bewarben<br />
sich.<br />
Später<br />
wird Sandra<br />
Jung diese<br />
Geschichte<br />
einem Magazin<br />
erzählen,<br />
die Menschen<br />
mit einem<br />
Knick im Lebenslauf<br />
suchen<br />
und die stolz darauf<br />
sind. Die<br />
Anzeige lautete:<br />
„Du hast dich<br />
noch mal beruf-<br />
Ein Adler<br />
landet auf ihrem<br />
Handschuh. Die Tiere<br />
wiegen bis zu sieben Kilo,<br />
sind aber,wenn sie sich<br />
auf SandraJungs Hand<br />
niederlassen, leicht<br />
wie eine Feder.<br />
lich umentschieden<br />
und machst etwas<br />
ganz anderes,<br />
als ursprünglich gedacht?<br />
Dann melde<br />
dich gern bei uns.“<br />
Sie antwortet.<br />
Sie sagt: „Ich wusste<br />
gleich, dass es richtig ist,<br />
mich selbstständig zu machen.<br />
Und ich habe mich sofort in die<br />
Gegend verliebt. Ich wusste<br />
einfach, dass es das ist. Hier gehöre<br />
ich hin und werde glücklich.“<br />
Sie zogen von Köln nach Bad<br />
Blankenburg, das liegt zwischen<br />
Erfurt und Jena und etwa<br />
450 Kilometer weg vom Kölner<br />
Dom. „Plötzlich waren wir auf<br />
dem Land“, lacht sie. Aber vorher<br />
sei sie auch nie ein Clubgänger<br />
oder eine Party-Nudel<br />
gewesen.<br />
Manchmal aber fährt<br />
sie noch zum Karneval<br />
ins Rheinland.<br />
Anfangs sieht<br />
alles eher<br />
nicht so rosig<br />
aus.<br />
Das Paar<br />
muss<br />
einen<br />
21<br />
Kredit aufnehmen. Die zwei<br />
sind jung, haben noch nicht so<br />
viel auf der hohen Kante. Und<br />
die Vögel kosteten ja auch.<br />
„Das hat eine Menge Nerven<br />
gekostet“, sagt sie. Doch das<br />
Konzept geht auf.<br />
Seit März 2018 gibt es Flugvorführungen<br />
–manchmal vor<br />
200 Zuschauern. „Es hat sich<br />
schnell rumgesprochen“, so die<br />
26-Jährige. Sie seien oft sehr<br />
gut besucht.<br />
Und Touristen könnten gleich<br />
zwei Fliegen mit einer Klappe<br />
schlagen: Greifvögel und die<br />
Burg Greifenstein.<br />
Das Gemäu-<br />
er<br />
ist das<br />
Wahrzeichen der<br />
Stadt Bad Blankenburg, es<br />
thront auf dem mit Buchen bewachsenen<br />
Hausberg. 1208<br />
wird die Burg erstmals urkundlich<br />
erwähnt und 1788 besucht<br />
Schiller den Greifenstein und<br />
adelt die Burg noch ein Stück<br />
mehr, indem er in einem Brief<br />
schreibt: „Ich wünschte, nur einen<br />
Tag hier zuzubringen und<br />
mich ganz in die alte Ritterzeit<br />
hineinzuträumen.“<br />
Den Rittersaal, zwischenzeitlich<br />
zerstört, gibt es inzwischen<br />
wieder. Zudem eine mittelalterliche<br />
Burgschänke. Man<br />
kann sich in dem Gemäuer<br />
trauen lassen. Oder die Vögel<br />
beobachten.<br />
Es ist ein diesiger Tag, als wir<br />
mit Sandra Jung reden. Die Vögel<br />
sitzen faul in ihren Volieren,<br />
sie mögen es lieber heiter am<br />
Himmel, wenn sie ihre Runden<br />
drehen. Bei Regen sind sie eher<br />
unmotiviert und lassen sich ungerne<br />
nach draußen scheuchen.<br />
„Sie sind eher arbeitsscheu“, so<br />
die 26-Jährige: „Das Faszinierende<br />
an der Falknerei ist die<br />
einzigartige Mensch-Tier-Beziehung.<br />
Der Vogel ist ein freies<br />
Geschöpf. Man kann ihn zu<br />
nichts zwingen, trotzdem beschließt<br />
er, freiwillig mit einem<br />
zu arbeiten.“<br />
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