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PC_08_2019_FINAL_X1

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CANYON-SRAM<br />

5. ETAPPE<br />

14.6.<strong>2019</strong><br />

LLANDRINDOD WELLS ><br />

BUILTH WELLS<br />

D<br />

ie Fahrerinnen drehen eine 140-Kilometer-Runde<br />

nach Norden durch die<br />

Hügel von Powys, Lars Schiffner dagegen<br />

hat heute am Steuer des Wohnmobils einen<br />

leichten Job – nur eine halbe Stunde Fahrt vom<br />

Start zum Ziel ein paar Meilen weiter südlich. Wir<br />

machen unterwegs einen Boxenstopp am örtlichen<br />

Supermarkt. Dem Team gehen die Vorräte<br />

aus und Schiffner muss sie wieder auffüllen. Vier<br />

Becher Naturjoghurt und drei Baguettes für die<br />

Fahrinnen, eine Tiefkühlpizza für ihn zum Mittagessen<br />

und sechs Packungen Halloumi, den<br />

Borchi so gerne isst.<br />

Das Wohnmobil ist der sichere Hafen der Fahrerinnen<br />

am Tag des Rennens. Es ist klein, aber es<br />

wurde viel hineingestopft: zwei Einzelbetten, Toilette<br />

und Dusche, ein Sofa, Kühlschrank, Spüle<br />

und Kochfeld, dazu ein Stauraum für Bekleidung<br />

und Lebensmittel. Auf einem weißen Brett stehen<br />

die Aufgaben, die täglich erledigt werden müssen<br />

– Wohnmobil saubermachen, Panini für das Rennen<br />

machen, Flaschen füllen, Lunchpakete machen,<br />

Helme reinigen, Regensachen packen.<br />

Schiffner und Borchi streichen sie mit einem Filzstift<br />

durch, wenn sie erledigt sind, damit der andere<br />

weiß, was noch zu tun ist. Da Borchi draußen<br />

an der Verpflegungszone ist, arbeitet<br />

Schiffner die Liste ab und bereitet Essen für die<br />

6. Etappe vor: Waffeln und Brioche, gefüllt mit<br />

einer Mischung aus Frischkäse, Marmelade, Honig,<br />

Walnüssen, Banane oder Schokocrème. Ein<br />

Schongarer mit Quinoa blubbert vor sich hin; es<br />

ist fertig, wenn die Etappe später zu Ende ist.<br />

Schiffner arbeitet seit 2012 mit Lauke zusammen.<br />

Er hat in Deutschland eine Ausbildung zum<br />

Rettungssanitäter gemacht, bevor er als Physiotherapeut<br />

bei der deutschen Nationalmannschaft<br />

anfing. Sein Job umfasst jede Menge Aufgaben,<br />

von banaleren wie Mittagessen machen über<br />

Massagen bis hin zu Physio- und Integralbehandlungen,<br />

etwa die Fahrerinnen auf Gehirnerschütterungen<br />

zu untersuchen wie bei Alice nach ihrem<br />

Sturz auf der 3. Etappe.<br />

Schiffner zieht Unterlagen aus einem Hängeschrank.<br />

Nach dem Start der Saison absolvieren<br />

die Fahrerinnen den SCAT-Test (Sport Concussion<br />

Assessment Tool) – einen Fragebogen, der<br />

unter anderem Gedächtnisleistung, Gleichgewichtssinn<br />

und Sehvermögen misst und Grundwerte<br />

für ihren Zustand ohne Gehirnerschütterung<br />

liefert. Wenn Fahrerinnen stürzen, wird<br />

der Test wiederholt, sodass die Werte verglichen<br />

werden können. Ein starker Anstieg ist ein Zeichen<br />

für eine Gehirnerschütterung.<br />

Bei Alice deuteten ihre SCAT-Resultate auf eine<br />

Gehirnerschütterung hin, aber es stellt sich he-<br />

raus, dass ihre Grundwerte ungewöhnlich hoch<br />

sind, und sie bekommt grünes Licht und darf das<br />

Rennen fortsetzen. „Meine Resultate kamen zurück<br />

und sie sagten: ‚Oh Gott, sicher hat sie eine<br />

Gehirnerschütterung.‘ Und dann haben sie es mit<br />

meinen Grundwerten verglichen und gesagt: ‚Oh<br />

nein, das ist normal‘“, sagt sie lachend.<br />

Schiffner betont, wie wichtig das Protokoll ist,<br />

und erinnert an den Fall der US-Bahnfahrerin<br />

Kelly Catlin, die sich Anfang des Jahres das Leben<br />

genommen hat, nachdem sie an einer Depression<br />

gelitten hatte, die einige auf eine Gehirnerschütterung<br />

zurückführen. Der Test kann auch eine<br />

Früherkennung von Erkrankungen wie Alzheimer<br />

oder Parkinson ermöglichen, die von wiederholten<br />

Gehirn erschütterungen verursacht wurden.<br />

„Es gibt immer wieder Todesfälle; wir wissen<br />

nicht, woran sie sterben, ihr Herz hört einfach auf<br />

zu schlagen“, sagt Schiffner. „Sie haben einen<br />

kleinen Sturz, aber sie stehen nicht mehr auf.<br />

Oder ein zweiter Sturz wird durch eine nicht diagnostizierte<br />

Gehirnerschütterung herbeigeführt.<br />

Deswegen machen wir es. Das Second-Impact-Syndrom<br />

kann tödlich sein.“<br />

Canyon hat den Test durch seine Kontakte zum<br />

BG Klinikum in Hamburg kennengelernt, Di-Data<br />

und Katusha arbeiten ebenfalls damit. Trotzdem<br />

testen nicht alle Frauenteams auf diese Art auf<br />

Gehirnerschütterung. „Ich weiß nicht, warum“,<br />

sagt Schiffner.<br />

RENNVERLAUF<br />

Mit zwei kategorisierten Anstiegen ist dies<br />

die schwerste Etappe des Rennens. Es gibt<br />

kaum einen flachen Meter, und daraus will<br />

Canyon Kapital schlagen. Niewiadoma setzt<br />

sich 20 Kilometer vor dem Ziel am Epynt mit<br />

den Trek-Sega fredo-Fahrerinnen Elisa Longo<br />

Borghini und Lizzie Deignan ab. Aber bei zwei<br />

gegen eine spannt sich Longo Borghini vor<br />

ihre Team kollegin Deignan, die den Sprint<br />

gewinnt und die Gesamtführung dank einer<br />

Zeitgutschrift holt.<br />

ERGEBNISSE 5. ETAPPE<br />

1 Lizzie Deignan Trek-Segafredo 3:54:35<br />

2 K. Niewiadoma Canyon-Sram + 0:00<br />

3 E. L. Borghini Trek-Segafredo + 0:02<br />

Gesamtführende: Lizzie Deignan<br />

6. ETAPPE<br />

15.6.<strong>2019</strong><br />

CARMARTHEN > PEMBREY<br />

A<br />

COUNTRY PARK<br />

ls wir ein letzten Mal ins Teamfahrzeug<br />

steigen, um von unserem Hotel in<br />

Swansea zum Start zu fahren, sagt<br />

Cromwell: „Ich werde heute wirklich meine Brille<br />

brauchen – die Sonne kommt raus!“ Der Himmel<br />

ist endlich blau statt grau, und zusammen mit der<br />

Aussicht darauf, dass das der letzte Renntag ist,<br />

sorgt dies allenthalben für gute Laune.<br />

Auch Lauke ist entspannt. Es ist ihm deutlich<br />

anzusehen, wenn er nervös und angespannt ist,<br />

doch da das Team bereits einen Etappensieg erzielt<br />

hat und am letzten Tag den zweiten Rang<br />

im Klassement besetzt mit einer Chance auf den<br />

Gesamtsieg, gibt es keinen Grund, nervös zu sein.<br />

Niewiadoma muss Deignan zwei Sekunden abnehmen,<br />

und Trek-Segafredo die Führung zu entreißen,<br />

wird schwierig sein, doch das heißt nicht,<br />

dass sie es nicht versuchen wird. „Sie sind motiviert“,<br />

sagt Borchi.<br />

58 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>

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