Berliner Kurier 23.06.2019
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21<br />
Warten auf irgendwas:<br />
In diesem Gebäude war<br />
früher ein Konsum.<br />
Gesellschaftliches<br />
Zentrum: Hier gibt es<br />
Kaffeund Kuchen.<br />
Ruhig und sauber: Nur wenn<br />
die A24mal wieder gesperrt<br />
ist,ändertsich das Bild im<br />
Dorfzentrum.<br />
lin, jedes Wochenende verbringen<br />
sie in Herzsprung.<br />
Für zehn Euro die Stunde<br />
würde Hans, der Hausmeister,<br />
hier nicht arbeiten.<br />
Die Türsitzer begrüßen jeden<br />
Festbesucher mit Vornamen,<br />
hier ein Spruch, da eine<br />
Umarmung. „Wir sind als<br />
Fremde hier reingekommen“,<br />
sagt Hans. Seine Asylstrategie:<br />
„Ich stelle mich vor: Hallo, ich<br />
bin der Hans, dann geht das<br />
schon, ich finde sofort Anschluss.<br />
Wir sind voll integriert.“<br />
Er sagt aber auch: „Es<br />
gibt nichts Schlimmeres, als<br />
nicht angenommen zu werden<br />
im Dorf.“ Vielleicht habe<br />
es geholfen, dass die Leute ein<br />
paar Jahre lang keine Ahnung<br />
gehabt hätten, dass sie nicht<br />
aus Ost-Berlin kommen, sondern<br />
aus dem Westteil der<br />
großen, fremden Stadt.<br />
Der Nachmittag auf dem<br />
Dorffest ist für das Kinderprogramm<br />
reserviert: Bauchredner,<br />
Hüpfburg, Softeis, Tanzeinlagen;<br />
die Einnahmen aus<br />
dem Kuchenverkauf gehen an<br />
die Kita, die vor fünf Jahren<br />
gebaut wurde und schon wieder<br />
zu klein ist. Die Viecher<br />
werden ins Bett gebracht, sagen<br />
sie hier. Dann beginnt die<br />
Nacht, beschleunigt der DJ<br />
von „Kling Klang“ auf „La<br />
Macarena“ in einer halben<br />
Stunde. Früher hat die Musik<br />
300 Euro am Tag gekostet.<br />
Heute sind es 450.<br />
Der Dorfverein Jung und Alt<br />
ist für die Festorganisation<br />
zuständig. Sandra Mielke<br />
heißt die Vorsitzende, vor<br />
sechs Jahren ist sie mit ihrer<br />
Familie aus Schleswig-Holstein<br />
nach Herzsprung gezogen,<br />
natürlich gab es Namenswitze.<br />
Heute wird sie Dorfchefin<br />
genannt. Und Dorfchefin<br />
Mielke sagt: „Man muss<br />
auf die Leute zugehen und mit<br />
ihnen reden. Das Dorf ist wie<br />
eine Großfamilie.“ Privates<br />
und Politisches werde besser<br />
getrennt. Hinter dem Bierwagen<br />
ist der Grillstand aufgebaut,<br />
überall stehen Tischreihen,<br />
geschmückt mit Fähnchen<br />
von McDonald’s, Luftballons<br />
von der AOK, davor<br />
eine Tanzfläche, schwofen<br />
wollen sie am Ende immer,<br />
ringsherum hohe Bäume und<br />
über dem DJ-Pult das Plakat:<br />
„Herzsprung –mit der Lizenz<br />
zum Feiern“.<br />
Bei den Bikertreffs Mitte der<br />
Neunziger feierten mal 3000<br />
Leute hier, Bands aus Berlin<br />
und Leipzig spielten. Das waren<br />
die besten Zeiten. Ein paar<br />
Jahre später sollen Bandidos<br />
auf den Chef der Hells Angels<br />
eingestochen haben. Sie trugen<br />
ihn ins Clubhaus, sagt Eggi,<br />
um die Wunden zu versorgen.<br />
In der Szene hatte sich<br />
das schnell herumgesprochen.<br />
Seitdem rollten immer<br />
weniger Motorräder nach<br />
Herzsprung. Eggi glaubt: „Die<br />
haben uns den Club versaut.“<br />
Thomas kommt in die Clubhausküche,<br />
er hat vor ein paar<br />
Minuten als Erster mit dem<br />
Aufräumen begonnen, gießt<br />
sich Wilthener Goldkrone ein,<br />
gibt den ersten Fundsachenbericht<br />
ab: „Kamm, Feuerzeug,<br />
fünf Cent.“ Thomas gehört<br />
zum Club, 19 Mitglieder<br />
sind es nur noch, jeder zahlt<br />
20 Euro im Monat. Sie sind<br />
mal mit 42 Maschinen Kolonne<br />
gefahren.<br />
Eggi führt mich tiefer ins<br />
Clubhaus, zeigt Pokale, einen<br />
Adler aus Stein, die feuchten<br />
Stellen an der Decke; das<br />
Dach ist zur Hälfte fertig, eine<br />
neue Heizung kommt bald. Er<br />
nimmt einen alten Ostschnaps<br />
in die Hand, dann die russische<br />
Granate von einem Tresenregal,<br />
Eggi sagt: „Jeder<br />
stellt seinen Scheiß ab.“<br />
An einer Wand hängen ein<br />
Wildschweinfell und der<br />
sachdienliche Hinweis: „Ein<br />
laufender Meter“; darüber eine<br />
Streitaxt, ein Geschenk<br />
zum zwanzigsten Clubjubiläum.<br />
„Alter“, sagt Eggi, „scharf<br />
wie Sau. Haben wir richtig<br />
festgemacht, damit keiner<br />
rankommt.“ Der White Eagle<br />
MC verschenkt Kunst zu runden<br />
Anlässen, selbst gemacht,<br />
zum Beispiel einen Eichenklotz<br />
mit zwei Pleuelstangen<br />
drauf; dazu Plakette, Widmung,<br />
fertig.<br />
Zwischen Tischen, Kartons,<br />
Klappbetten, Ersatzteilen<br />
schläft noch Micha auf der<br />
Couch. Oder ist das Andy, der<br />
Road Captain? Auf der anderen<br />
Wandseite fällt ein Flammenbild<br />
auf. „In Freundschaft<br />
und Respekt“ steht drauf, zum<br />
Dreißigjährigen, vom Motorradclub<br />
Route 88 –die 88 ist<br />
Symbolik, selten Zufall.<br />
Was ich Eggi nicht frage am<br />
Morgen nach dem Dorffest:<br />
Warum vier Mikrowellen in<br />
seiner Clubhausküche stehen;<br />
wie es eigentlich dazu kam,<br />
dass Hells Angels und Bandidos<br />
ihren Bandenkrieg in<br />
Herzsprung austragen wollten;<br />
und was genau ihn an den<br />
Schwarzen auf Mallorca gestört<br />
hat, als er zum ersten<br />
Mal am Ballermann war.<br />
Die Bemerkung war so irritierend<br />
beiläufig. Thomas<br />
kaute, ich schwieg, war gelähmt,<br />
wollte eigentlich was<br />
sagen, hatte Leberwurst im<br />
Hals.<br />
Man muss aufstehen gegen<br />
Rassismus; ich bin sitzengeblieben.<br />
Eggi wurde mir<br />
plötzlich fremd.<br />
Wieder draußen auf der<br />
Clubhausveranda fällt mir auf,<br />
dass David gar nicht da ist, dabei<br />
wollte er doch um elf hier<br />
sein, helfen. Und ich wollte<br />
noch mal nüchtern mit ihm<br />
reden. Am Morgen nach dem<br />
Dorffest hätte ich ihn gefragt,<br />
wie er es schafft, alle Produkte<br />
von Nestlé zu boykottieren<br />
oder in wenigen Monaten<br />
über zwanzig Kilogramm<br />
Muskelmasse aufzubauen;<br />
warum er Angst hat vor den<br />
Fremden, aber nicht vor mir,<br />
dem gebürtigen Polen, der mit<br />
dem Fahrrad über die Landstraße<br />
gekommen ist, um ihm<br />
Partyzeit zu stehlen.<br />
Auf dem Sommerfest trägt<br />
David Sneakers, Röhrenjeans,<br />
wir reden über Kiffen und Cypress<br />
Hill, ein Auswandererleben<br />
in Österreich, über den<br />
Wedding, wo man angeblich<br />
nur Döner essen kann, über<br />
Identität, die Gefahr, eines<br />
kulturellen Austauschs in<br />
Deutschland, wie er es sagt.<br />
Wie die Identitäre Bewegung<br />
es nennt.<br />
David (22) ist Eggis Sohn,<br />
der Jüngste beim White Eagle<br />
MC; er könnte mal Präsident<br />
werden, weiß nicht, ob er es<br />
will, er sei ganz anders als sein<br />
Vater. David macht Crossfit,<br />
duscht mit Kernseife, fährt eine<br />
Simson, fräst an Motoren<br />
herum, baut Fremdzylinder<br />
ein. Nach Mitternacht, zwischen<br />
„What Is Love?“ und<br />
„Sing Hallelujah“ fragt mich<br />
David: „Du bist überrascht,<br />
weil ich bei der AfD bin,<br />
oder?“ Bin ich. Gleichzeitig<br />
bin ich es nicht. Die Gemeinschaft<br />
hier ist nicht für alle offen.<br />
Fremdenfeindlichkeit gilt<br />
als Meinung.<br />
Manchmal werden die Dinge<br />
klarer, wenn man näherkommt,<br />
in Herzsprung wurde<br />
alles verschwommen. Von der<br />
Autobahn betrachtet ist dieses<br />
Dorf ein Sehnsuchtsort.<br />
Abfahrt Herzsprung, das<br />
weckt Erwartungen, verspricht<br />
Verstrickungen, vielleicht<br />
eine Sommerromanze.<br />
Es gibt ein Buch und einen<br />
Defa-Film von 1992, die<br />
„Herzsprung“ heißen.<br />
Beide haben sich den Namen<br />
nur geliehen, die Handlung<br />
spielt jeweils woanders.<br />
Ich war nun da.<br />
Paul Linke