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möbel kultur 06/19

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GESCHICHTE<br />

Jan Kurth: Ein persönlicher Appell<br />

„ In anderen Ländern<br />

geht das doch auch ...“<br />

Welche Höhen und Tiefen hat die deutsche Möbelindustrie<br />

schon überstanden? Und welche Perspektiven warten auf<br />

die Hersteller im In- und Ausland? VDM-Geschäftsführer<br />

Jan Kurth und Alexander Oswald, Referent Wirtschaft<br />

und Auslandsmärkte, werfen einen analytischen Blick<br />

auf die Branche.<br />

Ende des vorletzten Jahrhunderts<br />

haben die Engländer „Made in<br />

Germany“ erfunden. Eigentlich<br />

wollte man auf der Insel damit die<br />

als schlecht empfundene deutsche<br />

Importware brandmarken und weltweit<br />

verspotten. Eigentlich. Im Laufe<br />

der darauf folgenden Jahre drehte<br />

sich das Label allerdings vom Warnzeichen<br />

zum Qualitätsmerkmal.<br />

Jan Kurth, Geschäftsführer<br />

des Verbandes<br />

der Deutschen Möbelindustrie<br />

(VDM), zieht<br />

Bilanz: Was läuft gut<br />

und was könnte in der<br />

Möbel branche optimiert<br />

werden?<br />

Heute steht „Made in Germany“ für<br />

ausge zeichnetes Design, hochwertige<br />

Qualität und Innovation. Ach ja, diese<br />

Engländer – schon ging eine große<br />

Strategie nicht auf. Allerdings – so<br />

fair wollen wir sein – könnten unsere<br />

Möbler mit „Made in Germany“ auch<br />

erfolgreicher sein, etwa wie das Segment<br />

Küche. Blicken wir also einmal<br />

auf die Ursachen und Perspektiven.<br />

„Made in Germany“ ist eine<br />

äußerst positive Auszeichnung für in<br />

Deutschland hergestellte Produkte.<br />

Diese gilt vor allem weltweit. In den<br />

USA, Russland, dem Nahen Osten,<br />

Indien und China punkten deutsche<br />

Produkte durch ihr Herkunftsimage.<br />

Da wird der Ort der Herstellung<br />

ganz automatisch zu einem Garant<br />

für angesehenes Prestige und hohe<br />

Qualität. In Deutschland selbst wird<br />

heimische Produktion nicht in<br />

allen industriellen Produktgruppen<br />

gleich stark nachgefragt. Heimische<br />

Autos, ok. Heimische Bekleidung,<br />

naja, heimische Möbel, warum? In<br />

Deutschland liegt der Marktanteil<br />

für heimische Möbel gerade mal<br />

bei 35 Prozent. Gerade hier ist das<br />

Potenzial der deutschen Möbelindustrie<br />

weitaus höher als ihr Marktanteil.<br />

Möbel „Made in Germany“<br />

punkten mit gutem Design, hoher<br />

Qualität, einer nie dagewesenen<br />

Variantenvielfalt und nicht zuletzt<br />

durch die Lieferzuverlässigkeit unserer<br />

Hersteller.<br />

Der deutsche Markt ist komplex<br />

und polarisiert immer mehr<br />

in „billig“ und „teuer“ und der<br />

Möbelhandel trägt als unser Partner<br />

stark zu ihrer Entwicklung bei.<br />

Doch der Margendruck ist ein alter<br />

Hut. Seitdem sich die Handelsstrukturen<br />

in Deutschland so aufgebaut<br />

haben, wie sie heute sind,<br />

leidet die Industrie darunter. Sie<br />

hat gelernt mit diesem Leiden zu<br />

leben und der deutsche Verbraucher,<br />

heute extrem preisverwöhnt, freut<br />

sich zwar vordergründig über die<br />

Schnäppchen. Doch auf der anderen<br />

Seite führt die starke Stellung von<br />

Einkaufsverbänden und die damit<br />

einhergehende Gleichartigkeit der<br />

angebotenen Möbel zu einem langweiligen<br />

Markt, der überwiegend<br />

mit Importware bedient wird. Will<br />

man als Käufer etwas Besonderes<br />

und Individuelles, so findet man<br />

das nur schwer. In unserem sehr<br />

gespreizten Angebot überwiegt das<br />

werbemäßig Dominante und das ist<br />

das Preiswerte. Viele Kunden vermissen<br />

Exklusivität. Hier kann die<br />

Möbelbranche ansetzen und entsprechende<br />

Angebote liefern. Boutiquen<br />

statt Paläste; Innenstadt statt<br />

grüne Wiese. In anderen Ländern<br />

klappt das auch.<br />

Passend dazu stellt die deutsche<br />

Möbelindustrie seit Jahren Fertigungsschritte<br />

Richtung Losgröße<br />

1 um, was Sonderanfertigungen<br />

zu Kosten einer Serienfertigung<br />

ermöglicht. Ein individualisiertes<br />

Angebot führt aber auch zu immer<br />

selbstverständlicher werdenden<br />

Kundenerwartungen. Nur die digitale<br />

Transformation in der Produktionstechnik<br />

wird die gewünschte<br />

und nötige Flexibilität bieten. Die<br />

künftige Marktchance liegt daher<br />

in der sogenannten Industrie<br />

4.0. Digitale Transformation im<br />

Marketing gehört dann übrigens<br />

ebenso dazu wie der Vertrieb über<br />

Online-Plattformen. Sich selbst im<br />

Internet ein schickes und bequemes<br />

Bett konfigurieren, es bestellen<br />

und dann auch noch binnen einer<br />

Woche geliefert bekommen… Das<br />

ist der Traum der Menschen und<br />

immer mehr Menschen empfinden<br />

diesen Prozess bei vielen anderen<br />

Konsumgütern schon als Realität.<br />

Heute ist für 14 Prozent der<br />

Möbelkäufer in Deutschland der<br />

stationäre Handel nicht mehr der<br />

Point of Sale. Natürlich greifen<br />

Online und Offline vielfach ineinander,<br />

doch auffällig ist schon,<br />

dass Onlinekaufen häufig über<br />

Plattformen abgewickelt wird, die<br />

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