PC_08_2019_FINAL_X1
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DAS GROSSE INTERVIEW<br />
© Offside Sports Photography<br />
HEIMVORTEIL?<br />
Alle Augen werden auf Lizzie<br />
Deignan gerichtet sein, wenn sie die<br />
Straßenweltmeisterschaft der Frauen in<br />
Yorkshire in Angriff nimmt. Das bedeutet<br />
Druck, aber sie profitiert auch von<br />
Streckenkenntnissen und einem<br />
einheimischen Publikum. Im Fußball ist<br />
bekannt, dass ein Heimspiel von Vorteil<br />
ist. Deignan dürfte auch interessieren,<br />
dass es bei 58 Auflagen des Straßenrennens<br />
der Frauen seit 1958 acht<br />
einheimische Siegerinnen gab. Diese<br />
gehen von Yvonne Reynders, der<br />
Belgierin, die 1963 in Ronse gewann, bis<br />
hin zu Marianne Vos, die zuletzt bei den<br />
Titelkämpfen 2012 in der holländischen<br />
Stadt Valkenburg auf heimischem<br />
Boden gewann. Deignan dürfte auch<br />
ermutigen, dass eine der anderen<br />
Fahrerinnen, der das bisher gelungen ist,<br />
eine Britin ist: Mandy Jones, die die<br />
Weltmeisterschaft gewinnen konnte, als<br />
sie zuletzt in Großbritannien war, in<br />
Goodwood 1982. Bei den Männern<br />
waren einheimische Sieger in den<br />
letzten Jahren seltener. Seit Bernard<br />
Hinault das Männer-Rennen 1980 im<br />
französischen Sallanches gewann, war<br />
der einzige einheimische Weltmeister<br />
Alessandro Ballan 20<strong>08</strong>.<br />
Als Robinsons Karriere Fahrt aufnahm, kam auch<br />
die von Burton in Gang. Sie gewann die erste ihrer<br />
beiden Straßenweltmeisterschaften 1960 und<br />
holte anschließend unglaubliche 15 Medaillen bei<br />
Weltmeisterschaften in ebenso vielen Jahren. Daneben<br />
gewann sie fast 100 britische<br />
Titel, erreichte eine wirklich<br />
unglaubliche Serie von 25 „British<br />
Best All Rounder“-Titeln und brach<br />
einen Rekord der Männer im 12-<br />
Stunden-Zeitfahren, nachdem sie<br />
sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit<br />
dem damaligen Topfahrer Mike<br />
McNamara geliefert hatte.<br />
Sowohl Burton als auch Robinson<br />
waren Idole; fast jede Frau, mit<br />
der ich sprach, als ich Burtons Biografie<br />
schrieb, sagte mir, sie habe<br />
versucht, in Beryls Fußstapfen zu<br />
treten. Derweil war Robinson ein<br />
Vorbild für Tom Simpson, der,<br />
obwohl er eine halbe Meile hinter<br />
der Grenze zu Nottinghamshire<br />
aufwuchs, für Scala Wheelers in<br />
Doncaster in Yorkshire fuhr und<br />
meistens bei Rennen in der Grafschaft<br />
antrat.<br />
Wie Robinson war Burton ein Produkt dieser<br />
örtlichen Kultur, teils durch ihren Ehemann<br />
Charlie und andere Mitglieder des Morley Cycling<br />
Club, aber auch durch Rennfahrerinnen aus der<br />
Gegend wie Iris Miles, die wie Simpson für Scala<br />
18<br />
Grand-Tour-<br />
Doubles in der<br />
Historie<br />
10<br />
Fahrer mit einem<br />
GT-Double<br />
Wheelers fuhr. Bis in die 1980er inspirierte Burtons<br />
Reputation Frauen wie ihre Tochter Denise<br />
und später Yvonne McGregor – ermutigt durch<br />
Burtons Autobiografie Personal Best – und Deignan,<br />
die sich erinnerte, wie ihre Großmutter Geschichten<br />
von der Lokalmatadorin<br />
erzählte.<br />
Nach Robinson kamen andere<br />
Tour-Männer: Victor Sutton, ein<br />
Bootsbauer aus Doncaster, der<br />
an der Seite von Charly Gaul<br />
kletterte; Hoban aus einer Bergmannsfamilie<br />
unweit von Wakefield;<br />
und Albert Hitchen, ein Eisenbahnschlosser<br />
aus Mirfield.<br />
Die Liste ist lang: „Super Sid“<br />
Barras und Keith Lambert sind<br />
nicht wegzudenken aus der einheimischen<br />
britischen Szene in<br />
den 1970ern, „Sheffield-Playboy“<br />
Malcolm Elliott und heute Ben<br />
Swift, Adam Blythe, Scott Thwaites<br />
und seit Kurzem der Jungstar<br />
Tom Pidcock.<br />
Es sind nicht nur die Fahrer,<br />
auch die Rennen haben eine lange<br />
Tradition in Yorkshire. Harrogate, Austragungsort<br />
der Weltmeisterschaft in diesem Jahr, richtete in<br />
den 1970ern ein riesiges „International Festival of<br />
Cycling“ aus. Als die Tour de Yorkshire in diesem<br />
Mai auf der Headrow-Allee endete, folgte sie direkt<br />
den Reifenspuren des Leeds Classic, das von<br />
1993 bis 1996 ausgetragen wurde und ein großes<br />
Publikum und prominente Fahrer anlockte.<br />
Der Radsport in Großbritannien hat sich meist<br />
auf die industriell geprägten Gegenden konzentriert,<br />
nicht auf die ländlichen Gebiete (wie in Italien<br />
und Frankreich). Fausto Coppi und Bernard<br />
Hinault kamen vom Lande; die britischen Champions<br />
stammten immer aus urbanen, industriell<br />
geprägten Gemeinden. Der Radsport war nie in<br />
dem Maße in der ländlichen britischen Kultur<br />
eingebettet, wahrscheinlich, weil die meisten<br />
Landarbeiter in engen Cottages an ihrem Arbeitsplatz<br />
wohnten.<br />
Wie Hoban erklärte: „Yorkshire war immer<br />
eine Arbeitergegend; Stahlwerke, Mühlen und<br />
Fabriken. Es gab viel harte Arbeit und die Leute<br />
haben sich hineingekniet und sie gemacht; sie<br />
scheuten sich nicht vor der Arbeit. Die Arbeitsumgebung<br />
bringt die Menschen hervor.“<br />
Arbeiter fuhren mit dem Fahrrad zur Fabrik<br />
oder ins Bergwerk. Sie machten abends Zeitfahren,<br />
tranken im Vereinsheim eine Tasse Tee und<br />
machten am Wochenende Vereinsfahrten. Sie<br />
sahen sich Rennen auf dem Spielfeld der örtlichen<br />
Zeche an. „Das Wochenende war etwas, worauf<br />
man sich nach einer Woche im Bergwerk freuen<br />
Robinson auf dem Weg zu seinem<br />
zweiten Tour-Etappensieg im Jahr 1959.<br />
40 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>