Berliner Kurier 15.07.2019
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*<br />
POLITIK<br />
MEINE<br />
MEINUNG<br />
Von<br />
Tobias<br />
Peters<br />
Der Studienortals<br />
soziale Frage<br />
Gemeinsames Kochen mit<br />
dem Mitbewohner aus<br />
Taiwan, zu fünft auf einer<br />
Couch für zweiFußballgucken:Erstmals<br />
fernab der Eltern<br />
zu leben, istein wichtiger<br />
Schritt. Das im Studentenwohnheim<br />
mitanderen<br />
jungen Menschen zu erleben,<br />
kann eine besonders gute Erfahrung<br />
sein.Die drastisch ansteigenden<br />
Mieten auf dem<br />
freien Markt sorgen dafür,<br />
dass die Wahl desStudienortes<br />
zur sozialen Frage wird.<br />
Kann die Tochter oder der<br />
Sohn einer Supermarktkassiererin<br />
aus Bottrop sich dem<br />
eigenen Wunschstudienplatz<br />
auch dann leisten, wenn er in<br />
München liegt?„Alle Deutschen<br />
haben das Recht, Beruf,<br />
Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte<br />
frei zu wählen“,<br />
heißt es im Grundgesetz. Die<br />
Studiengänge sind immer<br />
spezieller, es gibt das gewünschte<br />
Studium womöglich<br />
nur an einemOrt. Bis in<br />
die Mittelschicht drohen die<br />
hohen Mieten in Unistädten<br />
junge Menschenganz vom<br />
Studium abzuschrecken.<br />
Deutschland kämpft mit<br />
Fachkräftemangel. Jeder<br />
Euro, der in Wohnheimplätze<br />
mit fairen Mieten fließt, ist<br />
gut investiert. Bund und Länder<br />
sollten jetzt handeln. Gemeinsam.<br />
MANN DESTAGES<br />
Joe Kaeser<br />
Mit seinen pointierten Stellungnahmen<br />
zu aktuellen<br />
politischen Themen ist der<br />
Siemens-Chef Joe Kaeser<br />
eine Ausnahme<br />
in<br />
der deutschen<br />
Industrielandschaft.<br />
Jetzt<br />
hat der<br />
62-Jährige<br />
Morddrohungen<br />
öffentlich<br />
gemacht,<br />
die<br />
ihn aus mutmaßlich rechtsextremen<br />
Kreisen erreichen.<br />
In einer der Hassmails heißt<br />
es unter anderem wörtlich:<br />
„Typen wie du brauchen<br />
dringend eine Behandlung<br />
wie Lübcke.“<br />
Foto: KayNietfeld/dpa<br />
Für vonder Leyenwird<br />
es morgen eng<br />
Wählt das EU-Parlament sie zur Kommissionspräsidentin?<br />
Foto: Francisco Seco/AP/dpa<br />
Ist auf Unterstützung vonSozialisten, Konservativen und Liberalen angewiesen: Ursula vonder Leyen.<br />
Brüssel – Stunde der Wahrheit<br />
für Ursula von der Leyen<br />
(CDU) morgen im EU-Parlament.<br />
374 Stimmen benötigt<br />
sie, um als erste Kommissionspräsidentin<br />
gewählt zu<br />
werden. Vor allem auf Europas<br />
Sozialisten kommt es an,<br />
damit die 60-Jährige nicht<br />
mithilfe von Rechtspopulisten<br />
ins Amt kommt.<br />
Wann zuletzt war man als Sozialist<br />
oder Sozialdemokrat so<br />
umworben? Schon haben Italiener<br />
und Spanier Bedingungen<br />
formuliert, was geschehen<br />
muss, damit sie der deutschen<br />
CDU-Politikerin an die Spitze<br />
der EU-Kommission verhelfen.<br />
Und die „Wunschliste“ ist lang.<br />
Der aus Italien stammende<br />
Fraktionsvize Roberto Gualtieri<br />
sagte der „Frankfurter Allgemeinen<br />
Sonntagszeitung“, von<br />
der Leyen habe „bei sozialen<br />
Fragen und beim Klimaschutz<br />
gepunktet“. Sie müsse aber bei<br />
den Themen Wirtschaftspolitik,<br />
Migration und Rechtsstaatlichkeit<br />
zulegen. Italiens Sozialisten<br />
stellen mit 19 Angeordneten<br />
die zweitgrößte Gruppe<br />
in der Fraktion. Und von der<br />
Leyen weiß, dass sie sich bewe-<br />
gen muss, denn ihre Kommissionspräsidentschaft<br />
erführe<br />
einen Holperstart, würde sie<br />
diese Rechtspopulisten, Radikalen<br />
und Europahassern verdanken.<br />
Denn fest steht: Die<br />
16 SPD-Abgeordneten werden<br />
sie nicht wählen. Britische, niederländische,<br />
französische,<br />
schwedische und ungarische<br />
Sozialisten zögern noch. So sehen<br />
die Mehrheitsverhältnisse<br />
aktuell aus:<br />
Foto: Gregorio Borgia/AP<br />
Kündigte an, vonder Leyenzu<br />
unterstützen: Matteo Salvini.<br />
▶ Auf die eigene christdemokratisch-konservative<br />
EVP,<br />
mit 182 Sitzen größte Fraktion,<br />
kann die 60-Jährige bauen.<br />
Nicht ausgeschlossen ist aber,<br />
dass es enttäuschte Abweichler<br />
gibt, weil EVP-Spitzenkandidat<br />
Manfred Weber weichen musste.<br />
182 Stimmen bekommt sie<br />
im Idealfall.<br />
▶ In der zweitgrößten Fraktion<br />
der Sozialisten kann sie<br />
im besten Fall auf die Hälfte der<br />
154 Stimmen zählen, also 77 –<br />
Zwischenstand: 259 Stimmen.<br />
▶ Die drittgrößte liberale<br />
Fraktion Renew Europe mit<br />
1080 Mitgliedern erklärte nach<br />
Anhörung der Deutschen, sie<br />
habe „einen positiven Eindruck<br />
hinterlassen“. FDP-Chef Christian<br />
Lindner äußerte aber am<br />
Wochenende gegenüber der<br />
Funke-Mediengruppe Zweifel:<br />
„Ob die Liberalen sie wählen<br />
werden, erscheint mir zum jetzigen<br />
Zeitpunkt offen.“ Positiver<br />
Fall: Sie bekommt alle Stimmen,<br />
Zwischenstand: 367.<br />
▶ Europas Grüne, mit 74 Parlamentariern<br />
viertgrößte Fraktion,<br />
wollen geschlossen gegen<br />
sie stimmen. Zwischenstand:<br />
Es bleibt bei 367 Stimmen.<br />
▶ Verweigern werden sich<br />
auch Europas Linke –41Abgeordnete.<br />
Zwischenstand<br />
nach wie vor: 367 für von der<br />
Leyen.<br />
▶ Keine Unterstützung dürfte<br />
auch aus den Reihen der Fraktionslosen<br />
kommen – unter<br />
den 54 Parlamentariern sind<br />
auch die 29 Briten von Nigel Farags<br />
Brexit Party: Zwischenstand:<br />
367 für von der Leyen.<br />
„Bei sozialen Fragen<br />
und beim Klimaschutz hat<br />
sie gepunktet“<br />
Roberto Gualtieri, Sozialdemokraten<br />
▶ Verhalten äußerte sich die<br />
rechtskonservative, EU-kritische<br />
EKR (61 Abgeordnete),<br />
der die polnische Regierungspartei<br />
PiS und die britischen<br />
Konservativen angehören. Sieben<br />
Stimmen benötigt sie, …<br />
▶ …damitesnicht zurPeinlichkeit<br />
kommt, dass die 73 rechtspopulistischen<br />
oder -extremen<br />
Abgeordneten der Fraktion<br />
Identität und Demokratie<br />
(ID) zumZünglein an derWaage<br />
werden. Italiens Innenminister<br />
Matteo Salvini will von der<br />
Leyen unterstützen, die deutsche<br />
AfD aufkeinenFall.