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Berliner Kurier 16.06.2019

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Sandra Jung ist 16, als<br />

sie 2009 ihre<br />

erste Flugshow<br />

erlebt. Ihre<br />

Freundin<br />

Hannah hat<br />

sie spontan mitgenommen.<br />

Für<br />

Sandra Jung ist es<br />

bis dahin eine<br />

für sie fremde<br />

Welt.<br />

Doch dann<br />

kreisen über<br />

ihr Adler,<br />

Mäusebussarde<br />

und Falken,<br />

sie tanzen<br />

wie schwarze Punkte<br />

am Himmel.<br />

Die Kölnerin kann<br />

den Blick nicht abwenden.<br />

In aller Seelenruhe<br />

gleiten die faszinierenden<br />

Tiere durch die<br />

Luft.<br />

Und sie fragt sich: Wie frei<br />

müssen sie sich dort oben fühlen,<br />

frei von jeglichen Zwängen,<br />

frei in allem, was sie tun?<br />

Für sie ist es Liebe auf den ersten<br />

Blick.<br />

„Die Welt liegt ihnen zu Füßen<br />

und das weiß jeder von ihnen<br />

ganz genau“, schreibt sie<br />

zehn Jahre später nieder.<br />

Inzwischen ist Sandra Jung<br />

26 und Deutschlands jüngste<br />

selbstständige Falknerin. Sie<br />

ist eine von schätzungsweise<br />

1000. Mit<br />

ihrem<br />

Freund<br />

Benedikt<br />

Nyssen leitet sie die<br />

Falknerei auf Burg Greifenstein<br />

in Thüringen.<br />

Denn eins wusste sie immer,<br />

als sie ein paar Jahre später<br />

nach ihrer ersten Flugshow neben<br />

dem Abitur den Jagd- und<br />

Falknerschein machte: Wenn<br />

sie sich selbstständig mache,<br />

„dann auf einer Burg“.<br />

Sandra Jung und ihr Freund<br />

sind dort seit 2017 Pächter. Ein<br />

paar Monate zuvor entdeckten<br />

sie eine Stellenanzeige im Internet.<br />

Dort stand: „Falkner gesucht.“<br />

Der Tierpfleger und die Laborassistentin<br />

in einem Krankenhaus<br />

mit angefangenem<br />

BWL-Studium<br />

bewarben<br />

sich.<br />

Später<br />

wird Sandra<br />

Jung diese<br />

Geschichte<br />

einem Magazin<br />

erzählen,<br />

die Menschen<br />

mit einem<br />

Knick im Lebenslauf<br />

suchen<br />

und die stolz darauf<br />

sind. Die<br />

Anzeige lautete:<br />

„Du hast dich<br />

noch mal beruf-<br />

Ein Adler<br />

landet auf ihrem<br />

Handschuh. Die Tiere<br />

wiegen bis zu sieben Kilo,<br />

sind aber,wenn sie sich<br />

auf SandraJungs Hand<br />

niederlassen, leicht<br />

wie eine Feder.<br />

lich umentschieden<br />

und machst etwas<br />

ganz anderes,<br />

als ursprünglich gedacht?<br />

Dann melde<br />

dich gern bei uns.“<br />

Sie antwortet.<br />

Sie sagt: „Ich wusste<br />

gleich, dass es richtig ist,<br />

mich selbstständig zu machen.<br />

Und ich habe mich sofort in die<br />

Gegend verliebt. Ich wusste<br />

einfach, dass es das ist. Hier gehöre<br />

ich hin und werde glücklich.“<br />

Sie zogen von Köln nach Bad<br />

Blankenburg, das liegt zwischen<br />

Erfurt und Jena und etwa<br />

450 Kilometer weg vom Kölner<br />

Dom. „Plötzlich waren wir auf<br />

dem Land“, lacht sie. Aber vorher<br />

sei sie auch nie ein Clubgänger<br />

oder eine Party-Nudel<br />

gewesen.<br />

Manchmal aber fährt<br />

sie noch zum Karneval<br />

ins Rheinland.<br />

Anfangs sieht<br />

alles eher<br />

nicht so rosig<br />

aus.<br />

Das Paar<br />

muss<br />

einen<br />

21<br />

Kredit aufnehmen. Die zwei<br />

sind jung, haben noch nicht so<br />

viel auf der hohen Kante. Und<br />

die Vögel kosteten ja auch.<br />

„Das hat eine Menge Nerven<br />

gekostet“, sagt sie. Doch das<br />

Konzept geht auf.<br />

Seit März 2018 gibt es Flugvorführungen<br />

–manchmal vor<br />

200 Zuschauern. „Es hat sich<br />

schnell rumgesprochen“, so die<br />

26-Jährige. Sie seien oft sehr<br />

gut besucht.<br />

Und Touristen könnten gleich<br />

zwei Fliegen mit einer Klappe<br />

schlagen: Greifvögel und die<br />

Burg Greifenstein.<br />

Das Gemäu-<br />

er<br />

ist das<br />

Wahrzeichen der<br />

Stadt Bad Blankenburg, es<br />

thront auf dem mit Buchen bewachsenen<br />

Hausberg. 1208<br />

wird die Burg erstmals urkundlich<br />

erwähnt und 1788 besucht<br />

Schiller den Greifenstein und<br />

adelt die Burg noch ein Stück<br />

mehr, indem er in einem Brief<br />

schreibt: „Ich wünschte, nur einen<br />

Tag hier zuzubringen und<br />

mich ganz in die alte Ritterzeit<br />

hineinzuträumen.“<br />

Den Rittersaal, zwischenzeitlich<br />

zerstört, gibt es inzwischen<br />

wieder. Zudem eine mittelalterliche<br />

Burgschänke. Man<br />

kann sich in dem Gemäuer<br />

trauen lassen. Oder die Vögel<br />

beobachten.<br />

Es ist ein diesiger Tag, als wir<br />

mit Sandra Jung reden. Die Vögel<br />

sitzen faul in ihren Volieren,<br />

sie mögen es lieber heiter am<br />

Himmel, wenn sie ihre Runden<br />

drehen. Bei Regen sind sie eher<br />

unmotiviert und lassen sich ungerne<br />

nach draußen scheuchen.<br />

„Sie sind eher arbeitsscheu“, so<br />

die 26-Jährige: „Das Faszinierende<br />

an der Falknerei ist die<br />

einzigartige Mensch-Tier-Beziehung.<br />

Der Vogel ist ein freies<br />

Geschöpf. Man kann ihn zu<br />

nichts zwingen, trotzdem beschließt<br />

er, freiwillig mit einem<br />

zu arbeiten.“<br />

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