RETRO PATRICK SERCU BESTER DER SECHS Die Bahnlegende Patrick Sercu war einer der Stars der 1970er; er kombinierte eine erfolgreiche Karriere auf der Straße mit beispiellosen 88 Sechstage-Siegen, viele zusammen mit Eddy Merckx. Procycling blickt zurück auf die Karriere des „Pfeils von Izegem“, der im April dieses Jahres verstarb. Text William Fotheringham Fotografie Cor Vos Als Teenager verbrachte ich zwei Septemberabende, 1979 und 1980, im dunklen Inneren des Wembley’s Empire Pool (der heutigen Wembley Arena), wo eine enge Holzbahn mit 51 Grad Gefälle für das Skol Six eingerichtet worden war. Ich hatte ein ruhiges Leben geführt und erlebte ein exotisches Spek takel, als es auf Mitternacht zuging: der Sound von Alan Elsdons Jazzband gegen das Hintergrundgeräusch der Radprofis, die über die Bretter sausten. Es gab längst vergessene Sechstage-Spezialisten wie Willy Debosscher und Nils Fredborg, britische Fahrer wie Maurice Burton, Paul Medhurst und Tony Gowland neben den importierten Australiern Don Allen, Danny Clark und anderen. Die Gestalt der Kette änderte sich ständig wie ein hypnotisches zweirädriges Kaleidoskop, bei dem ein Mann im Fokus stand. Das Zentrum von allem war der Boss: Patrick Sercu, hohe Wangenknochen, unergründlich, wie Eddy Merckx’ selbstbewussterer Zwillingsbruder, ein Mann, über den man hätte schreiben können – wie über Merckx geschrieben wurde –, dass er „die geschnitzten Gesichtszüge eines Totempfahls trug und ebenso oft in Lachen ausbrach“. Sercu war der Mann, der die Kette in den entscheidenden Momenten in die Länge zog, der den anderen sein Rennen aufzwang, der beim Skol 1979 Peter Posts Rekord von 65 Sechstage-Siegen einstellte und ihn im folgenden Jahr auf 72 hochschraubte. „Der absolute Monarch des Sechstagesrennens“, hieß es in einem Nachruf, als er im April dieses Jahres mit 74 Jahren starb. Sercu war der Merckx des Velodroms, ein Fahrer, der es von 1965 bis 1983 auf 88 Sechstage-Siege brachte. Sich seine Liste von Erfolgen auf der Bahn anzuschauen, ist wie ein kurzer Blick in eine längst verlorene Welt, wo ein talentierter Allrounder von September bis März in Belgien, Holland, Deutschland und der Schweiz Rennen fahren konnte. Manchmal bildete er ein Duo mit einem Lokalmatador wie Gowland, manchmal wiederum mit einem Straßen-Star wie Merckx. So oder so gewann er oft. Als ich den „Pfeil von Izegem“ rund 30 Jahre später in seinem Haus bei Gent besuchte, traf ich einen ernsten und immer noch undurchdringlichen Mann. Seine Freundschaft mit Merckx hatte fast ein halbes Jahrhundert gedauert, seit ihre Väter sie zusammen in ein Jugend-Madison im Velodrome d’Hiver im Palais des Sports in Schaerbeek bei Brüssel geschickt hatten. Sie waren beide ruhige, sehr motivierte Burschen, die noch in den 1970ern zusammen Sechstagerennen fuhren; Sercus Anekdoten über ihn bildeten ein wichtiges Element, als ich die Merckx-Biografie Half Man, Half Bike schrieb. Meine liebste war die über den Tag, an dem Brooklyn Sercu kurzfristig zu Lüttich–Bastogne–Lüttich schickte, weil Roger de Vlaeminck sich krank gemeldet hatte. 80 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
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