TOP-THEMA/STANDPUNKTE Generationentreffen an historisch bedeutendem Ort: Thomas Stolletz, seit <strong>19</strong>95 Sprecher der Geschäftsleitung bei Poco, und Christoph Ritschel, Geschäftsführer der vor vier Jahren gegründeten Abverkaufsplattform Möbel First, trafen sich auf Zeche Zollverein, um mit der „<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>“ über die Herausforderungen der Branche zu diskutieren. Fotos: Guido Schiefer 20 <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong> 6/20<strong>19</strong>
Jahre <strong>19</strong>49 – 20<strong>19</strong> <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Herr Stolletz, Herr Ritschel, Sie stehen für zwei Generationen im Möbelhandel. Wie sehen Sie die aktuelle Entwicklung? Thomas Stolletz: Wir erleben gerade den stärksten Wandel, den der Möbelhandel je hatte. Da spielt natürlich insbesondere das Thema Digitalisierung und damit E-Commerce die entscheidende Rolle, der aktuell bei fünf bis zehn Prozent Umsatzanteil liegen dürfte, beim einen mehr, beim anderen weniger. Diese Umsätze gehen dem stationären Handel ganz klar verloren. <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Herr Ritschel, wie schätzen Sie die Situation ein? Christoph Ritschel: Ich sehe die Entwicklung ähnlich. Viele unserer sich die Händler auf ihr eigentliches Business konzentrieren können. Ich halte es im übrigen für einen Fehler, immer nur auf die großen Player zu schauen. Wie hoch ist wirklich der durchschnittliche Warenkorb von Otto oder Wayfair? Ich stelle dann häufig die Frage: Sind das tatsächlich Eure Sortimente, die dort geführt werden? Zudem beobachten wir, dass viele Möbelhändler ihre Küchenflächen erweitern oder diejenigen, die keine haben, diese aufbauen möchten. Das ist zumindest das Ergebnis einer von uns durchgeführten Händlerbefragung aus dem April 2016. <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Ist das im Discount-Bereich auch so? nel. Wir bieten unseren Kunden all diese Services, damit unser stationäres Geschäft attraktiver wird. Ich wäre froh, wenn wir heute schon so performen könnten wie Amazon,das wäre wirklich toll, aber bis dahin ist es noch ein weiter und mühseliger Weg. Wir müssen die Systeme richtig implementieren, wir brauchen eine funktionierende Logistik. All das haben wir heute schon teilweise installiert, was allerdings auch mit Kosten verbunden ist. Doch der Aufwand lohnt sich, weil wir im Netz stetig prozentual zulegen. <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Heißt das, dass Pure Player auf Dauer am Markt keine Chance haben? Thomas Stolletz: Doch schon, aber es stellt sich die Frage, wie viel sie enorm hohe Versandkosten an. Da haben wir es als Filialist natürlich einfacher, weil wir die Ware direkt über unsere Stores versenden können, vorausgesetzt die Vernetzung funktioniert. Das ist ein Riesenvorteil. Christoph Ritschel: Kleine, mittelständische Händler mit vielleicht einem, zwei oder drei Standorten können diese Kostendegressionseffekte sicherlich nicht nutzen. Deshalb macht es auch Sinn, sich einer Handelsplattform anzuschließen, die aufgrund der Masse an Händlern und Ware alle Prozesse und Services bieten. Und ein entscheidender Punkt ist dabei die Logistik. Wir hatten 2018 beispielsweise eine Retourenquote von nur zwei Prozent. Warum? Weil wir auch einen Größe contra Sichtbarkeit Wie kaum ein zweiter Ort steht die Zeche Zollverein für Strukturwandel in Nordrhein-Westfalen. Grund genug, dieses geschichtsträchtige Areal in Essen als Treffpunkt zu wählen für ein außergewöhnliches Gespräch über die gewaltigen Veränderungen im deutschen Möbelhandel. Thomas Stolletz, Poco-Vorstand, und Christoph Ritschel, Geschäftsführer von Möbelfirst, stellten sich den Fragen der „<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>“: Erfahrener Manager und Newcomer – mit ihrer jeweils ganz persönlichen Sicht auf die Branche. Händler, die im Durchschnitt ca. 5.000 qm Fläche betreiben, scheuen jedoch den E-Commerce, weil sie nicht genau wissen, wie sie mit der Ware umgehen können und auch müssen. Wir versuchen diese Vorbehalte auszuräumen. Nicht jeder muss gleich einen eigenen Onlineshop ans Netz schicken, um beim E-Commerce mitzumischen. Und da kommen wir mit Möbel First ins Spiel, weil wir im konsumigen bis exklusiven Markenbereich unterwegs sind. Wir kaufen Möbel ausschließlich von stationären Händlern, und verkaufen diese ab, um die Flächen frei zu bekommen, damit Thomas Stolletz: Die Küche ist in allen Segmenten im Handel das stärkste Sortiment. Das war allerdings schon immer so und wird nicht vom E-Commerce getrieben. Als Großfilialist tun wir gut daran, wenn wir den Omnichannel-Gedanken weiter verfolgen. Schon heute bieten wir dem Endverbraucher alle Möglichkeiten, sich zwischen Onlineshop, Click and Collect, Click and Surf etc. zu entscheiden, oder aber in unsere Läden zu kommen. Selbst wenn die gewünschten Produkte dort nicht vorrätig sind, so können sie direkt online bestellt werden. Das bedeutet für mich Omnichan- abschöpfen können. Die Pure Player haben nämlich im Vergleich zu den Filialisten das entscheidende Problem, nur über wenige Läger zu verfügen Nehmen wir als Beispiel einfach mal Home24. Die Bilanz ist bekannt. Danach macht das Unternehmen in Deutschland ca. 250 Mio. Euro Umsatz. Unterm Strich bleiben immer noch rote Zahlen. Das hängt nicht etwa damit zusammen, dass die Plattform nicht gut wäre oder, dass zu wenig bestellt wird, sondern, dass die Ware geliefert werden muss, und zwar deutschlandweit. Wenn ich heute eine Garnitur von Berlin nach München ausliefere, dann fallen Vertriebsinnendienst beschäftigen, der professionell mit den Kunden am Telefon spricht. Denn wir verkaufen alle unsere Produkte übers Telefon, wobei der durchschnittliche Warenkorb bei 2.500 Euro liegt. Da gehört es auch zum Service, Dinge im Vorfeld abzuklären. Jeder, der behauptet, dass Multichannel einfach sei, dem kann ich nur entgegen, dass das Geschäft genauso komplex ist, wie ein stationäres Möbelhaus zu führen. Viele unserer Händler klagen heute, dass sie selber sehr große Probleme haben, Fachpersonal zu finden, sowohl in der Montage als auch in der Auslieferung. 6/20<strong>19</strong> <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong> 21